Spart das Saarland bei behinderten Kindern?

Saarbrücken. Eltern behinderter Kinder sind empört: Sie befürchten, die Landesregierung setzt bei den Integrationshilfen den Rotstift an. Ärger macht sich breit, nachdem in saarländischen Förderschulen für Körper- und Geistigbehinderte unangemeldete Überprüfungen des so genannten Betreuungsbedarfs stattfanden

Saarbrücken. Eltern behinderter Kinder sind empört: Sie befürchten, die Landesregierung setzt bei den Integrationshilfen den Rotstift an. Ärger macht sich breit, nachdem in saarländischen Förderschulen für Körper- und Geistigbehinderte unangemeldete Überprüfungen des so genannten Betreuungsbedarfs stattfanden. Soll heißen: Fachleute des Landesamtes für Soziales ermittelten, in welchem Umfang behinderte Kinder im Schulalltag durch Integrationshelfer begleitet werden. "Wir arbeiten nach Recht und Gesetz", entgegnet das von Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) geführte Sozialministerium. 200 Bewilligungsbescheide an die Eltern seien in Bearbeitung. Bildungsminister Klaus Kessler (Grüne) hatte erst kürzlich das Modell-Projekt "Inklusive Schule" vorgestellt, das eine verbesserte Förderung behinderter Kinder vorsieht.Sei früher meist nach Aktenlage entschieden worden, hätten sich jetzt Mitarbeiter des Landesamtes vor Ort ein genaues Bild gemacht, um den Umfang der individuellen Hilfe festzulegen, erläutert Michael Schley (Foto: privat), im Ministerium stellvertretender Leiter der Abteilung Soziales, im SZ-Gespräch. Er verteidigt die von Eltern kritisierten unangemeldeten Besuche. Schließlich wolle man eine echte Schulalltags-Situation vorfinden, so Schley.

Wird demnach genauer hingeschaut, um angesichts maroder Landesfinanzen Einsparungen vorzunehmen? Abteilungsleiter Bernd Seiwert (Foto: privat) winkt ab. "Wir schauen genauer hin, weil es in den vergangenen Jahren einen Boom bei Integrationshelfern gegeben hat", argumentiert er. Seien es 2004 noch 125 zu betreuende Kinder gewesen, sei ihre Zahl im vergangenen Jahr auf 297 gestiegen. Eine Steigerung um rund 140 Prozent. Die Kosten für die Helfer seien von 800 000 auf 3,7 Millionen Euro angewachsen. Mit dem Geld zahlen Integrationshilfe-Träger wie die Lebenshilfe die bei ihnen angestellten Betreuer. Seiwert: "Vor dem Hintergrund einer solchen Entwicklung stellt sich natürlich die Frage, ob das Geld richtig angelegt ist, ob es nach Recht und Gesetz ausgegeben wird." Bei den Überprüfungen sei deutlich geworden, dass es "eine ganze Reihe" von Schulklassen mit zu vielen Betreuern gebe, die die Behinderten bis zum Nachmittag versorgten. "Wir haben in Einzelfällen festgestellt, dass Integrationshelfer auf dem Flur warten, bis sie per Handy gerufen werden", sagte Seiwert.

Für Unmut bei den Eltern sorgt ein weiteres Vorgehen des Sozialministeriums: So sollen künftig die Kosten für die Integrationshilfe behinderter Kinder in Regelschulen mit Ganztags-Angebot nicht mehr komplett übernommen werden. Im Klartext: Nur noch für rein schulische Maßnahmen wie die Hausaufgabenhilfe am Nachmittag zahlt das Land. Für betreute Freizeit-Aktivitäten beispielsweise müssen die Eltern in die Tasche greifen. Dies gelte auch für Ferienmaßnahmen. Schley: "Wir haben Verständnis für den Unmut der Eltern, müssen aber erstmals genau die Vorgaben aus dem Sozialgesetzbuch praktizieren.." Als Nehmerland im Finanzausgleich müsse sich das Saarland streng an die gesetzlichen Vorgaben halten. Schley erinnerte daran, dass es für die Beteiligung der Eltern eine gesetzlich festgeschriebene, einkommensabhängige Staffelung mit "sehr hohen Freigrenzen" gebe. Für eine Familie mit zwei Kindern liege der Betrag "deutlich über 2000 Euro".

Meinung

Mehr Sensibilität, bitte!

Von SZ-RedakteurGuido Peters

Die Leistungen für behinderte Kinder sind ins ministerielle Sparvisier geraten. Bei diesem Thema ist hohe Sensibilität gefragt, keine Ruckzuck-Streichpolitik. Schließlich geht es um die schwächsten Mitglieder in unserer Gesellschaft, die mit allen erdenklichen Hilfen eine angemessene Schulausbildung erhalten sollen. Der saarländische Ministerpräsident hat kürzlich seine Partei ermahnt, in der Nach-Müller-Ära das Soziale nicht aus den Augen zu verlieren. Seiner Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer bietet sich jetzt die Chance, der Aufforderung nachzukommen. Bevor bei Behinderten gespart wird, lässt sich der Rotstift noch an anderen Ecken und Enden ansetzen.

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