So kommt die Kohle ins Köllertal

Köllertal. Es ist morgens 7 Uhr, noch dunkel. Dirk Göllen ist mit seinem leeren Laster unterwegs nach Neunkirchen-Sinnerthal zur Ladestelle, um acht Tonnen Kohle zu laden. Drei Kunden wird er bei seiner ersten Tour in Riegelsberg und Heusweiler damit beliefern, alle Mitarbeiter oder ehemalige Mitarbeiter der Ruhr-Kohle AG, Rentner und Witwen

Köllertal. Es ist morgens 7 Uhr, noch dunkel. Dirk Göllen ist mit seinem leeren Laster unterwegs nach Neunkirchen-Sinnerthal zur Ladestelle, um acht Tonnen Kohle zu laden. Drei Kunden wird er bei seiner ersten Tour in Riegelsberg und Heusweiler damit beliefern, alle Mitarbeiter oder ehemalige Mitarbeiter der Ruhr-Kohle AG, Rentner und Witwen. Sie beziehen so genannte Deputatkohle als Teil des Gehalts oder der Rente. Geliefert wird ausschließlich Anthrazit, eine besonders harte und energiereiche Steinkohle. Sie kommt genau daher, wohin viele Bergarbeiter aus dem Saarland pendeln werden, wenn hier die letzte Grube 2012 dicht gemacht wird: aus Ibbenbüren.

Dirk Göllen fährt schon seit 20 Jahren Kohle, lange bevor es hier Anthrazit gab. Das wurde erst 2002 eingeführt, nachdem die Koks-Vorräte der Kokerei Fürstenhausen aufgebraucht waren. "Damals hatten wir es hier in praktischer Nähe", zum Laden musste er immer nach Völklingen. "Damals waren die Schlangen so lang, das hat locker gereicht, um einen Roman zu lesen", sagt Göllen, halb im Scherz, mit reichlich Nostalgie.

Auch der Lkw ist ein Relikt der 80er, ebenso wie die meisten anderen Lastwagen in der Branche, wie sich bei der Ankunft in Neunkirchen am Ladeplatz Hermine zeigt. "Einen neuen Lkw zu kaufen, das lohnt sich nicht mehr", sagt Göllen. Denn auch Ibbenbüren wird in acht Jahren schließen und dann ist mit der Deputatkohle wohl endgültig Schluss.

Am Ladeplatz steigt Göllen vom Bock und gibt Din A5 große, weiße Zettel in einem fast ebenso weißen Container ab, der Verladestelle. Danach fährt er den LKW auf die Waage vor dem Container. Sie misst die genaue Menge, die der Bagger von gegenüber auflädt. Zweimal 2,5 Tonnen, einmal drei Tonnen sind es heute. Zurück auf der Straße kriecht Göllens Laster mit 35 Stundenkilometer den Berg hoch.

"Es wäre schlimm gewesen, wenn mein Großvater die Firma hätte aufgeben müssen", sagt der 42-Jährige. Als gelernter Autoschlosser wechselte er 1990 in das Familienunternehmen, das seine Mutter, Christel Göllen, als Containerdienst weiterführte; Kohle ist neben Kies und Baumaterialien ein kleinerer Geschäftszweig.

Aussterbende Branche

Insgesamt sind es fast vierhundert Kunden, die Göllen mit Anthrazit beliefert. Das Liefergebiet vergrößerte sich, weil andere Händler aufhörten.

Auch Bergmann Thomas Dietz (49) ist erst seit knapp vier Jahren Kunde. Er hat Urlaub und wartet schon, als Göllens Kipplaster vorfährt. Das Abladen funktioniert heute fast staubfrei, weil es kalt ist. Göllen kippt die Ladung bei Dietz auf den Bürgersteig. "Ich heize nur mit Anthrazit", sagt der und hat schon die Schubkarre bereitgestellt, um die Steinkohle in den Keller zu transportieren.

Nicht immer trifft Göllen seine Kunden auch zu Hause an, manchmal lädt er einfach nur ab, im Vorgarten oder in der Hauseinfahrt. So zum Beispiel bei Heiko Krieger, Bergmann seit 1983. Auch er heizt im Winter komplett mit Kohle, "weil sie wärmer ist als Öl oder Gas". Durch einen Schacht an der Hauswand schiebt er die gelieferte Kohle direkt in den Keller. Heiko Krieger ist Bergmann in der zweiten Generation. Er gehört zu denen, die nach Ibbenbüren gehen werden, wann genau steht noch nicht fest.

Im Keller legt Mutter Erika Krieger fünf mal am Tag die Kohlen nach. "Ich schüre immer noch selbst", sagt die 75-Jährige mit Stolz. Seit es das Koks nicht mehr gäbe, sagt sie, gleichermaßen Mutter und Ehefrau eines Bergmanns, sei es weniger staubig, auch brenne die Kohle jetzt besser.

"Ich habe viele ältere Kunden. Viele ältere Leute hat die Kohle fit gehalten", weiß auch Göllen.

Als letzte auf dieser Tour fährt Göllens Laster am Haus von Elfriede Diehl vorbei. "Mein Mann war Bergmann, erst in Göttelborn und dann in Louisenthal", erzählt die 78-Jährige. Am 7. 2. 1962, erinnert sie sich, geschah dann das Grubenunglück, bei dem auch ihr Mann ums Leben kam. Als Witwe mit Kind halfen ihr damals die Schwiegereltern. Diehl wirkt immernoch erschüttert, wenn sie von dem Unglück spricht. Die Kohle spendet jetzt "angenehme Wärme", auch für den Sohn und dessen Kinder.

Hintergrund

Als Deputatlohn wird ein Teil des Arbeitslohns bezeichnet, der in Naturalien ausgezahlt wird. Es gibt Deputate in etlichen Branchen, zum Beispiel als Haustrunk bei Brauereien oder Strom bei Energiekonzernen. Im Saarbergbau sind sie seit den 60-Jahren Bestandteil des Tarifvertrags. Mitarbeiter, die nicht mehr mit dem Brennstoff Kohle heizen, können sich den Gegenwert der Kohle auch als Energiebeihilfe auszahlen lassen, die versteuert werden muss.

Der Kohlelagerplatz Hermine in Neunkirchen-Sinnerthal ist zentraler Kohlelagerplatz im Saarland. Hier werden jährlich rund 30 000 Tonnen Anthrazit aus Ibbenbüren umgeschlagen. Ein Zug mit rund 40 bis 44 Waggons bringt jeweils rund 1000 Tonnen aus dem fernen Münsterland dorthin. Transpportfirmen aus dem ganzen Saarland liefern die Deputatkohle von dort zu den Haushalten. de

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