100 Jahre VHS in Deutschland Volkshochschule so aktuell wie eh und je

St. Wendel · Seit 100 Jahren gibt es VHS in Deutschland. Im St. Wendeler Land seit dem Jahr 1957. Erwachsenenbildung ist nach wie vor aktuell und wichtig. Wir sagen warum.

 Gesundheit- und Fitness-Angebote spielen bei der Kreis-Volkshochschule eine wichtige Rolle. Dieses Symbolbild zeigt Teilnehmer beim Pilates.

Gesundheit- und Fitness-Angebote spielen bei der Kreis-Volkshochschule eine wichtige Rolle. Dieses Symbolbild zeigt Teilnehmer beim Pilates.

Foto: Hörnhager/dpa

Mengenlehre, das war in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts für viele Eltern ein Graus. Ihre Kinder hatten plötzlich Mengenlehre in der Schule. Wie ihnen bei den Hausaufgaben helfen, wenn man selbst keine Ahnung von dem Fach hat? Die Antwort gab es bei der Kreisvolkshochschule St. Wendel, die bot 1973 den Kurs „Einführung in die Neue Mathematik für die Eltern der Schulneulinge“  an. Fortbildungskurse widmeten sich dann für die zweiten und dritten Klassen intensiver dem Lehrbuch „Die Welt der Zahl – Neu“. Was für ein Glück. Die Kreis-VHS war wieder einmal auf der Höhe der Zeit.

Ein Anspruch, den sie auch heute noch hat. „Es ist wichtig, dass wir mit der Zeit gehen, neue Trends suchen und aufgreifen“, unterstreicht Fatma Hinsberger, Leiterin des Kultur- und Bildungs-Institutes (Kubi) des Landkreises St. Wendel. Dazu zählen auch spezielle Angebote für bestimmte Altersgruppen, betont sie. Das Kubi ist Träger der Kreis-VHS, die in allen Gemeinden im Landkreis Außenstellen hat, außer in St. Wendel. Die Stadt unterhält nämlich eine eigene VHS.

Fatma Hinsberger und Landrat Udo Recktenwald (CDU) berichten im SZ-Gespräch über die aktuelle Situation der Kreis-VHS und ihre Geschichte. Der Hintergrund: Die Volkshochschulen in Deutschland feiern in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Allerdings ist die Kreis-VHS wesentlich jünger. Das hat mit der Geschichte des Saarlandes und des Landkreises St. Wendel zu tun.

Blicken wir zurück: 1919 gilt als Gründungsjahr der Volkshochschulbewegung in Deutschland. Denn in der Verfassung des Deutschen Reiches von 1919 heißt es: „Das Volksbildungswesen, einschließlich der Volkshochschulen, soll von Reich, Ländern und Gemeinden gefördert werden.“

Diese Verfassung galt jedoch nicht für das Saargebiet, das ja nicht Teil des Deutschen Reiches war. Aber auch hier gab es vor 100 Jahren schon Angebote zur Weiterbildung. Diese kamen im St. Wendeler Land von Verbänden, Institutionen und Kammern. In der Stadt St. Wendel machte der Kaufmännische Verein mit Vorträgen von sich reden. So gab es 1924 einen über indische Fakire und Yogis, oder über chinesische Kultur und Sizilien. Aber auch zur Geschichte der Stadt St. Wendel.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Volksbildungswesen 1947 in der saarländischen Verfassung festgeschrieben. In St. Wendel gab es Französischkurse und Tanzkurse. Die berufliche Fortbildung mündete in die 1953 gegründete technische Abendschule.

1957 schlug dann im St. Wendeler Land die Geburtsstunde der Kreis-Volkshochschule, auch wenn sie sich damals noch Volksbildungswerk nannte. Auf Vorschlag des Landrates Paul Schütz beschloss der Kreistag die Einrichtung eines Volksbildungswerkes für die Landgemeinden. Träger war der Landkreis. 1957 war auch die Geburtsstunde der städtischen St. Wendeler VHS. 1957 kamen zu 78 angebotenen Veranstaltungen der Kreis-VHS 9995 Besucher. 1958 waren  es schon 12 540 bei 113 Einzelveranstaltungen. Der Schwerpunkt lag bei Dia-Vorträgen, Film- und Liederabenden. Im Kreishaushalt 1958 stellte der Kreistag eine Million französische Franken für das Kreisvolksbildungswerk zur Verfügung. Das waren umgerechnet etwa 10 000 Mark. Ein Zuschuss in gleicher Höhe kam vom Kultusministerium.

Schon in den sechziger Jahren ging die Besucherzahl zurück. 1966 kamen zu 105 Veranstaltungen noch 7305 Gäste. Im gleichen Zeitraum wuchs auch die Zahl der Haushalte stark an, die einen eigenen Fernseher hatten.

Etwa die Hälfte der Vortragsthemen in den ersten zehn Jahren widmete sich der Heimat-, Länder- und Völkerkunde. Ein Viertel der Literatur, Musik und Kunstkritik. Ein Fünftel der Angebote  entfiel auf Naturwissenschaft und Technik, fünf Prozent auf politische Bildung.

Die Schwerpunkte haben sich in den folgenden Jahrzehnten deutlich verändert. Heute stehen mit 69 Prozent Gesundheitsangebote im Vordergrund. Es folgen Sprachen mit 13 Prozent, Kultur und Gestalten ebenfalls mit 13 Prozent. Arbeit und Berufsthemen spielen mit fünf Prozent eine untergeordnete Rolle. Themen aus den Feldern Gesellschaft, Theologie und Umwelt machen gerade mal ein Prozent aus.

Waren es in den sechziger Jahren vorwiegend Einzelveranstaltungen, so verlagerte sich die Nachfrage schon ein Jahrzehnt später auf Kurse. In den achtziger Jahren war die Nachfrage nach beruflicher Bildung groß, ab den neunziger Jahren ging es hin zu Gesundheit und Sprachen.

Noch ein Blick in die Chronik: 1971 verabschiedete der Kreistag eine neue Satzung für das Kreisvolksbildungswerk. Günter Stoll wurde neuer pädagogischer Leiter, ein Ehrenamt, das er bis 1989 ausfüllte. In den Gemeinden organisierten ehrenamtliche Außenstellenleiter die Angebote vor Ort. Noch 1973 gab der Kreistag dem Bildungswerk seinen bis heute gültigen Namen: Kreisvolkshochschule. 1975 kam die Musikschule unter das Dach der Kreis-VHS. Heute ist ein eigenständiger Verein Träger der Musikschule. 1992 gründete der Landkreis das Kultur- und Bildungsinstitut, eine Art Eigenbetrieb des Landkreises. Dieses wurde Träger der Kreis-Volkshochschule.

Deren Kurse nach wie vor große Resonanz finden. Ein Beispiel: 2017 standen 386 Kurse und Veranstaltungen im Programm. Diese umfassten insgesamt 16 359 Unterrichtsstunden und wurden von 5044 Teilnehmern besucht. Unterrichtet wird in insgesamt zwölf Außenstellen. Für die Kreis-VHS arbeiten etwa 160 Dozenten.

Auch nach 100 Jahren: Für Landrat Udo Recktenwald hat die Erwachsenenbildung nicht an Bedeutung verloren: „Das ist auch Daseinsvorsorge“, sagt er. „Mit der Kreis-VHS können wir jedem lebenslanges Lernen anbieten.“ Und das kostengünstig. Der Landrat: „Denn dieses Lernen darf nicht vom Geldbeutel des Einzelnen abhängen.“ Deshalb unterstützt der Landkreis nach wie vor über das Kubi finanziell die Arbeit der Kreis-VHS.

Und investiert auch in die Gebäude. So muss das Kultur- und Bildungsinstitut in der Werschweilerstraße in St. Wendel dringend saniert werden. Gebaut wurde dieses 1912 für die Landwirtschaftsschule. Seit 1992 ist es das Domizil des Kubi. Bei dem Bauvorhaben werden die Schulungsräume auf einen technisch modernen Stand gebracht. Für die Barrierefreiheit wird ein Aufzug sorgen, der Brandschutz muss verbessert, die Haustechnik erneuert werden. Etwa 900 000 Euro sind dafür vorgesehen. Im Herbst soll es losgehen.

Die Verantwortlichen im Landkreis denken für die Zukunft über spezielle Angebote für Kinder- und Jugendliche nach, aber auch für Senioren. Warum nicht mal wieder einen Nähkurs für junge Menschen anbieten? Auch will Recktenwald das Thema politische Bildung stärken: „Es ist wichtig in der heutigen Zeit, das Wissen und das Verständnis für die Demokratie zu stärken.“ Und auch die Digitalisierung soll eine größere Rolle spielen. Sogenanntes E-Learning zum Beispiel durch Angebote, die man bequem von Zuhause aus übers Internet nutzen kann.

Volkshochschule, auch wenn der Name heutzutage vielleicht ein wenig altbacken klingen mag, Volkshochschule hat auch nach 100 Jahren nichts an Bedeutung und Aktualität verloren.

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