Seelischer Notdienst am Telefon

Saarpfalz-Kreis. "Before you commit suicide, ring me up!", übersetzt heißt dies: "Ehe Sie einen Suizidversuch unternehmen, rufen Sie mich an!" So lautete ein Inserat in der Londoner Zeitung "Times" im Frühjahr 1953. So entstand auf der britischen Insel ein Notruf für Suizidgefährdete

 Die kirchliche Telefonseelsorge, die es seit über 30 Jahren in der Saarpfalz und der Pfalz gibt, führt jährlich 10 000 Hilfs- und Beratungsgespräche mit Menschen, die sich in Not befinden. Foto: dpa

Die kirchliche Telefonseelsorge, die es seit über 30 Jahren in der Saarpfalz und der Pfalz gibt, führt jährlich 10 000 Hilfs- und Beratungsgespräche mit Menschen, die sich in Not befinden. Foto: dpa

Saarpfalz-Kreis. "Before you commit suicide, ring me up!", übersetzt heißt dies: "Ehe Sie einen Suizidversuch unternehmen, rufen Sie mich an!" So lautete ein Inserat in der Londoner Zeitung "Times" im Frühjahr 1953. So entstand auf der britischen Insel ein Notruf für Suizidgefährdete. Dem Baptistenpfarrer Gordon West war die Idee dazu gekommen, als er ein 14-jähriges Mädchen beerdigen musste, das Selbstmord begangen hatte. Kurz danach griff der anglikanische Pfarrer Chad Varah die West-Idee auf. Aufgeschreckt durch die hohe Selbstmordrate in London, veröffentlichte er am 1. November 1953 ein Inserat gleichen Inhalts, dem er seine Telefonnummer hinzufügte. Schon bald konnte er die große Anzahl der Anrufe, die ihn erreichten, nicht mehr alleine bewältigen. Er wählte zu seiner Unterstützung Frauen und Männer aus und gründete eine Organisation mit dem Namen "The Samaritans". "Dieser Name war Programm", sagt Kirchenrat Wolfgang Schumacher von der Evangelischen Kirche der Pfalz im Gespräch mit der Saarbrücker Zeitung. In der biblischen Geschichte kümmert sich der Samariter um Verletzte, Kranke, Bedürftige ohne Ansehen der Person, ohne Frage nach Religions- oder Volkszugehörigkeit, aus Verantwortung für die Mitmenschen. Dies ist geblieben bis heute: 1979 wurde in Kaiserslautern die Telefonseelsorge Pfalz, eine Einrichtung der Evangelischen Landeskirche und des Bistums Speyer, ins Leben gerufen.In Kaiserslautern sind etwa 80 Ehrenamtliche, darunter auch aus Homburg und Umgebung im Schichtdienst rund um die Uhr das ganze Jahr über am Notruftelefon im Einsatz. Sie führen jährlich mehr als 10 000 Beratungs- und Seelsorgegespräche, die durchschnittlich 25 Minuten dauern, erläutert Heiner Seidlitz, der Leiter der Ökumenischen Telefonseelsorge Pfalz. Mehrere hundert Gespräche würden auch mit Menschen aus der Saarpfalz-Region geführt. Die Mitarbeiter werden in einer 18-monatigen Ausbildung auf ihre Aufgabe vorbereitet. Ein Kuratorium aus Vertretern der beiden Kirchen und der Mitarbeiterschaft koordiniert die Arbeit der Telefonseelsorge Pfalz. Rund 90 Prozent der Anrufer wollen anonym bleiben. Zehn Prozent würden ihren Namen nennen. Die meisten Hilfesuchenden seien zwischen 40 und 60 Jahre alt, rund 15 Prozent seien Jugendliche. Die überwiegende Zahl erwarte eine emotionale Entlastung und Ermutigung. Hilfe bei der Problemklärung stehe erst an dritter Stelle. Die meisten Anrufe kämen an "ruhigen und einsamen Feiertagen, wie etwa Weihnachten", heißt es bei Seelsorge-Experten. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telefonseelsorge unterliegen selbstverständlich der Schweigepflicht. Jetzt haben die Telefonseelsorgestellen mehr Solidarität mit Menschen gefordert, die am Rande der Gesellschaft stehen. "Wir benötigen eine Kultur des Miteinanders", sagte Seidlitz. Immer mehr gesellschaftlich ausgegrenzte Menschen suchten verzweifelt Hilfe bei der Telefonseelsorge. Dazu zählten vor allem Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben oder ohne soziale Kontakte sind. Viele der Ausgegrenzten litten extrem unter ihrer hoffnungslosen Lebenssituation, sagte der evangelische Theologe und Psychologe Seidlitz. Aus dem Gefühl heraus, dass sich niemand für ihr Schicksal interessiere, vereinsamten die Betroffenen. Sie fühlten sich überflüssig, vom Leben abgehängt und seien oft selbstmordgefährdet. Vor allem Jugendliche würden im Zusammenhang mit Alkohol- oder Drogenkonsum immer gewaltbereiter. "Diese Menschen benötigen mehr Aufmerksamkeit", appelliert Seidlitz. Telefonseelsorge diene inzwischen vielmehr als Orientierungs- und Verständigungshilfe. "Wir benötigen eine Kultur des Miteinanders."Heiner Seidlitz, TelefonseelsorgerMeinung

Ein Angebot für Menschen

Von SZ-RedakteurJürgen Neumann Das Leben vieler Menschen wird von Tag zu Tag schwieriger. Arbeitsplatzverlust, wirtschaftliche Not, Partnerschafts-Probleme, Mobbing in der Schule oder am Arbeitsplatz, Sucht, Krankheit, Einsamkeit oder Sinn- und spirituelle Krisen, Sorgen um die Kinder. Solche Ereignisse und Verletzungen bringen uns oft an unsere Grenzen. Und dies nimmt zu. Das Gefühl nirgendwo mehr dazu zugehören lässt sie ihre Welt als brüchig und unkalkulierbar erleben. Die Folgen reichen von Einsamkeit über Gewalt bis zum Selbstmord. Unsoziale Verhältnisse lassen grüßen. Die so Ausgegrenzten brauchen Hilfe. Sie brauchen Unterstützung: seelische, körperliche und geistige. Und sie brauchen ihre Würde wieder. Deshalb nimmt in unserer immer anonymer werdenden Gesellschaft der Anruf bei der Telefonseelsorge zu. Es gibt kaum einen Bereich, auf den sich die Mitarbeiter nicht unmittelbar einstellen müssen. Sie können aber nicht auf Dauer die Reparatur-Werkstatt für eine ziellose Gesellschaft sein. Die Lebenssituation muss generell positiv verändert werden - und zwar auf allen Ebenen. Da sind vor allem Wirtschaft und Politik gefordert. Auch in der Saarpfalz. Auf einen BlickFür Homburg und den übrigen Saarpfalz-Kreis ist die Telefonseelsorge Pfalz, wie für alle anderen Ratsuchenden, unter der Telefon-Hotline (0800) 111 0 111 oder (0800) 111 0 222 bundesweit 24 Stunden lang anonym und gebührenfrei zu erreichen. Die kirchliche Telefonseelsorge, die über 30 Jahre alt ist, führt jährlich 10 000 Hilfs- und Beratungsgespräche mit Menschen, die sich in Not befinden. Evangelisch-katholische Telefonseelsorgestellen in der Nähe gibt es in Kaiserslautern, Saarbrücken, Bad Kreuznach und Trier. jkn

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