Pflegekinder Zwei Mütter kämpfen gegen Vorurteile

Schwalbach · Als Baby konnte Leonie in ihrer Familie nicht mehr bleiben. Bei ihren Pflegemüttern Andrea und Sandra hat sie ein neues Zuhause gefunden.

 Die Pflegemütter Andrea (rechts) und Sandra leben mit der sechsjährigen Leonie in der Gemeinde Schwalbach. Weil ihre kleine Familie viel gegen Vorurteile kämpfen muss, möchten sie nicht erkannt werden.

Die Pflegemütter Andrea (rechts) und Sandra leben mit der sechsjährigen Leonie in der Gemeinde Schwalbach. Weil ihre kleine Familie viel gegen Vorurteile kämpfen muss, möchten sie nicht erkannt werden.

Foto: Thomas Seeber

Die sechsjährige Leonie ist ein Wirbelwind. „Sie ist immer in Bewegung, sehr sportlich. Sehr sozial, hilfsbereit, sie hat ein Herz aus Gold“, schwärmt ihre Pflegemutter Andrea voller Stolz. „Leonie ist unser Wunschkind.“

Der Wunsch nach einem Kind und einer Familie war bei den beiden Frauen, die seit Jahren in einer eingetragenen Partnerschaft leben, groß: „Ob ein eigenes oder ein Pflegekind, das war für mich kein Unterschied“, sagt Andrea. Doch die Versuche, ein eigenes Kind zu bekommen, scheiterten – „trotz intensiven Geld- und Zeitaufwandes“, fasst Sandra zusammen.

Der Entschluss, ein Pflegekind aufzunehmen, fiel 2012. Eine Adoption war damals für das gleichgeschlechtliche Paar noch nicht möglich, erst seit 2018 erlaubt das Adoptionsgesetz dies. „Das Problem war nicht das Annehmen, sondern das Wieder-Weggeben, an den Gedanken musste ich mich gewöhnen.“ Ihre Pflegetochter Leonie jedoch werden sie nicht mehr hergeben müssen: „Wir hatten von Anfang an angegeben, dass die Rückführung ausgeschlossen sein soll.“

Mit sieben Monaten kam die kleine Leonie zu ihren neuen Müttern, im April 2014. In einem Erinnerungsbuch haben sie die erste Zeit festgehalten: Das erste Treffen, die erste Nacht mit dem Baby. „Das kam total überraschend“, erinnert sich Andrea, „ich war auf der Arbeit, als der Anruf kam, und ich habe geweint vor Freude.“ Das Jugendamt stellte ihnen zuerst die Umstände vor, in denen das Baby zuvor gelebt hatte und stellte den Kontakt zu der Bereitschaftspflegemutter her, die das Kind vorübergehend aufgenommen hatte. Die Frauen standen plötzlich vor vielen Fragen: „Da ist ein kleiner Mensch, den man nicht kennt, der einen nicht kennt. Man fragt sich natürlich: Kann ich das Kind lieben? Und was wenn nicht?“, schildert Andrea. „Man hat keine Zeit, da reinzuwachsen, wie bei einer Schwangerschaft.“ Auch in Sandra ging sehr viel vor: „Ich dachte, dieses Kind hat keine Wahl. Aber wir. Ich hätte sie nicht ablehnen können.“

Die Entscheidung war gefallen: Bürokauffrau Andrea nahm sofort ein Jahr Elternzeit. In Windeseile richteten sie ein Kinderzimmer ein, „es war ja nichts vorbereitet“, erinnert sich Sandra, die selbstständig arbeitet. „Gleichzeitig versucht man, von dem Kind zu lernen: Was braucht es? Wir hatten ja keine Erfahrung.“ Das Kennenlernen war holprig: „Bei mir hat es etwa eineinhalb Wochen gedauert, bis der Schock vorbei war“, erzählt Andrea. „Ich habe gleich versucht, eine enge Bindung herzustellen, viel Nähe, Hautkontakt. Doch Leonie konnte anfangs Nähe nicht gut zulassen. Nach knapp zwei Monaten lief es dann besser: Da ist sie auf meinem Arm eingeschlafen.“

Weil sie quasi ins kalte Wasser geworfen wurden, waren sie dankbar für Angebote des Jugendamtes: „Wir wussten einfach vieles nicht“, sagte Andrea, „Wir haben Vorträge und Kurse besucht, Arbeitskreise mit anderen Pflegeeltern, das war wahnsinnig hilfreich.“

Von den Problemen, die Pflegefamilien ohnehin in der Öffentlichkeit haben, haben Regenbogenfamilien noch mehr. Deshalb wurden auch alle Namen geändert. Damit, dass Leonie nicht leibliches Kind einer der Frauen ist, gehen sie nicht hausieren – nicht mehr, erzählt Sandra: „Am Anfang waren wir recht offen. Aber wir hatten negative Erlebnisse.“ Sie erlebten beides, Vorurteile gegenüber Pflege- und gleichgeschlechtlichen Eltern. „Meistens wird darüber hinter unserem Rücken geredet statt mit uns, das macht mich sauer.“ Da kann Sandra auch deutlich werden: „Was wäre denn mit diesem Kind, wenn wir es nicht aufgenommen hätten? Es ist doch immer besser, ein Kind kommt in eine Familie als in ein Heim, wo es keine echte Bezugsperson hat!“

Sandra erzählt: „Sie wird manchmal gefragt: ,Und zu wem sagst du Mama?’“ Für Leonie ist das jedoch klar: Die eine ist die Mama, die andere die Mami. Ihre Mütter wollen dem Mädchen vermitteln, mit dummen Sprüchen oder Fragen souverän umzugehen. „Wir versuchen, ihr Rückgrat mitzugeben“, betont Andrea. Für Leonie selbst sei, wie für viele Kinder, „alles normal“, weiß sie: „Sie kennt verschiedene Familienmodelle, Alleinerziehende, auch zwei Väter als Paar. Wir sind ja kein Einzelfall.“

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