Sensation in Homburg KI unterstützt Forscher bei Entdeckung von Hirntumoren
Homburg · Metastasen im Gehirn aufzuspüren, kostet die Neuroradiologen am Universitätsklinikum des Saarlandes viel Zeit. Künstliche Intelligenz soll jetzt helfen – wie das funktioniert.
Am Universitätsklinikum des Saarlandes erforscht ein Team von Ärzten und Wissenschaftlern, ob Künstliche Intelligenz das Aufspüren von Krebszellen im Gehirn erleichtern kann. Es geht um Krebszellen, die sich aus dem ursprünglichen Tumor gelöst und im Gehirn Ableger gebildet haben, so genannte Metastasen. Weil das Computerprogramm, das auf Künstlicher Intelligenz basiert, zunächst aufwändig trainiert werden muss, damit es Krebszellen auf den Bildern aus dem Magnetresonanztomografen (MRT) überhaupt erkennen kann, beschränken sich die Forscher in Homburg zunächst auf Gehirn-Metastasen, die von den drei häufigsten Krebsarten abstammen: Lungenkrebs, Brustkrebs und Hautkrebs.
So sucht die KI nach Metastasen
Das Forschungsprojekt wird von Privatdozent Dr. Umut Yilmaz, Leitender Oberarzt, und Prof. Dr. Wolfgang Reith, dem Direktor der Klinik für diagnostische und interventionelle Neuroradiologie am Universitätsklinikum, geleitet. Reith und seine Mitarbeiter sind darauf spezialisiert, Erkrankungen des Gehirns und des Rückenmarks zu diagnostizieren und zu behandeln. „Die für die Suche nach Metastasen eingesetzte Künstliche Intelligenz erlangt ihr Wissen, indem der Computer die MRT-Bilder vom Gehirn mit den immer gleichen Verfahren und Rechenschritten, so genannten Algorithmen, analysiert und speichert“, sagt Reith.
Bei einer MRT-Aufnahme des Kopfes würden Schicht für Schicht etwa 100 bis 200 Bilder gemacht. Ein modernes MRT sei so leistungsfähig, dass Schichten von nur 0,9 Millimeter Dicke aufgenommen werden könnten. „In einer solchen Schicht kann ein Radiologe Metastasen von nur einem Millimeter Größe erkennen“, erklärt Reith. Die am Projekt beteiligten Ärzte schauen sich jede der MRT-Aufnahmen, die vom Kopf eines Patienten gemacht werden, einzeln an. „Wenn wir in einer Schicht Metastasen entdecken, markieren wir sie und zeigen die bearbeiteten Bilder dann dem Computer. So lernt die Künstliche Intelligenz Schritt für Schritt, wie Metastasen auf den MRT-Schnittbildern zu erkennen sind“, sagt Reith.
Computer mit Datensätzen von 300 Patienten „angelernt“
Die Radiologen des Uniklinikums arbeiten bei diesem Projekt mit Wissenschaftlern des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken zusammen. Damit das Programm Metastasen im Gehirn mit zufriedenstellender Treffsicherheit aufspüren und markieren kann, mussten ihm die Ärzte die MRT-Datensätze von rund 300 Patienten präsentieren. Da jeder Satz mindestens knapp 200 einzelne Aufnahmen umfasst, hat die Künstliche Intelligenz (KI) bisher fast etwa 60 000 Bilder gesehen.
Das Training ist auch deshalb so aufwändig, weil die KI die Metastasen auseinanderhalten muss, die entweder vom Lungenkrebs oder Brustkrebs oder Hautkrebs stammen. „Sie sehen bei jeder dieser Krebsarten etwas anders aus“, sagt Reith. Fehler seien noch längst nicht ausgemerzt. Ein Beispiel dafür seien Gehirnmetastasen, die von einem Magenkrebs stammen. Das könne die KI jedoch nicht erkennen, weil sie darauf nicht trainiert worden sei. „Wir haben festgestellt, dass die KI zwanghaft versucht, auch Magenkrebs-Metastasen einer der erlernten Gruppen der Lungen-, Brust- und Hautkrebs-Absiedlungen zuzuordnen, und zwar der Krebsart, die am besten passt“, erläutert Reith.
„Die Künstliche Intelligenz braucht noch mehr Training“
Die Trefferquote der KI liege derzeit bei 93 Prozent. „Das ist bereits sehr gut“, sagt der Radiologe. „Doch eine Fehlerquote von sieben Prozent ist zu hoch.“ In einigen Fällen meldet die Künstliche Intelligenz Metastasen, obwohl es gar keine gibt (falsch positiv). „Es handelt sich dann zum Beispiel um ein winziges Blutgefäß, das durch einen Blutpfropf verstopft ist. Ursache ist ein kleiner Schlaganfall. Tritt dieser in einer Hirnregion auf, in der keine wichtigen Funktionen gesteuert werden, merkt der Patient in der Regel nichts davon.“
Zudem entdeckt die KI in wenigen Fällen die Metastasen nicht, obwohl sie vorhanden sind (falsch negativ). „Die Künstliche Intelligenz braucht also noch mehr Training“, erklärt Reith. „Doch deutlich mehr Daten einzugeben, scheitert derzeit am Personalmangel, der auch unsere Klinik trifft.“ Die Programmierung koste viel Zeit, und ein Facharzt müsse alle Diagnosen der KI überprüfen und in Zweifelsfällen alle Bilder noch einmal durchsehen, um selbst eine Entscheidung treffen zu können. „Wenn uns die KI sagt, es gibt keine Metastasen, können wir das nicht einfach glauben“, sagt Reith. „Was ist, wenn sich Monate später herausstellt, dass doch Krebszellen ins Gehirn gewandert sind?“ Auch positive Befunde der KI müssten die Ärzte kontrollieren. „Wenn ein Patient operiert wird, obwohl sich keine Metastasen im Gehirn befinden, ist das eine Körperverletzung.“
Neben der Diagnostik verbessern sich auch die Therapien
Die großen Fortschritte bei bildgebenden Verfahren wie Magnetresonanztomografie und Computertomografie in den vergangenen Jahren ermöglichen es den Radiologen, bereits kleine Metastasen sicher zu erkennen. „Parallel zur Diagnostik hat sich auch die Therapie deutlich verbessert. So können bereits kleinste Krebsherde frühzeitig operativ entfernt, bestrahlt oder mit Chemo- und Antikörpertherapien bekämpft werden. Das steigert die Überlebenschance der Patienten deutlich“, erläutert Reith.
Der Radiologe beschäftigt sich auch intensiv mit rechtlichen und ethischen Fragen zur Künstlichen Intelligenz, nicht zuletzt, weil er Vorsitzender des Ethik-Komitees des Universitätsklinikums ist. Dieses Komitee berät zum Beispiel Patienten und ihre Angehörigen, die moralische Bedenken gegen bestimmte medizinische Therapien haben. Zudem macht sich das Experten-Komitee Gedanken über die Folgen neuer Therapien.
KI kann sekundenschnell Ergebnisse liefern
„Künstliche Intelligenz wird im Klinikalltag eine immer größere Rolle spielen“, sagt Reith. „Bei der Suche nach Metastasen im Gehirn wird ein ausgereiftes und fehlerfreies Programm den Arbeitsaufwand und damit die Arbeitszeit der Ärzte deutlich verkürzen. KI-gestützte Systeme kommen in Sekundenschnelle zu Ergebnissen, für die Menschen sehr lange analysieren und rechnen müssen.“ Derzeit sei es aber noch nicht zu verantworten, sich bei medizinischen Diagnosen nur auf die KI zu verlassen. Reith hat keine Bedenken, dass durch KI Arbeitsplätze im medizinischen Bereich wegfallen. „Wir haben ja eher zu wenige Ärzte, da führt die KI zu einer Arbeitserleichterung und Zeitersparnis, die den Patienten zugute kommt“, erklärt Reith.
Das KI-Forschungsprojekt wird größtenteils durch einen Zuschuss des Saarlandes und Drittmittel, die das Universitätsklinikum und das DFKI eingeworben haben, finanziert. Es läuft seit knapp zwei Jahren und soll spätestens in neun Monaten abgeschlossen sein. „Danach wird noch keineswegs eine ausgereifte Software zur Verfügung stehen, die kommerziell genutzt werden kann“, sagt Reith. „Bis das KI-Programm marktreif ist, müssen nicht zuletzt noch extrem viele bürokratische Hürden überwunden werden.“