Pflege lernen

Saarlouis. Zwischen Kerzen und Weihnachtsplätzchen legt Tatjana Rehm weiße Windeln, Einlagen und Urinbeutel. "Denken sie immer nach, wie es sich anfühlen würde, sie selbst hätten Inkontinenz und könnten Urin- und Stuhlausscheidung nicht kontrollieren und wären darüber hinaus angewiesen, dass jemand anderes sie wäscht und sie nackt und beschmiert vor ihm liegen

Saarlouis. Zwischen Kerzen und Weihnachtsplätzchen legt Tatjana Rehm weiße Windeln, Einlagen und Urinbeutel. "Denken sie immer nach, wie es sich anfühlen würde, sie selbst hätten Inkontinenz und könnten Urin- und Stuhlausscheidung nicht kontrollieren und wären darüber hinaus angewiesen, dass jemand anderes sie wäscht und sie nackt und beschmiert vor ihm liegen. Dann geht es ihnen nicht gut." Die acht Kursteilnehmer nicken, die Situation ist ihnen vertraut. Sie alle pflegen daheim Angehörige - Eltern oder Ehepartner. Und sie tun es freiwillig - die Lieben in ein Pflegeheim zu geben, wäre für sie nur der letzte Schritt. Damit sind sie nicht allein: Zwei Drittel der 30 380 pflegebedürftigen Menschen im Saarland (Stand 2009) werden in ihren Familien umsorgt.Auch die Geschwister Werner Schneider und Ingrid Both aus Überherrn-Altforweiler pflegen ihre 84 Jahre alte Mutter. Vor 14 Jahren diagnostizierte der Arzt bei ihr einen Sitz- und Schambeinbruch. Seitdem ist sie an den Rollstuhl gefesselt, kann nur noch wenige Schritte am Rollator gehen. "Mit der Pflege kannte ich mich nicht aus", gesteht der 61 Jahre alte Schneider, der mit seiner Frau vor einem Jahr zur Mutter ins Haus gezogen ist. Bis dahin kümmerte sich hauptsächlich die drei Jahre ältere Schwester. Gemeinsam wollen sie im Kurs für pflegende Angehörige, den das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und die Knappschaft seit 2001 gemeinsam anbieten, fit für den Pflegealltag werden. Sie können inzwischen Menschen ohne großen Kraftaufwand bewegen, wissen, welche Hilfsmittel es in Sanitätshäusern gibt und wie sie Unfällen vorbeugen können. "Teppiche und sonstige Stolperfallen haben wir entfernt", sagt Schneider. Im Kurs haben sie erfahren, wie es sich anfühlt, im Rollstuhl zu sitzen - und wie sie den Angehörigen zu trinken geben, ohne dass dieser sich verschluckt. Wie es finanzielle Hilfen der Pflegeversicherung gibt, und an wen sie sich bei Schwierigkeiten wenden können, wird ebenfalls vermittelt.

Heute geht es um die Körperpflege. Tatjana Rehm erklärt detailliert und ohne Scheu die Wäsche des Intimbereichs. Nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester hat sie sich zur Kursleiterin weiterqualifiziert. Da sie selbst schon Angehörige gepflegt hat, weiß sie um die Probleme, die bei der häuslichen Pflege auftreten können. "Angehörige und der Gepflegte kommen oft nicht mit dem Rollenwechsel klar und empfinden Scham, etwa wenn die Tochter den Vater wäscht", nennt sie ein häufiges Problem. "Wenn Sie sich ekeln, versuchen Sie bitte, es sich nicht anmerken zu lassen - und vor allem: Verwenden Sie keine Babysprache wie: 'komm, wir gehen jetzt einen Bach machen.'"

Probleme mit dem Rollenwechsel hat Werner Schneider nicht. "Ich mache das gerne für meine Mutter", sagt er. Noch kann sich die 84-Jährige selbst waschen, nur manche Stellen am Oberkörper erreicht sie nicht mehr. Auch die psychische Belastung, wie viele pflegende Angehörige sie kennen, haben die Geschwister nicht erfahren. "Unsere Mutter ist sehr dankbar. Da haben wir Glück, wenn wir hören, was andere erleben", sagt Ingrid Both.

An den zehn Abenden mit je zwei Unterrichtsstunden sind die Teilnehmer zusammengewachsen. "Viele Leute tauen hier auf und können offen und unter Gleichgesinnten über ihre Überforderung sprechen", hat Tatjana Rehm beobachtet. Werner Schneider ist der einzige Mann im Kurs - ein typisches Bild, denn noch immer werde häusliche Pflege vor allem von Frauen übernommen. "Aber es sind über die Jahre mehr Männer geworden", sagt Rehm.

Während des Kurses sind zwei Angehörige von Teilnehmern gestorben, bei einer weiteren Angehörigen hat sich der Zustand seit dem letzten Treffen dramatisch verschlechtert. In der Gruppe erfahren die Betroffenen Trost und Unterstützung. Bei aller Trauer sind sie froh, ihren Angehörigen das Sterben im eigenen Zuhause ermöglicht zu haben.

Die DRK-Landesgeschäftsstelle informiert über die Kurse für pflegende Angehörige. Darüber hinaus gibt es spezielle Kurse für die Betreuung von Demenzkranken. Alle Kurse sind kostenlos. Tel.: (06 81) 50 04 243

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort