"Wir werden alle Funktionäre"

Berus. Seelische Krankheit quält immer einen einzelnen Menschen, nämlich den, der erkrankt ist: nach Mobbing, nach extremen Belastungserlebnissen, oder durch arbeitsplatzbedingte Erschöpfung (Burn Out), zum Beispiel

 Norbert Glahn, Vorstandsvorsitzender der Allgemeinen Hospitalgesellschaft (AHG), links, im Gespräch mit Minister Georg Weisweiler.

Norbert Glahn, Vorstandsvorsitzender der Allgemeinen Hospitalgesellschaft (AHG), links, im Gespräch mit Minister Georg Weisweiler.

Berus. Seelische Krankheit quält immer einen einzelnen Menschen, nämlich den, der erkrankt ist: nach Mobbing, nach extremen Belastungserlebnissen, oder durch arbeitsplatzbedingte Erschöpfung (Burn Out), zum Beispiel. Viele einzelne Kranke lassen aber fragen: Stimmt was nicht mit der Gesellschaft?Der Philosoph und Erfolgsautor Wilhelm Schmid aus Berlin hielt beim Festakt zum 25-jährigen Bestehen der Klinik Berus der Gesellschaft seinen Spiegel vor. Er teilt die menschlichen Beziehungen in Arten ein und fragt: Was wollen wir denn? Menschliches Miteinander, das kooperativ geprägt ist, von gegenseitiger Wahrnehmung und Hilfe etwa am Arbeitsplatz? Wie Freundschaft, zum Beispiel. Oder wollen wir, wohin es derzeit immer mehr gehe: "Wir werden alle Funktionäre, eine Gesellschaft der Funktionsträger, die sich wechselseitig nur benutzen, ohne dass Beziehung und Bindung entsteht?" Das sei beruflicher und privater Umgang, der "sich wechselseitig nicht zur Kenntnis nimmt, null Bindung, keine Loyalität. Es ist die absolute Freiheit in der Annahme, man schulde dem anderen nichts und könne mit ihm umspringen, wie man wolle." Perfektes Funktionieren täusche nicht über innere Leere hinweg - "das ist die Basis von Burn Out."

Dieser Form der arbeitsplatzbedingten Erschöpfung widmet sich das jüngste Therapieangebot der Klinik Berus. Burn Out, auch Mobbing-Folgen und andere psychosomatische Krankheiten sind auch deswegen gesellschaftlich wichtig, weil sie der Wirtschaft Arbeitskraft entziehen.

Rehabilitations-Maßnahmen wie in Berus haben daher gesellschaftliche Bedeutung. Auch, weil gesundete Patienten, die wieder arbeiten, Versicherungen (und damit allen Menschen) Geld sparen. Ein Euro für Reha zahle sich vierfach aus, sagten Redner beim Festakt zum 25. Bestehen der Klinik. Die Schlüsselposition von Reha zwischen dem Einzelnen, der Gesellschaft und der Ökonomie war der gemeinsame Nenner der Redner.

Ordentliche Arbeit und wirtschaftliche vernünftige Ergebnisse ließen sich in der Reha wie in Berus vereinbaren, sagte Gesundheitsminister Georg Weisweiler. Reha wie in Berus diene nach den Worten des Dezernenten der Deutschen Rentenversicherung (Bund), Ola Hebrant, "dem sozialen Frieden der Gesellschaft" - weil erfolgreiche Rehabilitation die Versicherungen entlaste. "Reha lohnt sich." Eine Krankheit wie Burn Out richte in der EU jährlich einen Schaden von 20 Milliarden Euro Folgekosten an, erklärte der Präsident der Ärztekammer des Saarlandes, Dr. Josef Mischo. Effiziente Therapie bescheinigte Berus der Präsident der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes, Bernhard Morsch. Er klagte, dass die Wirksamkeit und der kostensparende Einsatz von Psychotherapie vom Gesetzgeber gegenüber Psychopharmaka immer noch nicht ausreichend anerkannt werde.

Norbert Glahn, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Allgemeinen Hospitalgesellschaft (AHG) Düsseldorf, dem Klinik-Träger, bescheinigte "dem innovativen Team" großen Erfolg "beim Erhalt und der Wiederherstellung von Erwerbsfähigkeit."

Die Beruser Therapeuten arbeiten konkret am Verhalten der einzelnen Patienten. Der Blick auf die Gesellschaft, wie ihn Philosoph Schmid eröffnet, kann diese Arbeit einordnen in Strukturen menschlicher Beziehungen. Die können beim modernen Menschen durchaus verwundern, meint Schmid. Der heute höchste Wert sei Freiheit. "Menschen gehen Bindungen aus Liebe ein und verlassen sie um ihrer Freiheit willen wieder - nur um neue Bindungen einzugehen."

Meinung

Nicht gegen die Gesellschaft

Von SZ-RedakteurJohannes Werres

 Philosoph Wilhelm Schmid war Festredner. Fotos: Thomas Seeber

Philosoph Wilhelm Schmid war Festredner. Fotos: Thomas Seeber

Als wär's ein Stück Therapie: Wilhelm Schmid rückte zusammen, was zusammengehört. Der Appell, darauf zu achten, wie wir miteinander leben, das Miteinander selbst bestimmen - und dass genau das bestimmt, wie unsere Gesellschaft aussieht, wie es dem Einzelnen darin geht. Botschaft: Es kommt auf dich an. Das könnten Therapeuten genauso sagen, von sich und ihren Patienten. Und auch Patienten sind nicht nur Opfer, sie handeln auch. Therapie heißt, die Fähigkeit erhalten zu handeln, auch etwas einzufordern, notfalls sich zu wehren, um Mensch zu bleiben: aber nicht gegen die Gesellschaft, sondern in ihr. Das ist zutiefst human, und darüber kann man in Berus viel lernen.

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