Statt Kriegsgeheul Trommeln für den Frieden
SZ-Redakteur Thorsten Grim macht sich Gedanken zur Situation in der Ukraine und den Reaktionen der Nato-Staaten.

Krieg! Mir kommt es so vor, als heule dieser Ruf derzeit aus sämtlichen Nachrichtenkanälen. Nahezu täglich lassen Politiker neue Drohungen hageln – scharf, schärfer, am schärfsten. Immer größere Manöver werden in immer kürzeren Abständen abgehalten, immer näher an der Grenze zum ausgemachten Feind. Truppen und Kriegsmaterial werden verlegt, Waffen eingefordert. Schuld wird zugewiesen und Teufels Fratze an die Wand gemalt. Ist das noch Säbelrasseln? Oder sind wir bereits weiter, und in Europa – oder auf der ganzen Welt? – werden tatsächlich wieder die alten Schwerter gewetzt? Fast könnte man es meinen. Denn Stimmen, die zur Deeskalation mahnen, sind irgendwie leise, dringen nicht richtig durch oder scheinen nur ungern gehört zu werden. Nur Zähne zeigen zählt. Auch ist die Kritik, die aus dem In- und Ausland auf Deutschland einprasselt, weil es keine Waffen mehr in Krisengebiete liefern möchte, massiv. Es gibt übrigens keine Defensiv-Waffen, alles kann auch bei einem Angriff eingesetzt werden – selbst Helme, Schutzwesten und Lazarette. Stattdessen wird die Eskalationsschraube Windung um Windung tiefer eingedreht. Doch irgendwann ist halt Schluss. Nach „zu“ kommt „ab“, wie jeder Schlosser weiß. Ich bin definitiv kein Putin-Versteher, aber viele Erklärungen mancher Kommentatoren, was den Mann im Kreml antreibt, scheinen mir zu schlicht und von Scheuklappen verstellt. Auch wirkt unser Blick auf die Zustände und die Verhältnisse in der Ukraine oft nicht ehrlich. Das Land wird ob seiner Verfasstheit zumindest kurz- und mittelfristig gar nicht die Voraussetzungen erfüllen können, die ein Staat bringen muss, um Mitglied des westlichen Verteidigungsbündnisses zu werden – so man in der Nato denn seinen Grundsätzen treu bleiben möchte. Und nun, wie kommen wir da raus? Und will das auch jeder, oder gibt es maßgebliche Kräfte, die es tatsächlich knallen lassen wollen? Wenn nicht, wer muss dann den ersten Schritt zur Deeskalation machen? Auch da gibt es unterschiedliche Sichtweisen, die teils gute drei Jahrzehnte in die Vergangenheit reichen – ohne jetzt aufzählen und bewerten zu wollen, wer seither wann was gesagt, (nicht) getan oder welchen Vertrag gebrochen oder aufgekündigt hat. Denn am Ergebnis – das Schlamassel, in dem wir jetzt stecken – ändern Schuldzuweisungen nichts. Ich frage mich oft, was wohl der 2014 verstorbene Journalist und Publizist Peter Scholl-Latour zu dieser Misere sagen würde? Vielleicht, dass es in einer friedlichen Außenpolitik unabdingbar ist, dass man auch mal die Position des Gegenübers versucht einzunehmen. Um herauszufinden, was aus dessen Sicht notwendig ist, um Gegnerschaft in ein für alle gedeihliches Mit- und Nebeneinander zu transferieren. Russland ist Teil Europas. Und es sollte ein Mitspracherecht in der Ausgestaltung der europäischen Sicherheitsarchitektur bekommen. Das bedeutet für uns aber nicht, zu kuschen und alles zu akzeptieren, was der russische Bär mit haariger Tatze diktieren möchte. Das bedeutet lediglich, nicht dem Krieg das Wort zu reden. Ist das naiv? Mag sein. Aber ich denke, wir müssen jetzt trommeln für den Frieden.