Sie gräbt in St. Johanns Vergangenheit

Saarbrücken. An einem Stehtisch gegenüber des Bauzaunes genießen zwei Frauen in ihrer Mittagspause die Sonne - und schauen interessiert auf die gerade ruhenden Bagger, freigelegte Mauern, eine Ansammlung von erdbeklebten Flaschen und Scherben und auf Menschen, die auf dem Gelände mit kleinen Kellen graben, etwas ausmessen oder geschäftig hin- und herlaufen

Saarbrücken. An einem Stehtisch gegenüber des Bauzaunes genießen zwei Frauen in ihrer Mittagspause die Sonne - und schauen interessiert auf die gerade ruhenden Bagger, freigelegte Mauern, eine Ansammlung von erdbeklebten Flaschen und Scherben und auf Menschen, die auf dem Gelände mit kleinen Kellen graben, etwas ausmessen oder geschäftig hin- und herlaufen. Die Frauen wundern sich, wie viele andere Saarbrücker auch, über das, was da bei den Bauarbeiten für das neue Saarbrücker Hotel (Motel One, die SZ berichtete) am Schillerplatz zu Tage kommt: "Ist das von der alten Stadtmauer oder ist das ein Keller?", fragt Sylvia Philippi mit Blick auf die Mauerreste. Professor Josef Baulig weiß die Antworten. Denn neben den Arbeitern haben auf der Baustelle wie in den vergangenen Wochen auch heute wieder Mitarbeiter des Landesdenkmalamtes, dessen Leiter er ist, zu tun: "Hierbei handelt es sich um eine baubegleitende Grabung, wir sind ständig präsent." Man sei sich sicher gewesen, dass an diesem Ort aus stadtbauhistorischer Sicht Interessantes zu finden sei. Und so, das bestätigt die Stadt, gab es in der Genehmigung die Auflage, "dass das Gelände im Vorfeld untersucht werden muss nach denkmalgeschützen Objekten". Eben das macht sein Team, sagt Baulig. Der Investor unterstütze dies. Und seine Leute wurden schon oft fündig. Eine Errungenschaft ist ein vasenförmiges tönernes Kochgeschirr: "Vermutlich stammt es aus dem späten Mittelalter", erläutert Grabungsleiterin Constanze Schiene - sie bestimmt derzeit, wann, wo und mit welchem Gerät gebuddelt wird. Aber auch Flaschen aus der St. Johanner Mineralwasserfabrik und andere Gebrauchsgegenstände werden beäugt und dokumentiert.Denkmalamtsleiter Baulig zeigt auf die vielen Mauerreste: "Wir haben Siedlungsstrukturen vor uns. Wir untersuchen zwischen der mittelalterlichen und der spätmittelalterlichen Stadtmauer von St. Johann." Weil sich im Laufe der Jahre hier viel tat, finden die Fachleute ein buntes Sammelsurium aus verschiedenen Stufen der Vergangenheit vor: Ein original Pflaster aus Findlingen zum Beispiel stammt wohl aus der Barockzeit - ganz in der Nähe wurde dagegen eine Mauer mit den Resten einer Dachrinnenbefestigung aus der Nachkriegszeit freigelegt. Hinter allem stehen viele, viele Fragezeichen: Was bedeutete zum Beispiel die Öffnung in der spätmittelalterlichen Stadtmauer, die sich den Grabenden offenbarte? Wie tief ist der Brunnenschacht, der momentan noch komplett verfüllt ist? Aus welcher Zeit stammt er? Das Ganze ist für die Experten äußerst spannend, so Baulig: "Seit 20 Jahren bin ich zuständig, doch zum ersten Mal erlebe ich sowas in diesem Umfang." Der Neubau sei ein "willkommener Anlass", neue Einblicke in St. Johanns Stadtbaugeschichte zu gewinnen. Der Zeitrahmen ist laut Baulig momentan wie geplant. Wie lange seine Mitarbeiter noch vor Ort sind, sei noch offen. Weitgehend fest steht aber, dass die Reste später zugunsten einer Tiefgarage verschwinden. Eben dann, wenn das Denkmalamt grünes Licht gegeben hat. Obgleich die gute Zusammenarbeit gelobt wird, freuen sich die Bauarbeiter sicher auf dieses Signal. Denn zurzeit können sie natürlich nicht ganz so agieren, wie es möglich wäre. "Das ist ungewöhnlich und schon schwierig für die Firma", sagt Polier Karl-Heinz Ries von der Güdinger Firma Wolff Hoch- und Ingenieurbau. Aber, so Ries: "Es ist auch interessant."

HintergrundDie Fundstücke der Motel One-Baustelle werden gesichert, gereinigt und später aufgearbeitet. Vermutlich Ende des Jahres, so stellt der Leiter des Landesdenkmalamtes, Professor Josef Baulig, in Aussicht, werden die wertvollsten Funde im Saarbrücker Museum für Vor- und Frühgeschichte präsentiert. up

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