Ein Leben in unvorstellbarer Angst

Saarwellingen · Mit den vier jüngeren ihrer sechs Kinder musste Familie Ali vorm Bürgerkrieg in Syrien fliehen. Nach einem Jahr Flucht fand sie in Reisbach ein neues Zuhause. Nun droht die Abschiebung nach Bulgarien.

 Familie Ali droht die Abschiebung nach Bulgarien. Mutter Gule, Tochter Amina und Vater Alush mit Übersetzer Adib Hamo (v.r.). Drei weitere Kinder besuchen Schulen in Saarwellingen. Foto: Ruppenthal.

Familie Ali droht die Abschiebung nach Bulgarien. Mutter Gule, Tochter Amina und Vater Alush mit Übersetzer Adib Hamo (v.r.). Drei weitere Kinder besuchen Schulen in Saarwellingen. Foto: Ruppenthal.

Foto: Ruppenthal.

Alush Ali ist um Fassung bemüht. Seine Stimme ist leise und zittrig, sein Blick ängstlich. Wie der seiner Frau Gule und seiner Tochter Amina. Als der 44-Jährige beginnt, von dem zu erzählen, was ihm und seiner Familie in den letzten zwölf Monaten widerfahren ist, kann er die Tränen nicht mehr zurückhalten. Am 28. Mai 2014 floh Alush Ali mit seiner Frau und vier seiner sechs Kinder aus Syrien. Es folgte eine Zeit der Ungewissheit, der ständigen Angst und der Erniedrigung.

Ihre Heimat Afrin, im Nordwesten Syriens, nahe der Grenze zur Türkei gelegen, musste die Familie wegen des Bürgerkrieges verlassen. "Wir wollten es über die Türkei nach Deutschland schaffen, weil dort bereits zwei unserer Söhne leben", erzählt Ali. Die Söhne, 18 und 20 Jahre alt, waren kurz zuvor geflohen und erhielten in Rheinland-Pfalz Asyl . Zu ihnen schaffte es die Familie nicht. "Ein Schlepper hatte uns zugesagt, dass wir nach Deutschland kommen, aber er brachte uns nach Bulgarien." Dort landete die Familie in einem Lager mit rund 4000 anderen Flüchtlingen. Fünfeinhalb Monate verbrachten die Alis mit den Kindern, sieben, zwölf, 13 und 21 Jahre alt, in dem Lager.
Physische Gewalt erlitten



"Wir wurden von den muslimischen Bewohnern mehrmals angegriffen und geschlagen, weil wir Jesiden sind und in ihren Augen als Ungläubige gelten", erzählt Ali. Viel mehr möchte und kann er über die Zeit dort nicht berichten. Übersetzer Adib Hamo vom Verein Rote Sonne fügt hinzu: "Es ist physische und psychische Gewalt , die die Jesiden dort erleiden müssen. Das hinterlässt tiefe Spuren."

Anfang Dezember schaffte es die Familie dann mit einem anderen Schlepper nach Deutschland, wo sie zunächst in Lebach landete und dann, im Februar, in einer Wohnung in Reisbach unterkam. Dort fühlen sie sich wohl, aber die Hoffnung, hier Asyl zu erhalten, war vergebens. Ihr Antrag wurde abgelehnt. "Der Familie wurde in Bulgarien Schutzstatus anerkannt, somit kann in keinem anderen europäischen Land mehr Asyl gewährt werden", erklärt Heinz-Peter Nobert, Anwalt der Familie und Mitglied im Saarländischen Flüchtlingsrat die Gesetzeslage.

Jetzt droht die Abschiebung. Nach Bulgarien. In ein Land, in dem Flüchtlinge keinerlei Hilfe erhalten, und in dem laut Flüchtlingsorganisation Pro Asyl "gravierende unmenschliche Zustände" herrschen. Es sei eine "wahnwitzige Form der Familientrennung", sagt Anwalt Nobert, sollte die Abschiebung "in die Obdachlosigkeit" erfolgen, da die beiden Söhne in Deutschland Asyl erhielten.

Deshalb und wegen der besonders "üblen Flüchtlingsgeschichte" hat er einen Antrag auf Asyl bei der Härtefallkommission des Saarlandes gestellt. Deren Aufgabe ist es nun, die Sachlage zu prüfen und dem Innenministerium einen Vorschlag pro oder kontra Asyl mitzuteilen. Die finale Entscheidung obliegt Innenminister Klaus Bouillon .
Teure Flucht

Auch die Gemeinde Saarwellingen hat sich an die Kommission gerichtet und sich für den Verbleib der Familie Ali ausgesprochen. Die drei jüngeren Kinder gehen hier zur Schule, die Familie besucht Deutschkurse und ist um Integration bemüht. All das spreche für sie, sagt Christoph Klein von der Gemeinde.

12 000 Euro kostete die Flucht. Dafür musste die Familie, die in Syrien vom Olivenanbau lebte, alles verkaufen. Sie besitzt nichts mehr. Dennoch steht für Vater Alush fest: "Eher gehen wir zurück nach Syrien in den Krieg als nach Bulgarien." Ein solches Martyrium ertrage seine Familie nicht noch einmal.

Meinung:
Abschiebung ist keine Option

Von SZ-Redakteur Marc Prams

Was musste diese Familie alles ertragen: Krieg, Flucht, Angriffe wegen ihres Glaubens, körperliche und seelische Gewalt . Und Angst. Ein Leben in permanenter Angst, über ein ganzes Jahr hinweg. Unvorstellbar. Und jetzt, wo sie gerade dabei war, Ruhe zu finden, in Saarwellingen , wo sie offen empfangen wurde, die Kinder zu Schule gehen und endlich Normalität einkehrte, droht die Abschiebung. In ein Land, in dem die Familie so viel Schreckliches erleben musste, dass sie eher in ihre Heimat geht. In den Krieg. So weit darf es nicht kommen. Eine solche Politik der Abschiebung darf sich unsere Gesellschaft nicht leisten. Die Hoffnung ruht auf Innenminister Klaus Bouillon . Er fällt eine Entscheidung, die nur heißen kann: Familie Ali darf bleiben!

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