Bildungspolitik Jeder dritte Schüler ist Ganztagsschüler

Saarbrücken · Das Bildungsministerium kontrolliert jetzt Muttersprachenlehrer, wie Minister Commerçon am Mittwoch erklärte.

 7011 von 90 350 Schülern an allgemeinbildenden Schulen im Saarland nehmen an einem echten Ganztagsschulangebot teil, das sind 7,7 Prozent.

7011 von 90 350 Schülern an allgemeinbildenden Schulen im Saarland nehmen an einem echten Ganztagsschulangebot teil, das sind 7,7 Prozent.

Foto: dpa/Felix Heyder

Genug an Bildung kann es nie geben. Also sitzen Kultusminister auf einem heißen Stuhl. Nie sind Elternvertretungen, Lehrerverbände oder die Opposition zufrieden. Auch gestern schickte die Landeselterninitiative, kaum war das Sommergespräch mit Ulrich Commerçon (SPD) zu Ende, eine relativierende Pressemitteilung. Alles nur halb so toll, wie verkündet! Derweil hatte Commerçon, der gerade mit dem Finanzminister um das Aussetzen der Stelleneinsparungs-Vorgaben ringt („Bildung muss Geld kosten!“), eine erstaunliche Botschaft im Gepäck für die Journalistenrunde: „Es genügt nicht mehr, zusätzliche Lehrerwochenstunden ins System zu pumpen!“ Vielmehr müssten sich die Schulen jetzt auch qualitativ weiterentwickeln. Sie hätten mit zunehmender Heterogenität nicht nur der Schüler, sondern mit einer Elternschaft zu kämpfen, die sie als „kostenfreien Dienstleistungsbetrieb“ ansähen. Deshalb habe das Ministerium in Kooperation mit der Schulakademie das wissenschaftlich evaluierte Projekt „Schulen stark machen“ aufgelegt: Coaches beraten 18 hiesige Schulen in Sachen Schulentwicklung. Zudem kündigte Commerçon an, zwei Millionen Euro mehr in die multiprofessionellen Teams an Schulen zu stecken. Die Kabinetts-Entscheidung, die derzeit auf drei Ministerien, auf Wirtschaft, Bildung und  Soziales, verteilte Finanzierung und Zuständigkeit für Schulsozialarbeit endlich in eine Hand zu legen, stehe kurz bevor.  „In welche Hand“, das sei jedoch noch nicht entschieden.  Und von wegen Lehrermangel! Noch nie habe es eine derart gute Stellenbesetzungsquote gegeben, sagte Commerçon, – annähernd 100 Prozent. Die hohe Zahl nur befristet eingestellter Lehrer, für die Commerçon aktuell viel Kritik einstecken musste, ist deshalb für ihn  „systemlogisch“. Bei dauerhaften Ausfällen (Krankheit, Sabbatjahr, Elternzeit) würden eben viele Lehrer hinzu engagiert, aber nicht dauerhaft.  Das Saarland belegt laut Commerçon im Bundesvergleich bei der Schüler-Lehrer-Relation an allgemeinbildenden Schulen den dritten Platz. Schleswig-Holstein den letzten, obwohl dieses Bundesland doch Spitze sei in Sachen Bildungsfortschritt. Was zeige, dass es auch noch ganz andere Erfolgsfaktoren gebe.

Etwa die Ganztagsbeschulung. Für Commerçon ist dies „die wesentliche Antwort“ auf die Forderung nach Bildungsgerechtigkeit. Und just hier hat er Rekordzahlen parat. Jeder dritte Schüler nimmt ab diesem Schuljahr ein Ganztagesangebot wahr,. davon sind 7000 an echten Ganztagsschulen. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies eine zwölfprozentige Steigerung im Ganztagsbereich. Commerçon: „Wir zwingen niemanden, es gibt Wahlfreiheit. Da sage mal einer, Politik könne nicht gestalten!“ Allein die gebundenen (echten) Ganztags-Gemeinschaftsschulen melden ein Plus von 27 Prozent. Bei den freiwilligen Ganztagsschulen lag das Plus nur bei zwei Prozent. Für den Minister die Bestätigung für seinen Ausbau-Kurs der echten Ganztagsschulen. Insgesamt gibt es 31 echte Ganztagsschulen im Saarland, darunter kein einziges Gymnasium.

 Außerdem servierte der Minister die üblichen Statistiken zum Schuljahresbeginn. Die in den vergangenen Jahren gemeldeten Zuwächse in den Schülerzahlen scheinen gestoppt. Am Montag werden 7950 Erstklässler eingeschult – das liegt auf Vorjahresniveau. Auch an Gymnasien und Gemeinschaftsschulen bleiben die Zugangs-Zahlen stabil.

Eine Neuerung betrifft Kinder mit Migrationshintergrund. Sie sollen jetzt erstmals von staatlichen Lehrern in ihrer Muttersprache unterrichtet werden. Freiwilliger Ergänzungsunterricht (zwei Wochenstunden) wird ab September in Italienisch, Russisch, Türkisch und Arabisch angeboten, nachmittags. Er steht allen Kindern, unabhängig von ihrer Herkunft, offen. Bisher übernahmen den von der Kultusministerkonferenz gewünschten herkunftssprachlichen Unterricht Konsulatslehrer, die  von den jeweiligen Staaten entsandt und bezahlt wurden. Commerçon nannte dies gestern eine „Billiglösung“. Ab jetzt  bestimmt das Kultusministerium Personal und Lehrinhalte. Etwa 22 saarländische Lehrer übernehmen die Aufgabe, der genaue Bedarf wird noch ermittelt. Langfristig soll der muttersprachliche Unterricht, wie in einigen anderen Bundesländern bereits praktiziert,  die dritte Fremdsprache ersetzen können und Pflichtfach werden.

2017 hatte Commerçons Ankündigung einer Neuregelung für hohe Medien-Wellen gesorgt. Gestern erläuterte er noch einmal die Gründe dafür: Es sei ihm insbesondere im Hinblick auf die türkischen Kinder „nicht wohl“ bei der Vorstellung, dass an den Schulen Unterricht ohne staatliche Aufsicht stattfinde. Für unangekündigte Kontrollen im Konsulatsunterricht gebe es keine Handhabe. Früher sei dies womöglich unproblematisch gewesen, so der Minister, heute  gehe das nicht mehr. Jedoch sei es wichtig, die Stärken jedes Kindes zu fördern, dazu zähle auch die Ressource Muttersprache.

 Saar-Bildungsminister Ulrich  Commerçon (SPD).

Saar-Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD).

Foto: SPD-Landtagsfraktion/Tom Gundelwein/Tom Gundelwein

12 000 Schüler aus anderen Herkunftsländern besuchen hiesige Schulen, darunter sind 4500 aus arabischen Herkunftsländern, vorrangig aus Syrien. Die Zahl türkischstämmiger Kinder sei, weil sie von den Schulen nicht eigens erfasst wird, nicht bezifferbar. Laut Minister betreut das türkische Konsulat bisher 719 Schüler im Unterricht.

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