Seid vorsichtig mit der Obrigkeit!

Seid vorsichtig mit der Obrigkeit , denn sie kümmert sich um den Menschen nur, wenn sie ihn braucht, sie erscheint ihm wie ein Freund, wenn es ihm gut geht, steht aber niemandem bei in der Stunde der Not". Aus Sprüche der Väter (Mischna, Traktat Avot, II,3)

Diese Worte kamen mir in den Sinn, als mir ein lieber Freund von seinen nie vergessenen Kindheits-Erinnerungen erzählte, wie er als Siebenjähriger an der Hand seiner Mutter den gelegten Brand der alten Synagoge in Saarbrücken, Ecke Futterstraße/Kaiserstraße, miterleben musste, die knapp 50 Jahre zuvor, am 22. Dezember 1889 eingeweiht worden war. An dem Festakt hatten damals die Bürgermeister von Saarbrücken, St. Johann und Malstatt-Burbach, der Landrat, die Vertreter der christlichen Konfessionen wie auch Delegationen des in Saarbrücken stationierten Militärs teilgenommen.

Es geschah am Abend des 9. November 1938, dem Beginn der Pogromnacht, die verniedlichend und verharmlosend Kristallnacht genannt wurde.

"Als wir dort ankamen", so schrieb er mir, "hatte sich ein Menschenauflauf gebildet, wobei es trotz der vielen Leute seltsam ruhig war, nur ein leises Flüstern und Raunen aus der Menge der Anwesenden war zu hören. Mitten auf der Kaiserstraße vor der schon fast niedergebrannten Synagoge stand ein Löschwagen der Feuerwehr. Eine ausgefahrene Feuerleiter lag auf dem Dach eines Wohnhauses neben dem noch brennenden Gotteshaus, um im Notfall ein Übergreifen der Flammen auf das Nachbarhaus zu verhindern. Eine Männerhand zeigte auf den Löschzug der Feuerwehr, und eine Stimme sagte dazu: ‚Die Feuerwehr darf die Synagoge nicht löschen, sie ist nur gekommen, um die umliegenden Häuser vor dem Feuer zu schützen!'"

In einem Artikel der SZ vom 9. November 1988 stand zu lesen, dass an diesem Tag vor 50 Jahren in Nazideutschland etwa 100 jüdische Mitbürger ermordet, 270 Synagogen niedergebrannt, viele jüdische Friedhöfe geschändet und 7500 Geschäfte zerstört und geplündert worden sind.

Was war geschehen, dass sich solches Barbarentum austoben konnte, ohne Aufschrei der aufrichtigen Menschen? Hatte deren Furcht vor der Obrigkeit alles Mitgefühl im Keime erstickt?

Und dann brannten sechs Jahre später im ganzen Land die eigenen Gotteshäuser und Städte im amerikanischen und englischen Bombenhagel.

Darum: Seid vorsichtig mit der Obrigkeit !

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