Therapeutisches Wohnen „Wir haben hier eine Heimat gefunden“

St. Wendel · 25 Jahre therapeutische Wohngruppe: In einer Feierstunde würdigte die Lebenshilfe St. Wendel die Erfolgsgeschichte der dezentralen Unterbringung und besonderen Förderung behinderter Menschen.

 Mehr als 200 Besucher waren zur Feierstunde „25 Jahre therapeutische Wohngruppe“ gekommen und applaudierten den Festrednern.

Mehr als 200 Besucher waren zur Feierstunde „25 Jahre therapeutische Wohngruppe“ gekommen und applaudierten den Festrednern.

Foto: B & K/Franz Rudolf Klos

Es ist ganz still in der Sporthalle der integrativen Kindertagesstätte der Lebenshilfe, als Gerhard Koepke Szenen aus dem Film „Die Hölle von Ueckermünde“ schildert. Von behinderten Menschen, die wie Tiere gehalten werden, ist da die Rede. Von Menschen, die mit Psychopharmaka ruhig gestellt werden, die sich Haare ausreißen oder anderen. Die nicht betreut, sondern verwahrt werden. Die sprachlos sind, weil man mit ihnen nicht spricht. Deren Tagesablauf aus Schlafen, Essen und Sch... bestehen muss. Gedreht hat diesen Film 1993 Ernst Klee in zwei ostdeutschen Anstalten. Nicht anders aber muss es damals im Landeskrankenhaus in Merzig gewesen sein, schildern es Augenzeugen.

Mit der Psychiatrie-Reform 1993 im Saarland änderte sich dieser Zustand radikal. Weg von der zentralen Unterbringung in Merzig zur dezentralen, wohnortnahen in den Landkreisen und dem Stadtverband. Weg vom Verwahren, hin zum Therapieren. So auch in St. Wendel. Dort gründete die Lebenshilfe 1993 die therapeutische Wohngruppe, die bis heute in der Urweiler Mühle untergebracht ist.

In ihr werden geistig behinderte Menschen betreut, die zusätzlich noch psychische Erkrankungen haben. Die Verhaltensauffälligkeiten aufweisen, gegen sich oder andere aggressiv sein können zum Beispiel. Statt diese nur mit Medikamenten ruhig zu stellen, werden sie therapiert. Fachkräfte fordern und fördern sie. Acht Behinderte waren es zu Beginn 1993 in Urweiler, von denen noch sechs leben. Heute werden insgesamt neun Behinderte betreut.

Der Erfolg blieb nicht aus: Koepke, der frühere Superindent und langjähriges Lebenshilfe-Vorstandsmitglied, nennt das Beispiel eines Behinderten, der heute alleine sonntags den Gottesdienst besuchen und anschließend ein Schnitzel in einem Restaurant essen kann. Sein erster Schritt vom Bürgersteig auf die Straße sei ein kleiner Schritt für einen Menschen gewesen, „aber ein großer Schritt für die Menschlicheit.“

25 Jahre therapeutische Wohngruppe, das sei eine Erfolgsgeschichte, unterstrich Lebenshilfe-Geschäftsführer Peter Schön vor mehr als 200 Gästen. Vor 25 Jahren hätten diese behinderten Menschen noch in einer Tabuzone leben müssen. Sein Geschäftsführer-Kollege Hermann Scharf betonte: „Pädagogik und Liebe sind stärker als Medikamentation, stärker als Fesseln.“

Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) lobte den Mut der Beteiligten 1993, diesen Weg zu gehen: „Dieser Schritt war richtig und wichtig.“ Den Menschen mit Behinderung habe man die Hoffnungslosigkeit genommen, ihnen helfend und heilend zur Seite gestanden. Vieles habe sich zum Wohle der behinderten Menschen geändert. Hans: „Es braucht eine Gesellschaft, die bereit ist, Menschen mit Behinderung zu akzeptieren.“ Weiter: „Ich will im Saarland eine solche Gesellschaft haben.“

Landrat Udo Recktenwald (CDU) sagte, durch die dezentrale Unterbringung der behinderten Menschen habe man diese aus der Isolation in die Integration geholt: „Die Lebenshilfe hat dafür gesorgt, dass diese Menschen ein Gesicht, einen Namen bekommen haben. Sie gehören zu uns dazu.“ Die Dezentralisierung habe sich bewährt.

Das unterstrich auch die Bundesgeschäftsführerin der Lebenshilfe, Jeanne Nicklas-Faust: „Menschen mit Behinderung gehören dazu“. Sie dürften nicht fernab von ihren Familien in Anstalten untergebracht werden. Die Lebenshilfe gebe diesen Menschen ihr Leben zurück.

In einer Gesprächsrunde unter der Moderation von Joachim Weyand vom SR, unterstrichen Zeitzeugen die Bedeutung der therapeutischen Wohngruppe. Vom ersten Tag seiner Arbeit im Landeskrankenhaus habe er die Situation der Behinderten als schrecklich empfunden, sagte der damalige Leiter, Professor Wolfgang Werner. Das müsse sich ändern, habe er sich gesagt. Ein Chirurg wolle ja auch, dass ein Mensch wieder laufen könne und sein Bein nicht eingegipst bleibe. „Wenn ich Psychiater bin, will ich nicht, dass die Menschen eingesperrt sind, sondern dass sie ihr Leben leben können.“ So beschrieb er seine Triebfeder für die Reform.

Bernhard Müller, schon damals im Vorstand der Lebenshilfe, die ehemalige Sozialministerin Regina Görner und Maria Kessler, Mutter eines Behinderten, unterstrichen die Bedeutung der Wohngruppe. Kessler: „Wir haben hier eine Heimat gefunden.“

 Glückwunsch: Ministerpräsident Tobias Hans gratulierte Bernhard Müller, dem Vorsitzende der Lebenshilfe, zum 70. Geburtstag.

Glückwunsch: Ministerpräsident Tobias Hans gratulierte Bernhard Müller, dem Vorsitzende der Lebenshilfe, zum 70. Geburtstag.

Foto: B & K/Franz Rudolf Klos

Eine treibende Kraft dieser Erfolgsgeschichte ist Bernhard Müller, Vorsitzender der Lebenshilfe St. Wendel und des Landesverbandes. Er wurde am Donnerstag 70 Jahre alt. Klar, dass die Festredner ihm zu seinem Geburtstag gratulierten und sein langjähriges Engagement für die Lebenshilfe würdigten. Müller habe sich ganz in den Dienst der Menschen mit Behinderung gestellt, unterstrich Ministerpräsident Peter Hans: „Du hast Maßstäbe mit Deiner Lebensleistung gesetzt. Dafür dankt Dir das Saarland.“

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