Rallye Der Weltmeister gibt sich die Ehre

Bosen · Sébastien Ogier gilt als der derzeit beste Rallye-Fahrer, vier Mal in Folge wurde er zuletzt Weltmeister. Dennoch war lange nicht sicher, ob er in diesem Jahr am Start ist.

 Sebastien Ogier geht nach dem Rückzug von Seriensieger VW in diesem Jahr für das private Ford-Team M-Sport an den Start.

Sebastien Ogier geht nach dem Rückzug von Seriensieger VW in diesem Jahr für das private Ford-Team M-Sport an den Start.

Foto: @World

Die Abschlussfeier war bewusst schmal gehalten – es gab auch kaum was zu feiern. Zwei zweite und zwei dritte Plätze, wieder einmal hatte es keinen Sieg gegeben. Malcolm Wilson, der Chef des Rallye-Teams M-Sport, stand vor seiner Belegschaft, ließ das bescheidene Jahr 2016 Revue passieren und entschuldigte sich dafür, dass auch die geplante Vorstellung des neuen Boliden für die Rallye-Saison 2017 nun doch nicht stattfinden würde. Der obligatorische Applaus des Teams war eher verhalten. Wilson war bereits im Gehen, als er sich mit der Hand an die Stirn schlug und nochmal zurückkam. „Sorry. Mist. Eins habe ich noch vergessen“, sagte er mit betont gleichgültiger Miene. Kurze Pause, ein Grinsen fuhr in Wilsons Gesicht. „Sorry, aber… Ich habe ganz vergessen: Sébastien Ogier wird nächstes Jahr für uns fahren.“ Der zweite Teil des Satzes und der folgende Luftsprung des 61-Jährigen gingen unter im donnernden Jubel der kompletten Mannschaft.

Wilson hatte einen Coup gelandet. Der Rallye-Weltmeister der vergangenen vier Jahre startet 2017 nicht für eines der Werksteams der WM, sondern für ein Privatteam. Das wäre ungefähr so, als wenn Formel-1-Star Lewis Hamilton plötzlich für Force India Gas geben, oder Angela Merkel zu den freien Wählern wechseln würde.

Nach dem plötzlichen Rückzug seines Arbeitgebers VW aus der Rallye-WM stand Weltmeister Ogier am Saisonende zwar zunächst einmal auf der Straße. An Angeboten mangelte es ihm dennoch nicht, WM-Rückkehrer Toyota etwa gab der Franzose nach einem Test eine Absage. Stattdessen stieg er beim Team von Malcolm Wilson ein. „Das war mein schönstes Weihnachten“, sagt Wilson. „Hier waren immer schon alle topmotiviert. Aber danach hat jeder nochmal eine Schippe draufgelegt.“

Seit genau 20 Jahren ist der Brite, früher selbst WM-Pilot, mit seinem M-Sport-Team am Start. Von 1997 bis 2012 bildete seine Truppe das Ford-Werksteam, holte 2006 und 2007 den Hersteller-Titel. Immer zählten Wilsons Autos zu den besten im Feld. Doch in den letzten Jahren schien ein Fluch über dem Team zu liegen. Erst stieg Ford 2012 als Hersteller aus und Wilson musste die Autos für den Kampf mit der übermächtigen Werks-Konkurrenz auf eigene Kosten entwickeln. Zudem gab es jede Menge Pleiten, Pech und Pannen – und Patzer der Fahrer. Seit 2012 wartete das Team jedenfalls auf einen Sieg. Besonders viele verspielte es am jeweils letzten Rallye-Tag, dem Sonntag.

Überhaupt scheint der Sonntag nicht gerade der Glückstag des Teams zu sein. „Sonntags sollten wir in die Kirche gehen und keine Rallyes fahren“, stöhnte Technikchef Christian Loriaux einmal. Nur drei von vielen Beispielen: 2011 sprang bei Mikko Hirvonen die Motorhaube auf, er verlor viel Zeit – und am Ende den WM-Titel um einen Punkt. 2016 in Polen flog Ott Tänak kurz vor Schluss in Führung liegend der Reifen um die Ohren. Und das Kurioseste: Bei der Deutschland-Rallye 2006 tauchte vor Marcus Grönholm plötzlich eine Kuh neben der Strecke auf, Grönholm erschrak – und drehte sich.

Im Jubiläumsjahr läuft es nun deutlich besser. Auf Anhieb gewann Ogier den prestigeträchtigen Saisonauftakt in Monte Carlo und dann auch die Rallye-Portugal. In der WM-Wertung liegt er punktgleich mit Thierry Neuville im Hyundai an der Spitze. Doch der Titelverteidiger muss kämpfen – mehr als in den Vorjahren im überlegenen VW Polo. Und das auch, weil dem Privatteam im Kampf gegen die Werke die ganz großen (Geld) Mittel fehlen. Zuletzt flog Ogier, der sonst kaum mal einen Kratzer ins Blech fuhr, in Finnland böse ab, Beifahrer Julien Ingrassia zog sich eine Gehirnerschütterung zu.

 Malcolm Wilson, Chef des Teams M-Sport.

Malcolm Wilson, Chef des Teams M-Sport.

Foto: Ford

Ogier fühlt sich im Team wohl, doch er ahnt die Gefahr, im Titelrennen langsam ins Hintertreffen zu geraten. „Langfristig gesehen hat M-Sport alleine nicht die Ressourcen, um sich mit Werksteams zu messen“, sagt er. Es sei kein Geheimnis, dass er bei dem Team weitermachen wolle, aber die Bedingungen müssten stimmen. Heißt: größeres Budget für das Team – und Werksunterstützung. „Wenn Ford zurückkommt, bleibe ich“, sagt Ogier. Sollte er dieses Jahr tatsächlich Titel Nummer fünf in Folge einfahren, wäre das sein größter und schwierigster Erfolg. Ein Titel wäre zudem eine gute Entscheidungshilfe für Ford – und der nächste Begeisterungssturm bei der Saisonabschlussfeier wäre wohl auch gesichert.

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