Braucht's Alkohol zum Erwachsenwerden?

Freisen · Der Parcours „Klar-Sicht“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung macht heute Station in der Gemeinschaftsschule Türkismühle. Zuvor konnten sich bereits Freisener Schüler über die Gefahren von Alkohol und Tabak informieren.

 Wie gefährlich ist rauchen? Das diskutiert Caroline Theis (links) mit den Siebtklässlern. In der Mitte: Jonas und Shani. Fotos: B&K

Wie gefährlich ist rauchen? Das diskutiert Caroline Theis (links) mit den Siebtklässlern. In der Mitte: Jonas und Shani. Fotos: B&K

Gekichere klingt durch die Turnhalle der Gemeinschaftsschule Freisen . "Ich seh nichts mehr", sagt eine Siebtklässlerin, während sie unsicheren Schrittes auf ihre Mitschülerin zutaumelt. Vorsichtig streckt sie ihre Hand aus, versucht mit ihrer Schulkameradin abzuklatschen. Doch sie verfehlt deren Hand. Verantwortlich dafür ist die Brille, die sie trägt. Diese erinnert vom Aussehen her an eine Taucherbrille. Doch ist es eine Rauschbrille. Deren spezielle Beschichtung simuliert, wie sich 1,3 Promille Alkohol auf den Sehsinn auswirken. "Drunk-Buster" ist der Name dieser Station, die Teil des Mitmach-Parcours "Klar-Sicht" ist. Damit möchte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf die Gefahren von Alkohol sowie Tabak aufmerksam machen.

Auf den ersten Blick wirkt das Taumeln belustigend auf die Schüler, doch der ernste Hintergrund dieses Experiments wird ihnen spätestens dann deutlich, als sie gefragt werden, wie viel Promille Alkohol diese Brille wohl simuliert. "Drei Promille", tippt eine Schülerin. Doch es ist viel weniger. Der Eigenversuch, sich mit der Rauschbrille fortzubewegen, hat die Siebtklässlerin Hannah nachdenklich gemacht. "Ich finde, dass Alkohol schon gefährlich ist. Da kann viel passieren", sagt sie.

Insgesamt umfasst der "Klar-Sicht"-Parcours fünf Stationen. Dazu gehört beispielsweise eine "Talkshow". Hier erfinden die Schüler eine Situation, in der ein Jugendlicher zur Flasche oder zur Zigarette greift. Anschließend zeigen sie als Experten Alternativen auf. An einer weiteren Station regt eine riesige Zigarettenschachtel zur Diskussion an. Denn die Riesen-Glimmstengel sind jeweils mit einem Schlagwort wie Passivrauchen beschriftet. "Die Zahl der rauchenden Jugendlichen ist auf einem Tiefpunkt", erklärt Ingrid Schmitt, Projektorganisatorin bei der BZgA. Aktuell seien lediglich zwölf Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen Raucher . Diese Zahl sei seit Jahren rückläufig. Was Alkohol betrifft, so gibt es sowohl einen positiven als auch einen negativen Trend. Wie Schmitt informiert, gaben bei einer Befragung der BZgA 30 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen an, noch nie Alkohol getrunken zu haben. Gleichzeitig belegt eine Studie, dass 17 Prozent der Jugendlichen in dieser Altersklasse sich mindestens einmal im Monat in einen Rausch trinken. Diesen Trend kann auch Gernot Müller, Chef der Polizeiinspektion Türkismühle, bestätigen: "Die Zahl der Fälle von so genanntem Komasaufen ist weiter ansteigend." Oft beginnt der Alkoholkonsum unschuldig. Ein Mixery-Getränk geht in der Gruppe rum. Was tun? Gruppenzwang sei ein großes Thema in der Pubertät, weiß Schoolworker Frank Seibert.

Der Mitmach-Parcour der Bundeszentrale ist eigentlich für Schüler im Alter von zwölf bis 18 Jahren konzipiert. In der Regel nehmen Achtklässler daran teil. An der Gemeinschaftsschule in Freisen und der Gemeinschaftsschule Türkismühle absolvieren bereits Sechstklässler die Stationen. Und das aus gutem Grund. "Elf ist das neue 14", sagt der Freisener Schulleiter Rolf Mohr. Günter Straub, stellvertretender Rektor in Türkismühle, pflichtet ihm bei: "Damit die Prävention greift, gilt: je früher desto besser." Sechstklässler würden auch häufig die älteren Mitschüler beobachten und überlegen, ob sie ihnen gleichtun sollen, weiß Cornelia Münz von der Suchtberatungsstelle Knackpunkt.

Das Verhalten anderer übernehmen. Erleben, dass Nikotin und Alkohol im Alltag beinahe selbstverständlich sind. Das macht es für Jugendliche schwer zu widerstehen. "Legalisierte Drogen vermitteln den Eindruck ungefährlich zu sein", mahnt Landrat Udo Recktenwald . Dennoch dürfe man den jungen Leute gegenüber nicht mit erhobenem Zeigefinger Verbote aussprechen. "Wir müssen sie überzeugen statt belehren", so Recktenwald. Und genau da setze der Parcours "Klar-Sicht" an. Schon die Jüngsten auf die Gefahren von Alltagsdrogen aufmerksam zu machen, hält auch Freisens Bürgermeister Karl-Josef Scheer für wichtig. Denn: "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr."

Gehören Alkohol trinken und Rauchen zum Erwachsenenwerden dazu? Das ist die zentrale Frage des Parcours. "Nein", sagt Hannah entschlossen. Ihr Schulkamerad Jonas differenziert: "Rauchen nein, Alkohol vielleicht."

Meinung:

Partystimmung ohne Promille

 Hannah mit Rauschbrille. Plötzlich ist das Abklatschen mit der Mitschülerin schwierig.

Hannah mit Rauschbrille. Plötzlich ist das Abklatschen mit der Mitschülerin schwierig.

Von SZ-Redakteurin Evelyn Schneider

Damit Jugendliche klar sehen, Gefahren von Alkohol und Tabak nicht unterschätzen, gibt es ein Projekt der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung . Eine gute Sache. Doch braucht es mehr, um langfristig das Komasaufen bei jungen Menschen abzustellen. Es braucht uns alle. Raucher werden ausgegrenzt, in Kneipen und Restaurants vor die Tür gesetzt, um ihren blauen Dunst in die Luft zu pusten. Wenig spannend! Alkohol hingegen gilt als Stimmungskanone, ist fest verankert in der Gesellschaft. Kein Empfang ohne Sekt, kein Dinner ohne Wein, keine Feier ohne Bier. Noch schlimmer: Es muss sich der erklären, der keinen Alkohol trinkt. Wie kann das sein? Wir müssen alle Vorbild sein und zeigen: Spaß geht auch ohne Alkohol.

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