Erinnerungen des Saarländers Kurt Wagner an die Dreharbeiten zu Edgar Reitz’ „Heimat“ vor 40 Jahren „Als Laie unter Profis“

Saarlouis · 40 Jahre ist es her, dass Edgar Reitz und seine Crew mit den „Heimat“-Dreharbeiten starteten. Einer der Darsteller der ersten Stunde war Kurt Wagner. Als Glasisch Karl durfte er auf der Leinwand gesegnete 81 Jahre alt werden. Was das mit seinem Leben gemacht hat, verrät der heute 68-Jährige im SZ-Gespräch.

 Kurt Wagner, vor 40 Jahren Protagonist in der legendären „Heimat“-Verfilmung von Edgar Reitz, heute.

Kurt Wagner, vor 40 Jahren Protagonist in der legendären „Heimat“-Verfilmung von Edgar Reitz, heute.

Foto: Iris Maria Maurer

„Aah, da Glasisch!“ Das hört Kurt Wagner heute „noch oft genug“, wenn er in Saarlouis Bekannten über den Weg läuft. Er hat sich aber auch verteufelt gut gehalten für jemanden, der bei den finalen „Zweite Heimat“-Drehs 1991 schon 81 Jahre auf dem Buckel hatte. Um das glaubhaft zu spielen, war er oft hinter alten Leuten hergelaufen und hatte ihre Bewegungen kopiert, etwa das „langsame, behäbige Aufstehen vom Stuhl“. Sein Alterungsprozess verlief rasant. Beim seinem ersten „Heimat“-Drehtag am 1. Mai 1981, der kurioser Weise auf den 28. Geburtstag Wagners fiel, zählte „sein“ Glasisch Kurt laut Drehbuch 18 Lenze. Ein Leben im Schnelldurchlauf also. Harter Tobak.

Für Kurt Wagner war die Rolle des Glasisch das bis dato genialste Geburtstagsgeschenk überhaupt, erinnert er sich anlässlich des Jubiläums 40 Jahre später. Damals hatte Regisseur Edgar Reitz Mitwirkende gesucht, „nicht teuer und bissel blöd“, grinst der Schauspieler und erklärt: „Reitz hangelte sich damals von Etat zu Etat“, da waren große Gagen einfach nicht drin. „Also setzte man auf unbekannte Gesichter aus dem Laien- und Theaterbühnen-Umfeld.“ Wie Kurt Wagner. Bei Alfred Guldens historischer Revue „Saarlouis 300“ Anno 1980 war er erstmals mimisch in Erscheinung getreten. Danach monologisierte er zwei Mal 10-Minuten in Saarlouiser Platt für die SR Reihe „Mundart um sechs“. „Da habe ich mir als Soldat vor der Kaserne den Arsch abgefroren und war als LKW-Fahrer unterwegs nach Hause.“ Seine Mutter spielte eine Klofrau. „Und schwupp waren wir in der SR-Kartei.“ Später leitete Wagner das Statt-Theater-Saarlouis und brachte moderne Klassiker wie Frisch, Dürrenmatt und Beckett als Regisseur auf die Bühne.

Der kleine Kurt wollte übrigens nie auf die Leinwand, sondern lieber Koch werden. Geboren und aufgewachsen in Saarlouis, studierte Wagner 14 Semester Englisch/Deutsch/Musikwissenschaft in Saarbrücken. Vor dem Examen grätschte die „Heimat“ dazwischen. „Ich hab damals über dem Humpen in Saarlouis gewohnt. Der Wirt rief mich runter ans Telefon: „Hier ist jemand vom Film.“ „Verarschen kann ich mich alleine“, sei seine Reaktion gewesen. Doch nach einem „Interview“ mit Reitz im Hunsrück bekam er den Job. „Der Glasisch war der Typ, der nach außen hin ein bisschen den Doofen gibt, allerdings auch kleinste Details registriert und seine ganz eigene Sicht der Dinge hat“, so Wagner. „Ein Eigenbrötler, der wegen seiner Handverätzungen durch Giftgas in WW 1 nie Chancen auf eine Braut hatte.“ Gestorben ist er dann ziemlich einsam. In jedem Fall kein Alter Ego!

Ursprünglich nur als kleine Nebenrolle geplant, entschied Reitz während des Drehs, den Glasisch zu einer Hauptrolle auszubauen. Wagner sei „bestens zum Dorforiginal geeignet“, willens und geeignet, „wie ein Conferencier durch die Spielfilmhandlung“ zu führen – in moselfränkischem Platt. In der französischen Synchronisation verpasste man ihm Jahre später eine penetrante Quäk-Stimme, was ihn tierisch ärgerte. Stolz ist der Inhaber einer Werbeagentur darauf, dass es an den 250 Drehtagen nie eine Klappe zweimal gab wegen ihm, ein „Laie unter Profis“. Zunächst habe sich die Arbeit „seltsam und fremd“ angefühlt. Was aber bald einer großen Begeisterung wich. „Unser Wir-Gefühl dort, das habe ich später nie mehr so erlebt. Das hat mir damals über meine Befangenheit, ja oft auch Angst, hinweg geholfen.“ So fand er „in den Menschen in und um Woppenroth“ tatsächlich eine „Zweite Heimat”. „Das hat mich bis heute verändert.“

Seitdem stand Wagner immer mal wieder vor der Kamera, darunter für neun Tatorte. Viel länger, nämlich seit 50 Jahren, macht er Musik. Von „Schmidtz‘ Magischer Espresso Band“, für die er textete und in der er sang, schwärmt der Freizeit-Bassist heute noch „Wild, laut, ungestüm, fast krank“, charakterisiert er die Punk-Band, „und dabei hochprofessionell, eine Institution“. Inzwischen lasse er es musikalisch ruhiger angehen. In „The Lost Band“ covert Wagner mit Gleichaltrigen begeistert Oldies.

Aus Spaß bringt der Umtriebige, der auch gern den Bootskapitän gibt, das „Gü-Ding!“ heraus, eine 40-seitige Stadtteilzeitung. Und wer weiß, vielleicht bricht der Vater zweier erwachsener Söhne irgendwann seine Zelte hier ab und verwirklicht seinen Traum: Ein Cafe-Restaurant in Südfrankreich. „Nicht mehr als vier Tische und ich hinter der Theke.“ Passt zu ihm – und auch ein wenig zum Glasisch.

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