Zur Erinnerung Stele, wo einst die Synagoge stand

Marpingen · „Nichts zeigt den Verlust besser“, ist Egon Dewes überzeugt. Der Marpinger Bildhauer meint damit das alte Foto des einstigen jüdischen Gotteshauses in St. Wendel, das seine Erinnerungsstele ziert. Den Auftrag hierfür bekam der 57-Jährige von dem Verein Wider das Vergessen und gegen Rassismus.

 Bildhauer Egon Dewes aus Marpingen hat die Stele geschaffen, die an die einstige Synagoge in der Kelsweilerstraße in St. Wendel erinnern soll.

Bildhauer Egon Dewes aus Marpingen hat die Stele geschaffen, die an die einstige Synagoge in der Kelsweilerstraße in St. Wendel erinnern soll.

Foto: Bonenberger & Klos

Es muss ein imposantes Gebäude gewesen sein in der Kelsweilerstraße in St. Wendel. Mit Rundbogenfenstern und auf der Spitze eines Turms der Davidstern. 1902 wurde die einstige Synagoge eingeweiht. 26 Jahre später war sie Geschichte. Am Abend des 10. November 1938 wurde sie in Brand gesteckt. Eine leicht vergilbte Postkarte aus den 1920er-Jahren zeigt das Gebetshaus der jüdischen Gemeinde in St. Wendel. Sie diente Bildhauer Egon Dewes aus Marpingen als Vorlage.

Im Auftrag des Vereins Wider das Vergessen und gegen Rassismus schuf er eine Erinnerungsstele an das jüdische Gotteshaus. "Es war ein architektonisches Kleinod", sagt der 57-Jährige und streicht über den glänzenden schwarzen Stein. Die Konturen der Synagoge sind spürbar. Mit Hilfe der Sandstrahltechnik hat er das Foto des Gebäudes auf den afrikanischen Naturstein, Gabbro genannt, aufgetragen. Ein Text darunter erläutert, was mit dem Gebetshaus geschah und mahnt zur Wachsamkeit. Am Kopf des 800 Kilo schweren Steins prangt der Davidstern.

"Nichts verdeutlicht den Verlust mehr als dieses Foto", sagt Dewes. Knapp vier Wochen hat er sich mit der Stele beschäftigt. Seit etwa drei Jahren arbeitet der Bildhauer mit der Sandstrahltechnik. Diese sei auch im Bestattungswesen gefragt. Nach 40 Jahren im Beruf hat Dewes 2013 noch mal die Schulbank gedrückt. Er ist fasziniert von der Qualität der Arbeiten mit Sandstrahltechnik. "Aber es gehört auch Erfahrung dazu."

Der Schaffensprozess des 57-Jährigen begann am Computer. Dort hat er den passenden Bildausschnitt der Synagoge gewählt. Dieser wurde dann zunächst auf eine Belichtungsvorlage gedruckt. Die belichtete Vorlage kam dann auf die in diesem Fall blaue Sandstrahlfolie. Anschließend wurde diese mit dem Hochdruckreiniger ausgewaschen. "Die Folie wird dann getrocknet und auf den Stein geklebt", erklärt Dewes.

Im nächsten Schritt kam die Sandstrahlkabine zum Einsatz. "Sie lässt sich hinten öffnen", deutet der Bildhauer auf die Rückseite der rechteckigen blauen Kabine, unter der ein Trichter angebracht ist. Dieser fängt den Sand auf. Der ist übrigens nicht goldgelb, wie man ihn von Stränden her kennt, sondern weiß und wirkt auf den ersten Blick so weich wie Mehl. Erst, wenn man ihn zwischen den Fingerspitzen verreibt, sind die Körner spürbar. Mit einem Druck von vier Bar hat Dewes den Stein, im Handel "black zulu" genannt, von Hand gestrahlt. "Der Moment, wenn man die Folie abzieht, ist wie Weihnachten", gesteht der Bildhauer , der seit 30 Jahren selbstständig ist.

Zufrieden blickt er auf die Stele. Der Stein sei unempfindlich, könne viele Jahrzehnte überdauern. Die Synagoge selbst, an die er erinnert, gab es nur 26 Jahre lang. Inzwischen hat das Mahnmal Dewes Werkstatt verlassen. Der Moment beim Aufstellen, wenn der 800-Kilo-Koloss kippt, da sei jede Menge Adrenalin im Blut, verrät der Künstler. Aber es ging alles gut, die Stele steht. Noch abgedeckt vor neugierigen Blicken. Am heutigen Mittwoch, 16 Uhr, wird sie feierlich enthüllt. Die Idee gab es schon lange, jetzt wurde sie in die Tat umgesetzt: eine Stele zum Gedenken an die einstige Synagoge in St. Wendel. "Als wir den Verein Wider das Vergessen und gegen Rassismus vor 17 Jahren gegründet haben, war ich noch Lehrer", berichtet der Vereinsvorsitzende Eberhard Wagner. "Damals habe ich festgestellt, dass viele Schüler nicht wussten, wo die Synagoge stand oder dass es sie überhaupt einmal gab." Das war die Motivation dazu, diese Wissenslücke zu stopfen. Zunächst gab es Überlegungen, mit einer Wandmalerei an das Gebäude zu erinnern. Doch dann entschied sich der Verein für das Kunstwerk aus Stein.

1902 ist das Gotteshaus der jüdischen Gemeinde in St. Wendel in der Kelsweilerstraße eingeweiht worden. "Alles, was Rang und Namen hatte, war dabei", erinnert Wagner. Etwas mehr als zwei Jahrzehnte später, am Abend des 10. November 1938, stand die Synagoge in Flammen. Überlieferungen zufolge hätten bereits am Nachmittag Kinder Kultgegenstände aus dem Gebäude getragen. Das Feuer sei von Einheimischen gelegt worden. "1947 gab es zwei Gerichtsverhandlungen", berichtet der Vereinsvorsitzende. Verurteilt wurde aber niemand.

Hunderte Schaulustige seien zu dem brennenden Gotteshaus geeilt. Die herbeigerufene Feuerwehr habe sich darauf beschränkt, die Nachbargebäude zu schützen. Das, was die Flammen von der Synagoge übrig gelassen hatten, wurde am 24. November 1938 endgültig abgerissen. So gerieten das Gebäude und die damit verbundenen Gräueltaten zunehmend in Vergessenheit. Zwar gab es seit 1981 eine Erinnerungstafel, die am Nachbarhaus in etwa drei Meter Höhe angebracht war. Doch die, so der Verein, wurde kaum wahrgenommen.

Daher wurde Bildhauer Egon Dewes mit dem Schaffen einer Erinnerungsstele beauftragt. Mit Kosten von zirka 7000 bis 8000 Euro rechnet der Vorsitzende insgesamt. Diese Summe werde der Verein vorfinanzieren, hoffe aber auf Unterstützung. Den glänzend schwarzen Stein zieren das Foto der Synagoge, ein Davidsstern und ein Text. "Der soll erklären, was passiert ist", so Wagner. "Einheimische Täter", "große Menschenmasse": Diese Begriffe waren dem ehemaligen Lehrer wichtig. Gleichzeitig wird an 34 jüdische Bürger St. Wendels erinnert, die zwischen 1940 und 1945 von den Nazis deportiert und ermordet wurden.

Enthüllt wird das Kunstwerk mit Botschaft am heutigen Mittwoch, 9. November, 16 Uhr, in der Kelsweilerstraße, in Höhe der Hausnummer 13. Dieses Datum kommt nicht von ungefähr. Denn vor genau 78 Jahren wurden in der Reichspogromnacht , vom 9. auf den 10. November 1938, etwa 1400 Synagogen beschädigt oder komplett zerstört. Das waren mehr als die Hälfte aller Gebetshäuser in Deutschland und Österreich.

Spendenkonto zur Errichtung der Erinnerungsstele: Kreissparkasse St. Wendel,

IBAN: DE095925 1020 0000 0924 78

widerdasvergessen.de

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Hintergrund Als Reichspogromnacht ging die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in die Geschichtsbücher ein. In ganz Deutschland wurden von Sturmabteilung (SA) und Schutzstaffel (SS) Synagogen beschädigt oder zerstört, Schaufenster jüdischer Geschäfte zertrümmert, Juden inhaftiert und getötet. Nach Angaben des Vereins Wider das Vergessen und gegen Rassismus wurden im Saarland 14 jüdische Gotteshäuser verwüstet, in fünf Orten im Kreis St. Wendel (Sötern, Bosen, Gonnesweiler, Tholey und St. Wendel) gab es Ausschreitungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung. Im März 1935 lebten im Kreis St. Wendel laut Verein 291 Bürger jüdischen Glaubens. In der Kreisstadt St. Wendel waren es im Oktober 1938 noch zwölf. Bei dieser Zahl beruft sich der Verein auf das St. Wendeler Volksblatt. Ein knappes Jahr später, am 1. September 1939, begann der Zweite Weltkrieg. evy

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