Experten warnen Lockdown belastet Kinder besonders

Otzenhausen · Roland Ruttloff vom freien Jugendhilfeträger Idee.on spricht die seeliche Belastung an.

 Zwei Jungs füllen zuhause Lernbücher aus. Der bis Monatsende verlängerte Corona-Lockdown stellt nach Einschätzung der Idee.on   Kinder und Jugendliche vor besondere Probleme.

Zwei Jungs füllen zuhause Lernbücher aus. Der bis Monatsende verlängerte Corona-Lockdown stellt nach Einschätzung der Idee.on   Kinder und Jugendliche vor besondere Probleme.

Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Der erneute Lockdown und die damit verbundenen Bewegungseinschränkungen trifft die Jüngsten in unserer Gesellschaft besonders hart. „Von ihrer gewohnten Freizeit haben die Kinder und Jugendlichen fast nichts mehr. Sie gehen auf dem Zahnfleisch, obwohl dies quantitativ nicht zu belegen ist“, meint Roland Ruttloff, Geschäftsführer des freien Jugendhilfeträgers Idee.on in Otzenhausen. Durch den anhaltenden Lockdown, verbunden mit Vorschriften, die das Treffen von Freunden erheblich eingrenzt, werde es immer schwieriger, den Nachwuchs zu motivieren. „Je älter sie sind, umso schwieriger wird es“, stellt Ruttloff fest.

Um den Alltag des Nachwuchses hat sich wochenlang ein regelrechtes Gezerre von Schulschließung bis Wechselunterricht auf der politischen Bühne zugetragen. Bis zuletzt hat sich der Jugendhilfeträger klar positioniert und dafür plädiert, dass die Schulen so lange wie möglich geöffnet bleiben. „Es ist wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen in die Schule gehen konnten. Sie waren sehr diszipliniert und haben die vorgeschriebenen Hygieneregeln gut umgesetzt“, sagt Idee.on-Mitarbeiter und Erziehungswissenschaftler Philipp Mattern. Eine vorzeitige Schulschließung hätte für den Nachwuchs einen herben Verlust dargestellt, sagte er noch vor den Weihnachtsferien. „Auch für die Eltern. Für sie bedeutet eine Schulschließung Mehrbelastung, viele haben ja schon die Urlaubstage für die Betreuung ihrer Kinder opfern müssen. Sie sind weitaus mehr gefordert, als sonst“, sagte Mattern.

Die Schule als sozialer Ort, so sagt Ruttloff, sei „Ultima Ratio“. Durch eine frühe Schulschließung wären dem Nachwuchs wichtige soziale Kontakte verloren gegangen. „Wenn alles zugemacht wird, bröckelt doch auch die Solidarität der Eltern“, meint er. Und der so genannte Hybridunterricht könne – je nach Bildungsstand und den technischen Voraussetzungen – eine Benachteiligung darstellen.

Ein weiterer und wichtiger Punkt sei auch der Kontakt zu den Schulsozialarbeitern. „Ihnen können die Schüler offen ihre Sorgen und Nöte mitteilen, und zudem werden sie von der Schulseite zurate gezogen. Dadurch haben die Kinder einen wichtigen Anker“, sagt Ruttloff. Der Stellenwert des Schulsozialarbeiters sei in der Corona-Krise deutlich angestiegen und deren individuelle Beratungsangebot stark frequentiert worden. „Die Gefährdungsfälle haben nicht zugenommen, was man allerdings auch nicht verifizieren kann“, so sein Eindruck.

Ein komplettes Netzwerk mit den Familienberatungszentren kümmere sich um die Belange der Kinder. „Eine niederschwellige Hilfestellung ist für die weitere Entwicklung der Kinder von enormer Bedeutung“, hebt er heraus. Der Teil-Lockdown ab November und nun das ab dem 16. Dezember völlige Herunterfahren des öffentlichen Lebens wirke sich stärker auf den Lebensbereich und die Entwicklung der Jugendlichen aus als im Frühjahr. „In der dunklen Jahreszeit haben sie kaum noch einen Ausgleich. Das ganze Freizeitangebot ist weg. Ohne Schule, teils ohne Freunde, kein Wunder, wenn den Kindern dann die Decke auf den Kopf fällt. Das sind auch seelische Belastungen“, mahnt Ruttloff. Jugendliche ab dem Alter von 14 Jahren seien besonders betroffen. „Die wollen doch raus und was sehen und erleben. Aber seit neun Monaten hatte diese Altersgruppe rein gar nichts mehr“, gibt er zu bedenken.

Nach dem ersten Lockdown hat der Jugendhilfeträger die Erfahrung gemacht: „Wenn es Angebote gibt, stehen die Kinder und Jugendlichen parat.“ Beispielsweise auch im Sport. „Wenn die Kinder heute wieder zum Fußballtraining kommen könnten, sie würden den Sportplatz stürmen“, weiß Ruttloff, der nebenher als Jugendtrainer tätig ist. In vielen Bereichen gehe die Jugend während der Corona-Pandemie als Verlierer vom Platz. Deshalb fordert der Geschäftsführer des Jugendhilfeträgers im Kreis: „Man darf die Kinder und Jugendlichen nicht als Risiko sehen, sondern muss sie als Ressource verstehen.“ Auch die Arbeit mit den Jugendclubs im Kreis sei belastet. „Mit ihrem ehrenamtlichen Engagement bringen sich die Jugendclubs in das Ortsgeschehen ein, konnten aber in diesem Jahr so gut wie nichts machen“, blickt Mattern zurück. Seine Befürchtung: „Es kann sein, dass eine ganze Generation an aktiven Jugendlichen verloren geht.“ Der Jugendhilfeträger hat seine Online-Angebote umgestellt, der neuen Situation angepasst und setzt nun mehr auf Mitmachangebote.

Weitere Infos gibt es unter der Telefonnummer (0 68 73) 668 290 oder im Internet:

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