Kleinstes saarländisches Amtsgericht Schläger, Kokain und ein dreister Strom-Dieb

St. Ingbert · Mal laut, mal konfus und alles andere als langweilig: Ein Tag im kleinsten Amtsgericht des Saarlandes in St. Ingbert.

Schicker Bau in der Ensheimer Straße : Das Amtsgericht St. Ingbert feiert im kommenden Jahr sein 150-jähriges Bestehen. 

Schicker Bau in der Ensheimer Straße : Das Amtsgericht St. Ingbert feiert im kommenden Jahr sein 150-jähriges Bestehen. 

Foto: Nina Drokur

„Ich habe Sie als Zeugen geladen, vor Gericht müssen Sie die Wahrheit sagen“, belehrt Richterin Marion Walther die jungen Männer und Frauen, die sich an diesem Morgen im Sitzungssaal 7 des St. Ingberter Amtsgerichts eingefunden haben. In schwarzer Robe steht die 53-jährige sportliche Frau hinter der leicht erhobenen Richterbank. Streng blickt sie über den breiten schwarzen Rand ihrer Brille hinunter zu den Zeugen, die im Fall einer mutmaßlichen Körperverletzung aussagen sollen. Der nikotin-gelb gestrichene Raum mit dem blauen Linoleumboden im hinteren Teil des historischen Gebäudes versprüht keinen besonderen Charme. Einzig der Computer des Protokollführers macht klar, dass es sich nicht um eine Kulisse aus den 70er Jahren handelt.

Bevor die eigentliche Verhandlung beginnt, verlassen die belehrten Zeugen wieder den Saal. Einzig die Angeklagte und der Nebenkläger, das vermeintliche Opfer, bleiben zurück. Die Verhandlung läuft tatsächlich in etwa so ab, wie man es aus dem Fernsehen von Salesch, Hold und Herz kennt. Der Anwalt der Nebenklage erinnert mit seinem markanten Schnauzer sogar entfernt an den TV-Juristen Ingo Lenßen.

Das St. Ingberter ist das kleinste der insgesamt zehn Amtsgerichte im Saarland. Vier Richter, drei Rechtspfleger und insgesamt 25 Mitarbeiter einschließlich der Justizbeamten sind für die Bezirke St. Ingbert und Mandelbachtal zuständig. Zum Vergleich: Am Amtsgericht Saarbrücken gibt es derzeit 43 Richter, in Saarlouis immerhin 15.

Auf die Frage, was das kleinste Amtsgericht vom größten in Saarbrücken unterscheide, antwortet Marion Walther nur kurz und knapp mit: „Nichts!“ Und wer glaubt, hier würden nur langweilige Fälle verhandelt, der wird schnell eines Besseren belehrt. Zum an diesem Tag verhandelten Sachverhalt hat Walther zehn Zeugen geladen. Pünktlich um 9 Uhr eröffnet sie die Sitzung. Ihre gerade Haltung und die mit Bedacht gewählten Worte verleihen ihr Autorität. In den bestimmenden Formulierungen ist kein Zögern zu vernehmen. Die Staatsanwaltschaft wird heute von einer Referendarin vertreten. Die dunkelhaarige Frau zu Walthers Rechten wirkt noch etwas unsicher.

Die Anklageschrift, die die Referendarin verliest, erklärt, worum es geht: Ein damals 13-Jähriger und seine Mutter sollen im Juni 2016 mit einer Eisenstange auf drei Jugendliche eingeprügelt haben. Nur die Mutter ist heute angeklagt (auch wegen Betrugs in einem anderen Fall). Im Sitzungssaal ist es unerwartet laut. Das monotone Murmeln des Übersetzers legt sich über jedes gesprochene Wort. Die Angeklagte und einige Zeugen stammen aus Rumänien. Zunächst räumt das Gericht ihr das Recht ein, sich zu den Taten zu äußern. Sie sitzt tief in ihren Stuhl versunken, wirkt etwas desinteressiert, schildert nüchtern ihre Sicht der Dinge. Dabei blickt sie oft auf den Boden und selten direkt in das Gesicht der Richterin oder des Übersetzers. Sie bestreitet die Körperverletzungen. Sie habe ihren Sohn schreien gehört, gibt der Übersetzer wider. Dann sei sie nach draußen gerannt und habe ihn auf dem Boden kauernd gefunden, während drei Personen weggerannt seien.

Im Anschluss hat der Nebenkläger Gelegenheit, Angaben zu machen. Ein junger Kerl, schlacksig. Er erzählt das genaue Gegenteil. Sie seien auf dem Weg zu einem Freund am Haus der Angeklagten vorbeigekommen. Mutter und Sohn hätten sie beobachtet und wären mit Eisenstangen auf ihn und seine Begleiter losgegangen. Beim Erzählen klingt er, als hätte er die Antworten auswendig gelernt. Vor allem dann, wenn er vom Saarländischen abweicht.

Zuschauer gibt es nur wenige, offensichtlich Familienmitglieder der Beteiligten. Sie können sich den ein oder anderen bissigen Kommentar zu den in ihren Augen falschen Ausführungen der Angeklagten und ihrer Herkunft nicht verkneifen. Erst nach über anderthalb Stunden ruft der Gerichtsdiener gegen 10.30 Uhr den ersten Zeugen in den Saal. Die Verhandlung ist spannend. Es kommt zu einer Gegenüberstellung, es werden Narben begutachtet und Bilder der beim vermeintlichen Angriff erlittenen Verletzungen gezeigt.

Die Mittagssonne bahnt sich unermüdlich ihren Weg durch das Strukturglas, das den Einblick von außen in den Saal verwehrt. Die Hitze nimmt den Raum immer mehr ein. Mit steigender Temperatur steigt auch die Anspannung. Im Flur, wo die Zeugen warten, droht die Situation plötzlich zu eskalieren. Einer der Wachtmeister unterbricht die Sitzung wegen andauernder Drohungen. „Das gehört zu unserem Job“, sagt Ralf Schorn, ein rund zwei Meter großer Mann mit breiten Schultern und hellblauer Uniform mit Justiz-Emblem. „Wir müssen dafür sorgen, dass man sich hier sicher fühlt.“ In seinen zehn Dienstjahren beobachtet er eine stetig wachsende Respektlosigkeit. „Bei der Einlasskontrolle finden wir immer wieder Waffen. Messer, Pfefferspray und sogar eine Machete haben wir hier im St. Ingberter Amtsgericht schon gefunden“, sagt Schorn. Und: „Es gibt wirklich Leute, die wegen eines Drogendeliktes angeklagt sind, und hier mit Betäubungsmitteln in den Taschen ankommen.“ Gerade vor vier Wochen, erzählt der Beamte, habe er ein Päckchen Koks gefunden. Der wohl spektakulärste Fund war Anfang vergangenen Jahres. Ein Kollege habe zufällig eine Schusswaffe im Handtuchhalter der Herrentoilette gefunden, erzählt er.

Im Saal kommt es auch nach fast vier Stunden zu keinem Urteil. Die Verteidigung bittet noch um die Vernehmung weiterer Zeugen. Auch Richterin Walther beantragt Vertagung. „Ich habe mich noch nicht entschieden. Aber als Richterin kann man nicht sagen: Ich weiß es nicht.“ Neben ihrer Richtertätigkeit ist Walther auch die Direktorin des Amtsgerichts. Davor war die gebürtige St. Ingberterin rund 14 Jahre lang Staatsanwältin in Saarbrücken. Zu ihrem Berufsalltag gehören jetzt auch Verwaltung und Personal.

Nach einer kurzen Butterbrot-Pause steht für die 53-Jährige um 14 Uhr gleich die nächste Verhandlung an. Dem Angeklagten wird die „Entziehung elektrischer Energie“ vorgeworfen. Heißt: Er soll seinen Nachbarn Strom geklaut haben. Die Straftat klingt unspektakulär, nicht so die Verhandlung. Der Angeklagte hat auf einen Anwalt verzichtet, hält sich selbst für einen studierten Juristen. Er stellt konfuse Anträge. „Ich möchte, dass die Zeugin vereidigt wird“, sagt der Mann mit den ausgelatschten Turnschuhen und den ungekämmten grauen Haaren. In einem alten Stoffbeutel hat er einen Notizblock mitgebracht, auf dem er jedes gesprochene Wort vermerkt. „Abgelehnt“, antwortet die Richterin nach einem bestätigenden Blick ins Gesetzbuch. „Dagegen möchte ich Rechtsmittel einlegen“, erwidert der Angeklagte. „Das können sie nicht“, sagt Walther trocken. Immer wieder weist sie ihn mit kräftiger Stimme in die Schranken.

Auch Ralf Schorn muss wieder im Gerichtssaal Platz nehmen, um ein Auge auf den Angeklagten zu haben, der mit absurden Fragen provoziert. „Woher wissen Sie denn in welche Richtung der Strom fließt?“, versucht er sich ungeschickt zu entlasten. Für diese und ähnliche Fragen muss extra ein Elektriker der Stadtwerke kommen. Irgendwann reißt Walther dann doch der Geduldsfaden: „Spielen Sie hier nicht den Juristen. Ich stelle hier die Fragen“, ermahnt sie den Angeklagten ein allerletztes Mal, der ihr sogleich unterstellt, sie wolle nur schnell zum Ende kommen, während er auf einen Freispruch hinarbeite. Der bleibt ihm verwehrt. Nach einer langen kräftezehrenden Verhandlung verurteilt Walther den Angeklagten wie von der Staatsanwaltschaft gefordert zu einer Geldstrafe von 300 Euro.

 Kreuz und Saarlandfahne: Blick in Saal 7 des Amtsgerichts.

Kreuz und Saarlandfahne: Blick in Saal 7 des Amtsgerichts.

Foto: Nina Drokur
 Richterin Marion Walther

Richterin Marion Walther

Foto: Nina Drokur

Obwohl an diesem Tag nur zwei Fälle verhandelt wurden, ist es fast 16 Uhr, bis sich Richterin Walther noch ihren Verwaltungsaufgaben widmen und dann Feierabend machen kann.

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