Museen im Saarland Auf den Spuren verschwundener Größe

Wallerfangen · Das Historische Museum Wallerfangen zeigt Spuren aus 2500 Jahren immer wieder neuer, überregionaler Bedeutung des Ortes.

 Begegnung mit der Französischen Revolution: Dr. Peter Winter erklärt, dass die Pietà aus Sandstein von Aktivisten der Revolution 1794 verstümmelt wurde.

Begegnung mit der Französischen Revolution: Dr. Peter Winter erklärt, dass die Pietà aus Sandstein von Aktivisten der Revolution 1794 verstümmelt wurde.

Foto: Thomas Seeber

Prominente Original-Exponate? Schwer zu sagen im Historischen Museum in Wallerfangen. Es gibt nicht das spezielle eine Stück, für das man eigens herkommt. Das Wallerfanger Museum ist ein Museum der Spuren. Man muss sie lesen können – und dann wird es spannend.

Ein Paradebeispiel ist der jüngste Neuzugang. Eine Pietà aus Sandstein, geschaffen im 18. Jahrhundert von Pierrar de Corail. Maria fehlt der Kopf, die ganze Front mit dem Leichnam Jesu ist abgeschlagen. Sehr ramponiert, kunsthistorisch uninteressant. Aber: Die Zerstörungen sind lebendige Spuren der Französischen Revolution. Wohl im Frühjahr 1794, berichtet Dr. Peter Winter vom Verein für Heimatforschung, stiegen Revolutionäre den Limberg in Wallerfangen hinauf und zerstörten den Kreuzweg. Die Reste blieben einfach im Wald. Von dort kam die Pietà jetzt ins Museum, so, wie sie die Revolutionäre hinterlassen haben. Weltgeschichte, regionale Geschichte, die sich hier in Wallerfangen verfangen hat.

Das ist der Nenner dieses Museums. Es nennt sich nicht Heimatmuseum, sagt Winter, weil nicht die Ortsgeschichte gezeigt wird. Sondern Historisches Museum, weil sich in Wallerfangen wie kaum sonst wo im Saarland über 2500 Jahre Bedeutung imer wieder verdichtete und fast spurlos wieder verschwand.

Im Wald, zum Beispiel. Der Sporn des Limbergs über dem Saartal eignet sich ideal für eine Befestigung. Das entdeckten schon die Menschen der Urnenfelderkultur (ab 9. Jahrhundert vor Christus) und die frühen Kelten (ab 500 vor Christus). Sie riegelten den Sporn mit mehreren Wällen ab, die heute noch im Wald gut aufzuspüren sind. So eine Anlage deutet auf Macht hin: Was mehrere Hortfunde der Bronze- und Eisenzeit beweisen, mehr noch aber der reiche Schmuck eines Fürstinnengrabes. Hinweis auf ein bedeutendes regionales Machtzentrum. Die Funde lagern in bedeutenden Museen, in Wallerfangen zeigen sie ein paar Teile und täuschend echte Kopien samt einem Landschaftsmodell.

Verschwunden im Boden indes sind die in ihrer Länge noch nicht erforschten, wohl noch nicht einmal ganz erfassten Azurit-Stollen. Vielleicht schon die Kelten bauten hier das Kupfererz ab, ganz sicher aber die Römer. In St. Barbara hat sich die einzige Besitzertafel eines römischen Bergwerks nördlich der Alpen erhalten. Gefunden hat man bisher wenig. Immer wieder diskutieren Wissenschaftler, ob das „Wallerfanger Blau“ auch von Dürer benutzt wurde. Im Museum zeigt man das azurithaltige Gestein. Und Relikte des Abbau aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, als man das Azurit mit Salzsäure auswaschen konnte und es mit dem Abbau nochmal versuchte.

Im Schutt der Geschichte verschwunden ist auch – Wallerfangen selbst. Es gibt kaum Exponate aus dem Mittelalter, ganz so, als habe es diesen bedeutenden Ort der Macht nie gegeben. Und doch: Wallerfangen war Sitz der Verwaltung eines so genannten Ballistums Lothringens, Hauptort eines Gebietes „doppelt so groß wie das Saarland“, wie Winter unterstreicht. Umgeben von einer veritablen Stadtmauer. Nachvollziehbar ist das nur auf alten Karten im Museum. Denn 1688 kam der Sonnenkönig Ludwig XIV. und ließ die Überschwemmungsfestung Sarrelouis bauen. Dafür ließ er Wallerfangen komplett abreißen und die Bewohner umsiedeln.

1931 traf dasselbe Schicksal Wallerfangens wirtschaftliches Herz, die schon damals wetweit operierende Firma Villeroy und Boch. Bis zu 1000 Arbeiter hatte sie beschäftigt, bevor die Nachfrage besonders in Deutschland, Argentinien und Brasilien einknickte. Die Arbeiter wurden entlassen, die Fabrik abgerissen, es blieb der leere Maschinenplatz. Auf ihm steht heute ziemlich zugig und verloren das Rathaus aus den 1970ern.

Aber in alten Dokumenten gibt es Spuren. Begonnen hatte es mit der Steingutfabrik 1791. Die revolutionäre Versammlung in Paris ließ wissen, man dulde zwar die von Nicola Villeroy ohne Genehmigung gebaute Fabrik, werde aber deren Holzverbrauch kontrollieren. Denn Bürger hatten sich über den Mangel an Brennholz und eine weitere Verknappung beschwert. Ausdrücklich wog man Arbeitsplätze gegen Holzpreise ab.

Auf Sicht aber war das aber nicht so wichtig. Denn Gründer Nicola Villeroy war ein Industriepionier, einer der vielen Macher der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Er experimentierte und stellte langsam von Holz auf Steinkohle um, wie man auf den Tafeln im Museum lesen kann. Man steht vor dem Anfang der Kohlezeit, deren Ende wir gerade erleben. Darüber geben in Wallerfangen Tafeln Auskunft, mit gerade so viel Text, dass man versteht, aber erst recht neugierig geworden ist. Manche handschriftlichen Dokumente sind als Reproduktion auf DIN-A-4-Pappen geklebt worden. Man kann sie in die Hand nehmen und auf der Rückseite den Text in heutigem Deutsch lesen. Das gehört zum zaghaft innovativen Konzept des Museums, das 2015 neu, einnehmend charmant und sehr zeitgemäß eröffnet wurde.

Zurück zur Steingutfabrik. Die Arbeiter waren nicht nur zahlreich, sondern offenbar auch selbstbewusst, zumindest im deutschen Revolutionsjahr 1848. Da, so ist auf den Tafeln zu lesen, wandten sie sich an Alfred Villeroy: Man möge wieder zur Bezahlung nach Stückzahlen zurückkehren, wieder weg von der Schicht-Bezahlung, hunb zu flexiblen Arbeitszeiten. Grund: Nicht jeder könne gleich lang und zur gleichen Tageszeit arbeiten. Erbeten wurde eine „Commission“, die über betriebliche Belange mitbestimmt, ein früher Betriebsrat. Außerdem erbat man, „hochgeneigtest“ zu genehmigen, dass bitteschön die Arbeiter „mehr Rechte gegenüber den Lehrlingen haben als umgekehrt“.

Das alles wurde genehmigt, wie man im Museum leicht nachlesen kann. Auch, dass bevorzugt Söhne von Betriebsangehörigen angestellt werden sollen, weil es doch den Vätern so selten vergönnt sei, neben ihren Söhnen zu arbeiten, schreiben die Arbeiter. Die Arbeiter starben früh. Und sie begannen früh, wie Dokumente zur Kinderarbeit beweisen. Die Industrialisierung, die soziale Frage, alles das spiegelt sich sehr deutlich in Wallerfangen. Genauso wie eine im Museum dokumentierte glückliche deutsch-französische politische Geschichte im 19. Jahrhundert, ebenfalls mit V & B verbunden.

Neben den Arbeiter-Anliegen von 1848 liegt ein Album mit Fotos der Belegschaft von V & B, Ende 19. Jahrhundert. Die Fotos für daheim. „Ich habe hier“, erklärt Winter nach einem Gang ins Magazin, „solche Fotos aus Wallerfanger Familie noch im Originalrahmen.“ Das Besondere an den Fotos: Der örtliche Lehrer und Heimathistoriker Theodor Liebertz, der just in dem Gebäude Kinder unterrichtete, in dem jetzt das Museum ist, hat um 1900 fast jeden Arbeiter auf den Fotos identifiziert und dokumentiert. Auch das findet sich so schnell wohl nirgends.

Die Produktion von V & B ist mit vielen Beispielen vor allem zwischen 1820 und 1920 im Historischen Museum Wallerfangen vertreten; schon optisch das Herzstück. Einen Schwerpunkt setzen Beispiele des angesehenen Designers und Kupferstechers Philipp Müller (1811 bis 1893). V & B-Produkte werden bis heute gesammelt, in jedem Juli veranstaltet das Museum einen sehr großen Keramikmarkt, Treffpunkt für V & B-Sammler mit enormem Einzugsbereich.

Das Museum befindet sich in einem historischen Gebäude, das Teil des Ensembles „Adolphshöhe“ ist. Sie gehört defintiv zu den städtebaulich schönsten Plätzen im Saarland: ein weitgehend geschlossenes Ensemble aus den 1860ern, heute noch ist hier eine Grundschule untergebracht, in der früheren „Mairie“, wie über dem Eingang prangt. Nicolas Adolphe de Galhau, damals Bürgermeister und Enkel des Gründers der Steingutfabrik Villeroy in Wallerfangen, ließ den Platz bauen.

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