Klartext „Vor uns liegen große Ungewissheiten“

Wohin geht die Reise – für Deutschland, für Europa? Der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete und Rechtsexperte Wolfgang Bosbach (66) im Interview.

 Wolfgang Bosbach war Gastredner der 28. St.Wendeler Wirtschaftstage im städtischen Saalbau.

Wolfgang Bosbach war Gastredner der 28. St.Wendeler Wirtschaftstage im städtischen Saalbau.

Foto: B&K/Bonenberger/

Wolfgang Bosbach, 23 Jahre für die CDU im Bundestag, war der Referent des 28. St. Wendeler Wirtschaftstages. Mit ihm unterhielt sich SZ-Redakteur Thorsten Grim.

Die Wirtschaft brummt, die Steuereinnahmen sprudeln. Es läuft gut in Deutschland und eigentlich könnte alles so bleiben, wie es ist, oder?

Wolgang Bosbach: Es stimmt, dass wir seit vielen Jahren eine sehr stabile Konjunktur haben. Es stimmt aber leider auch, dass erste Bremsspuren konjunktureller Art sichtbar werden – auch wenn im nächsten Jahr das Wirtschaftswachstum wieder steigen wird. Das liegt aber daran, dass wir 2020 einige Arbeitstage mehr haben als dieses Jahr. Vor uns liegen große Ungewissheiten. Das gilt für die Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump ebenso, wie für den Brexit. Deswegen müssen wir alles daran setzen, dass es nicht zu einem ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union kommt.

Es läuft also – zumindest noch – gut in Deutschland. In den zurückliegenden Jahren ging es mit der Wirtschaft stetig bergauf. Die Arbeitslosigkeit sinkt auf Rekordtiefs. Dennoch sind offenbar viele Menschen unzufrieden, was sich auch an den Ergebnissen für die AfD ablesen lässt. Wo liegt das Problem?

Bosbach: Ich bin der festen Überzeugung, dass mehr als die Hälfte der AfD-Wähler ihr Kreuz nicht deshalb bei der AfD machen, weil sie überzeugt sind, dass diese Partei eine bessere Politik macht als die etablierte Konkurrenz. Sondern aus Protest gegenüber der Politik anderer Parteien. Wir haben zwei große Themen, die mit dem Erstarken der AfD in Verbindung stehen. Das ist zunächst das Thema Euro-Rettungspolitik und EZB-Finanzpolitik. Nach dem Weggang von Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel war die AfD in schwerem Fahrwasser. Dann kam die Flüchtlingspolitik, und die hat ihr wieder neuen Wind unter die Segel gebracht. Wir haben in der Flüchtlingspolitik eine gespaltene Gesellschaft – es gibt große Zustimmung und es gibt große Kritik. Wenn es aber im Parlament keine leidenschaftliche Debatten über diese wichtigen Fragen gibt, und die gab es nicht, und sich viele Menschen nicht mehr wiederfinden mit ihren ganz alltäglichen Sorgen und Anliegen, dann wenden sich leider nicht wenige Protestparteien zu.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen, mit denen sich Deutschland – auch als größtes und wirtschaftsstärkstes Land der EU – aktuell konfrontiert sieht?

Bosbach: Wir haben eine ganze Reihe großer Herausforderungen, innen- wie außenpolitisch. Wir sehen, dass nationalistische Parolen wieder mehr Zustimmung bekommen, weil viele glauben, dass ein Wiedererstarken des nationalen Gedankengutes geeignet sei, die Zukunfts-Probleme zu lösen. Dabei wird übersehen, dass wir in einer globalisierten Welt politisch an den Rand gedrängt werden, wenn wir in Europa wieder in nationalstaatliches Verhalten zurückfallen. Es ist natürlich richtig: Vieles in Europa ist zäh, ist kompliziert. Nicht wenige leiden unter der Brüsseler Regulierungswut, mit der uns die Kommission ständig erfreut, mit neuen Richtlinien oder Verordnungen. Aber in einer Welt, in der wir eine völlig andere Ordnung haben als in der Nachkriegszeit und in der aus wirtschaftlicher Kraft auch politische entsteht, werden wir in Europa marginalisiert, wenn der europäische Gedanke an Bedeutung verliert.

Damit genau das nicht passiert, mahnt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron weitreichende Reformen innerhalb der EU an. Als Reaktion darauf hat CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ihre Vorstellungen und die der CDU artikuliert. Sind die Deckungsgleich mit denen des Herrn Bosbach?

Bosbach: Uneingeschränkt. Zumal mir persönlich viele Ideen des französischen Staatspräsidenten zu abstrakt sind. Nehmen wir doch nur mal den Gedanken einer gemeinsamen europäischen Sozialpolitik: Was würde das bedeuten für die politische Praxis? Der Lebensstandard ist in den noch 28 Mitgliedsländern der EU derart unterschiedlich, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass wir eine harmonisierte europäische Sozialpolitik hinbekommen, die sowohl für Luxemburg als auch für Deutschland und für Bulgarien passt. Beim Thema Banken-Union stellt sich die schlichte Frage: Warum sollen die Sparerinnen und Sparer in anderen Ländern für Fehlentscheidungen von Banken haften, auf deren Geschäftspolitik sie nie irgendeinen Einfluss hatten? Wenn wir den Zusammenhang auflösen zwischen Handlung und Haftung, dann wird es Staaten und Unternehmen geben, die Risiken eingehen, die sie nie eingehen würden, wenn sie wüssten, dass sie für die Folgen alleine haften.

Die Grünen gehen noch weiter: Nach deren Willen soll die EU eine föderale Republik werden, die sich auch um sozialen Schutz, innere Sicherheit und Verteidigung kümmert. Ort der Entscheidungen wäre dann das europäische Parlament. Aus ihrer Sicht also kein gangbarer Weg?

Bosbach: Richtig ist, dass wir das europäische Parlament stärken müssen, denn es ist kein Parlament im klassischen Sinne, weil es keine Gesetzgebungsbefugnis hat. Die politische Macht liegt ganz eindeutig beim Ministerrat und der EU-Kommission. Aber wenn die Grünen ernsthaft das Ziel verfolgen, dass die Mitgliedsstaaten der Union aufgehen in einem europäischen Superstaat, und dass die Nationalstaaten noch mehr eigene Kompetenzen an Brüssel abgeben sollen, dann bin ich der festen Überzeugung, dass Europa in den Herzen und Köpfen der Menschen nicht populärer wird, sondern dass die Skepsis weiter wachsen wird. Aber richtig ist: Eines Tages wird sich Europa entscheiden müssen, was die EU am Ende sein soll. Wollen wir einen mächtigen Zentralstaat Europa mit der Hauptstadt Brüssel? Oder wollen wir – und ich finde das ist ein sehr schöner Begriff von Charles de Gaulle – ein Europa der Vaterländer? Wo wir in den wichtigen Fragen, die die Nationalstaaten nicht mehr aus eigener Kraft erfolgreich beantworten können, enger zusammenarbeiten, wo aber die Mitgliedsstaaten auch eigenständige politische Kompetenzen behalten. Da wird sich die EU entscheiden müssen.

Nochmal zurück zu Annegret Kramp-Karrenbauer. Ist die ehemalige saarländische Ministerpräsidentin als CDU-Bundesvorsitzende in Berlin angekommen?

Bosbach: Wenn sie Ministerpräsidentin eines Bundeslandes sind, dann tragen sie nicht nur Verantwortung für dieses Land, wie Annegret Kramp-Karrenbauer für das Saarland, sondern aufgrund der starken Stellung der Länder tragen sie automatisch auch Verantwortung für Bundespolitik mit. Frau Kramp-Karrenbauer war ja auch einige Zeit Mitglied des Deutschen Bundestages, und ich glaube, sie brauchte jetzt gar keine Einarbeitungsphase in Berlin. Sie ist schon mit ihrer Wahl in Berlin angekommen.

Kann AKK Kanzlerin?

Bosbach: Das traue ich ihr uneingeschränkt zu, denn sie hat sich schon in vielen herausgehobenen öffentlichen Ämtern bewährt.

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