"Satire darf nicht langweilig sein"Das klassische Konzert auflockern

"Was darf die Satire? Alles", schrieb Kurt Tucholsky angesichts der Tatsache, dass "wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, halb Deutschland auf dem Sofa sitzt und übel nimmt." Heute scheint es wieder (oder noch) genauso zu sein - im Zeitalter der politischen Korrektheit fühlt sich immer irgendjemand für irgendetwas auf den Schlips getreten

"Was darf die Satire? Alles", schrieb Kurt Tucholsky angesichts der Tatsache, dass "wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, halb Deutschland auf dem Sofa sitzt und übel nimmt." Heute scheint es wieder (oder noch) genauso zu sein - im Zeitalter der politischen Korrektheit fühlt sich immer irgendjemand für irgendetwas auf den Schlips getreten. Herr Hildebrandt: Was darf die Satire Ihrer Meinung nach?Dieter Hildebrandt: Satire darf immer noch nur eines nicht: langweilig sein. Das durfte sie schon zu Tucholskys Zeiten nicht. Ansonsten kam es natürlich auch in der Weimarer Republik, als es noch keinen Fernseher gab, mal vor, dass ein Satz die Runde machte und provozierte. Das ist der Sinn von Satire. Kabarett im Fernsehen ist heute seltener geworden. Daher kommt es auch seltener vor, dass halb Deutschland auf dem Sofa sitzt und übel nimmt.

Setzen Sie sich selbst Grenzen des guten Geschmacks? Sie werden zwar durchaus mal ausfallend, allerdings nie frivol.

Hildebrandt: "Frivol" ist gar kein schlimmes Wort. Es grenzt an Erotik, Religion und noch ganz andere Dinge. Kabarett ganz ohne Frivolität ist langweilig. Natürlich gibt es auch Tabus, aber die muss man sich selbst setzen. Zum Beispiel möchte ich niemanden treten, der schon am Boden liegt. Vorsichtig bin ich auch bei Dingen der Pietät, bei Krankheit und Tod. Alter ist für mich allerdings kein Tabu - ich bin selbst alt genug.

Liegt in diesen selbst gesetzten Tabus Ihrer Meinung nach die schwammige Grenze zwischen Kabarett und Comedy?

Hildebrandt: Ich glaube, diese Grenze gibt es eigentlich gar nicht. Natürlich will Kabarett überzeugen und informieren, manchmal auch belehren - Letzteres versuche ich, zu vermeiden. Aber Kabarett muss immer auch unterhalten. Kalauer und Amüsement gehören einfach dazu, man will doch etwas zum Lachen haben. Bei den besten Comedians wird man auch nie einen Abend finden, an dem nicht zumindest ein bemerkenswerter Satz mit gesellschaftlicher Aussage fällt.

Welche Rolle spielt politisches Kabarett in Ihrer Moderation bei "Vorsicht, Klassik?"

Hildebrandt: Eine sehr wesentliche, für mich vielleicht sogar die Hauptrolle. Natürlich nehme ich Bezug auf die Musik, aber das Programm hat ebenso viele politische Momente. Ich möchte nicht reiner Ansager der Musik zu sein. Die Auftritte sollen Musik und Kabarett verbinden.

Woher kam die Idee dieser Verbindung?

Hildebrandt: Die kam von Werner Thomas-Mifune, dem Gründer des Cello-Sextetts. Er machte in den 70er Jahren aus einem Artikel der Bild-Zeitung eine Oper. Dafür brauchte er aber ähnlich wie bei "Peter und der Wolf" einen Sprecher. Darum wandte er sich an mich und schickte mir erst mal die komplette Partitur, mit der ich natürlich nichts anfangen konnte. Als ich jedoch die Texte las und sah, wie er Opernzitate in diesen Bild-Artikel einfließen ließ, war ich hellauf begeistert. Seitdem treten wir immer wieder zusammen auf.

Welches ist ihr Lieblingsstück aus dem Programm?

Hildebrandt: Das ist eindeutig die Kurzfassung der fünften Sinfonie von Beethoven.

Und welcher Text?

Hildebrandt: Zu den Texten kann ich noch nicht viel sagen. Sie müssen ja immer aktuell sein. Daher kann es vorkommen, dass ich noch am Tag vor dem Auftritt etwas abändere oder komplett über den Haufen werfe.

Was für Musik hören Sie selbst gerne privat?

Hildebrandt: Klavierkonzerte mit großem Orchester, vor allem Chopin.

Zurück zum politischen Kabarett: Können Sie sich noch erinnern, wann zum ersten Mal politisches Interesse in Ihnen aufkeimte?

Hildebrandt: Das war zu meiner Zeit als Student. Wir hatten damals ein kleines Studentenkabarett, wo wir regelmäßig auftraten. Schon damals schrieb ich meine Texte selbst. Zu der Zeit war ich auch Platzanweiser in der Münchner Kleinen Freiheit. Dort lernte ich mein großes Idol Erich Kästner persönlich kennen. Seither war es immer mein Bestreben, es diesem großartigen Satiriker gleichzutun. Auch sein Schüler Martin Morlock, der beste Texter in Deutschland, hatte großen Einfluss auf mich.

Sie haben mal gesagt: "Es ist beruhigend festzustellen, dass die, die uns regieren, eigentlich gar kein Volk brauchen." Wie ist Ihre Bilanz nach einem Jahr schwarz-gelb in Berlin?

Hildebrandt: Leider hat die Regierung noch nicht zur Kenntnis genommen, dass sie den Auftrag hat, zu regieren. Damit sollte sie langsam mal anfangen. Wir Deutschen sind regierbar und wir wählen unsere Regierung, um regiert zu werden.

In den 50er Jahren haben Sie Literatur- und Theaterwissenschaften studiert. Was ist da Ihre fachliche Meinung zum aktuellen Verkaufsschlager "Deutschland schafft sich ab"?

Hildebrandt: Dieses Buch wurde von jemandem geschrieben, der nicht bedacht hat, dass das Bömbchen, das er da zündet, an anderer Stelle explodieren kann als er vorgesehen hat, nämlich mitten unter uns. Natürlich gibt es die Probleme, die er anspricht. Er ist aber viel zu aggressiv und unverschämt. Dieser Ton ist hochgefährlich, denn er kann missverstanden und von Leuten, die "Ausländer raus!" brüllen, begrüßt werden.

Wie kommt es, dass so viele Menschen den Thesen eines Volkswirts Glauben schenken?

Hildebrandt: Ich beschäftige mich selbst ein wenig mit diesen Themen und so weit ich das beurteilen kann, sind Sarrazins Thesen wissenschaftlich nicht sonderlich fundiert. Aber viele Menschen denken nun: "Endlich sagt es mal jemand!" Aber ich frage mich: Wo waren diese Menschen denn vorher? Sie haben Meinungsfreiheit, wo waren die Briefe, warum passierte vorher nichts? Es gab kaum Lösungsansätze zur Integrationsproblematik. Daher hat solch ein Buch nun solch einen Erfolg.

Sie sind überall in Deutschland aufgetreten. Gibt es etwas, das das saarländische Publikum vom Rest unterscheidet?

Hildebrandt: Nein, in der Aufnahme von Kabarett unterscheidet sich kein deutsches Publikum vom anderen. Es sind immer die Kabarett-Interessierten, die zu den Auftritten kommen. Man sagt, man kommt, und die Leute, die wollen, kommen dann auch. Das ist doch eine faire Abmachung (Hildebrandt lacht). Natürlich gibt es einen typisch saarländischen oder bayrischen oder sonstigen regionalen Humor. Den zu bedienen, ist aber nicht Aufgabe des deutschen Kabaretts, dafür gibt es nämlich Spezialisten. Orscholz. "Vorsicht, Klassik!" Ganz ernst gemeint ist diese Warnung nicht, denn Ziel des "heiter-satirischen Konzerts für sechs Cellisten und Sprecher" ist es, die zugeknöpfte Atmosphäre des klassischen Konzertbetriebs aufzulockern und so auch andere Zielgruppen anzusprechen. Aus diesem Grund haben sich die Philharmonischen Cellisten Köln - alle mehrfache Preisträger und als Solisten tätig - Kabarett-Altmeister Dieter Hildebrandt mit ins Boot geholt.

Mit der ihm eigenen Mischung aus Sprachgewandtheit und Humor führt Hildebrandt durch das abwechslungsreiche Programm, das die sechs Violoncellisten unter musikalischer Leitung von Werner Thomas-Mifune präsentieren. Neben einigen Stücken von Thomas-Mifune selbst werden auch Beethoven, Chopin und Strauß zu hören sein, sowie "Vier Nationalhymnen in Sparversion". Bekannte Klassiker liefern dabei ebenso Lacher wie der kompositorische Witz in Thomas-Mifunes Bild-Zeitungs-Oper "Frau liebte Mäuse mehr als ihren Mann". ian

Im Cloef-Atrium in Orscholz treten der Satiriker und die Musiker am Donnerstag, 11. November, ab 20 Uhr auf. Karten für 29 Euro in allen Ticket-Regional Vorverkaufsstellen, Tel. (06865) 9115 112 oder im Kulturzentrum Villa Fuchs, Tel. (06861) 936 70.

Zur Person

Der Schriftsteller, Moderator und Schauspieler Dieter Hildebrandt nutzt viele Medien und Ausdrucksformen. Doch vor allem dem Kabarett ist er immer treu geblieben, seit er während seines Studiums der Theaterwissenschaft und Literatur in den 50er Jahren das Studentenkabarett "Die Namenlosen" gegründet hatte.Nur wenig später schuf Hildebrandt zusammen mit Sportreporter Sammy Drechsel die "Münchner Lach- und Schießgesellschaft", womit ihm bundesweit der Durchbruch als Texter und Schauspieler gelang. Von 1980 bis 2003 machte er sich einen Namen mit der ebenso renommierten wie umstrittenen ARD-Kabarettsendung "Scheibenwischer".

Seit jeher ist Hildebrandts Markenzeichen sein vermeintlich unsicheres Auftreten. Scheinbares Stottern und Wortfindungsschwierigkeiten stehen im krassen Gegensatz zu den pointierten, gnadenlosen Kommentaren zur politischen Lage in Deutschland. Diese brachten ihm zahlreiche Auszeichnungen ein, wie den Grimmepreis, den Deutschen Kleinkunstpreis und viele andere mehr. ian

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