Sorry Chef, dass ich so spät war

Meinung:

Sorry Chef, dass ich so spät war

Von Fabian Bosse

Das Schöne an Kindern ist eigentlich, dass sie uns in vielen Dingen überlegen sind. Nun gut, sie räumen nicht von alleine auf, bringen mehr Probleme als Lösungen nach Hause, sie rauben uns Schlaf und sorgen dafür, dass wir ruck, zuck nicht mehr heiß aussehen, sondern wie Muttis und Vatis. Aber es gibt auch Dinge, die wir erst wieder sehen, wenn wir Kinder haben. Zum Beispiel, dass Schnee nicht nur Staus und Schmutz verursacht, sondern das wohl Großartigste ist, was uns die Natur so kostenlos zur Verfügung stellt. Da bin ich natürlich nicht sofort drauf gekommen. Hat ein bisschen gedauert. Und zwar die Hälfte des Weges zum Kindergarten. Das war so 'ne Art Lehrstunde in Sachen Lebensfähigkeit. Die ersten fünfhundert Meter zerren und ziehen am Kind, die Uhr fest im Blick. "Nun komm, wir sind spät." Als Antwort kam aber kein "Ich werde mich bemühen, dass du noch zeitig ins Büro kommst und für unser Auskommen sorgen kannst, oh geliebter Vater". Nee. Nur: "Guck mal, wie der Schnee einfach so runterfällt vom Himmel und bei allen auf dem Kopf landet. Wie witzig." Oder: "Ich kann sogar die Flocken mit der Zunge fangen." Nach zehn Minuten hab ich aufgegeben zu ziehen. Zwar noch ein wenig missmutig zu Boden gestarrt, aber dann die Mundwinkel doch ein wenig nach oben gezogen. Das muss man nämlich fast automatisch, wenn man mal nach oben schaut und einem die Eiskristalle ins Gesicht fallen. Wie still es wird, wenn der Schnee den Lärm dämpft. Wie lang die Spuren sind, die man auf seinem Weg durch die Stadt zieht. Wie schön es knirscht, wenn der Fuß auf den Boden drückt, und wie herrlich es ist, wenn man mit Anlauf über den Gehweg schlittert. Der Weg zum Kindergarten hat doppelt so lange gedauert wie sonst. Da ist wohl 'ne Entschuldigung fällig: "Sorry Chef, dass ich so spät kam. Aber dafür kann ich jetzt wieder Schneeflocken mit der Zunge fangen!"

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