Der schreiende Holländer in seinem Pflanzenmeer

Seine Stimme ist allgegenwärtig in der Saarlouiser Innenstadt. Er steht mit dem Mikrofon auf der Bühne, ein Pulk Menschen davor, mal 70, mal 150. Der Mann auf der Bühne heißt Rudi van de Linde und wie jeder Mann mit Mikro auf einer Bühne ist er irgendwie populär. Er singt und lacht und spricht und tanzt. Und verkauft eine Pflanze nach der anderen. An Menschen, die gar keine Blumen mögen

Seine Stimme ist allgegenwärtig in der Saarlouiser Innenstadt. Er steht mit dem Mikrofon auf der Bühne, ein Pulk Menschen davor, mal 70, mal 150. Der Mann auf der Bühne heißt Rudi van de Linde und wie jeder Mann mit Mikro auf einer Bühne ist er irgendwie populär. Er singt und lacht und spricht und tanzt. Und verkauft eine Pflanze nach der anderen. An Menschen, die gar keine Blumen mögen. Die nicht wissen, wie sie die gekauften Stöcke nach Hause schaffen sollen. Oder die extra seinetwegen hergekommen sind. "Flamingoblume, Hawaiirose, chinesische Ulme! Vierzig? Zwanzig? Zehn Euro!" Rudi schreit gegen fidelnde Straßenmusiker und ratternde Karussells an.Seit 25 Jahren kommen die selbst ernannten Blumenkönige aus dem niederländischen Winterswijk zum Krammarkt auf das Saarlouiser Altstadtfest. Die Possenreißer halten Blumen in die Luft, rufen scheinbar wahllos Preise aus. "Und weil wir heute gute Laune haben", Rudi verschwindet hinter dem Blumenregal und rennt wieder nach vorn, seine schweißnassen Locken kleben ihm auf der Stirn, "gibt's zur Calla noch ne Darlingtonia dazu, fleischfressende Pflanze - damit werden Se auch Ihre Schwiegermutter los!" Eine Frau balanciert sechs Orchideen und manövriert sich durch die Menge. "Orchideen kann ich hier den ganzen Tag verkaufen! In Holland kosten die 50 Cent!" Rudi reicht drei weitere Stöcke von seiner Lkw-Bühne ins Publikum. Samstag stand er zwölf Stunden im Laster.

"Marktschreier beherrschen die besondere Kunst des Verkaufens", sagt Kasimier Stemerdink. Ihm gehört der mobile Blumenladen. Von ihm hat Rudi das Marktschreien gelernt. Familie Stemerdink ist seit drei Generationen lautstark auf Märkten vertreten. "Mein Großvater war Marktschreier aufm Hamburger Fischmarkt", sagt er, "der hat mir diese Kunst in die Wiege gelegt!"

Denn als Marktschreier muss man geboren sein, irgendwie. Den Charakter muss man mitbringen, für den Rest gibt's Tipps. Viel trinken, zwischendurch eine Salztablette, damit die Stimme bleibt. Gut drauf sein, lachen und auch die Leute anstecken. Wer viel lacht, kauft viel, das ist das Geheimnis, sagt Stemerdink. Ja, es geht auch um Qualität. Die Leute kommen wieder, weil die Orchideen, die sie im Vorjahr gekauft haben ("Drei für zehn Euro!") immer noch blühen.

Reden ist wichtig. Nicht unbedingt so schnell wie Rudi. Aber viel. "Die Leute müssen immer was hören", weiß Stemerdink. "Wo was zu hören ist, da läuft man hin!" Mit Rudi ist er seit zwölf Jahren unterwegs. "Anfangs war er zu unsicher. Als Marktschreier muss man selbstbewusst sein!" Schließlich steht man mit Mikro auf einer Bühne. Man muss auf das Publikum eingehen und entwickelt bald seinen eigenen Stil. Und ja, dass sie Niederländer sind, trage auch zum Erfolg bei. "Holländer kommen immer gut an", sagt Stemerdink. "Wir gelten als lustige Leute." Und dann ist da ja noch dieser Zungenschlag. "Sie stehen hier und gucken mich an, als hätten Sie noch nie ne verrückte Holländer gesehn!", ruft Rudi vom Lkw.

Anstrengender als das viele Reden ist das Hin- und Herlaufen im Lkw. In zwölf Stunden Verkaufswahn kommen schon 30 Kilometer zusammen. "Aber die Kunden lachend und mit vollen Händen weggehen zu sehen, das ist es wirklich wert", sagt Stemerdink. Maria Karrenbauer taucht aus der Menge auf wie hinter einem Vorhang Sie schiebt eine Palme vor sich her, hat eine Calla und zwei Orchideen unter den Achseln. "Ich wollte gar nichts kaufen", sagt sie, nur kurz zuhören, auf dem Weg zum Auto. Jetzt wird es eng in ihrem Fiat.

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