Das Für und Wider des Mistelbaums Ist sie Schmarotzer oder Wundermittel?

Saarlouis · Misteln auf Bäumen bieten viel Diskussionsstoff: Ob Verderben oder wichtige Funktion, darüber sind sich Fachleute nicht einig.

 Diesen „Mistelbaum“, eine alte Birne, die auf einer Streuobstwiese in Fremersdorf stark befallen ist, hat Leser-Reporter Heinz Domer fotografiert.

Diesen „Mistelbaum“, eine alte Birne, die auf einer Streuobstwiese in Fremersdorf stark befallen ist, hat Leser-Reporter Heinz Domer fotografiert.

Foto: Heinz Domer

Küssen sich zwei Menschen unter einem Mistelzweig, so hält ihre Liebe auf ewig. Das besagt zumindest ein alter Brauch. Doch was nutzt das dem Wirt, von dem sich die Misteln bis zu ihrer abergläubischen Umfunktionierung zehren? Sehr wenig. Oder wie der Birnbaum, den uns Heinz Domer von einer Streuobstwiese in Fremersdorf schickte, zeigt: nichts. Beim Anblick des Baumes fragt sich der Leser, was die Mistel denn nun ist: „Schmarotzer oder Wundermittel“?

Die Fachleute sind sich in der Bewertung der Mistel nicht immer einig, wie Nachfragen der SZ zeigen. Peter Metzdorf, Vorsitzender des Kreisverbandes der Obst- und Gartenbauvereine Saarlouis zieht ein vernichtendes Urteil über die Halbparasiten: „Für die Pflanzenwelt bedeuten die Misteln Verderbnis und Tod.“ Der Grund hierfür liegt in der Beschaffenheit der immergrünen Misteln. „Sie beziehen ihre Nahrung von ihrem Wirt“, erklärt Metzdorf.

Martin Wollenweber vom Saarforst Revier Beckingen/Elm erläutert, warum die Misteln als Halbschmarotzer bezeichnet werden: „Die Mistel geht über ihre sogenannten Senkerwurzeln, die sie in den Ast einführt, an den aufsteigenden Saftstrom des Wirtes und nimmt die darin enthaltenen Nährstoffe wie Wasser und Mineralien auf. Ihren Zuckerhaushalt regelt sie aber über Photosynthese selbst.“

Die Misteln greifen also tief in die Leitbahnen der Äste, sodass ihre Bekämpfung – haben sie sich erst einmal vermehrt – nicht leicht fällt. „Sie abzureißen, bringt nichts. Der Ast, auf dem die Misteln sitzen, sollte mindestens 30 bis 50 Zentimeter ins gesunde Holz abgesägt werden“, meint Metzdorf. Die Schädlingsbekämpfung bedeutet häufig das Ende des Baumes. „Manche Bäume sind nicht zu retten“, urteilt Metzdorf.

Im Gegensatz zu den mit Misteln befallenen Bäumen auf Streuobstwiesen spielt die parasitäre Art im Wald keine große Rolle, sagt Wollenweber: „Der Schädling richtet hier wenig an.“

Neben den besonders gefährdeten Apfel- und Birnbäumen haben auch andere Baumarten wie Pappeln, Weiden oder Linden mit den buschförmigen Halbparasiten zu kämpfen. „Allgemein sind es Weichhölzer, weil die am meisten Wasser bieten. Unter Naturschutz stehen die Misteln aber nicht. Im späten Winter oder zu Beginn des Frühjahrs sollten sie fachgerecht entfernt werden“, sagt Metzdorf.

Während sich die Misteln anfangs nur langsam vergrößern und verbreiten, vermehren sie sich mit steigender Beerenzahl umso schneller. Hierfür verantwortlich sind die Vögel, erklärt Metzdorf: „Die Vögel übertragen die Samen der Beeren, die sie fressen, über ihren Schnabel oder den Kot. Die Samen sind klebrig. Die Vögel wollen sich von der klebrigen Masse befreien und putzen ihren Schnabel am Baum. Vor allem Amseln und Drosseln sind scharf auf die Beeren.“

Ulrich Leyhe, Kreisvorsitzender des Naturschutzbundes (NABU), weist der Misteldrossel – wie der Name schon sagt – bei der Vermehrung der Misteln einen entscheidenden Beitrag zu: „Sie lebt von den Mistelbeeren. Sie kann die Samen nicht alleine verteilen, aber sie leistet einen großen Anteil.“

Ein Verfallsdatum haben die verzweigten Sträucher im Gegensatz zu den befallenen Bäumen nicht. Peter Metzdorf schätzt, „wenn mehr als 50 Prozent des Baumes mit Misteln besetzt sind, ist der Baum meistens zum Tode verurteilt. Die Misteln können bis zu 70 Jahre auf einem Baum leben – bis der Baum verdirbt und eingeht.“ Mit Rückblick auf das zuletzt wütende Sturmtief „Sabine“ sagt Metzdorf: „Die Äste der Mistelbäume sind schwach und dürr. Sie lassen sich vom Wind dann leicht abreißen.“

Den alljährlichen Geschäftsumsatz mit den Mistelzweigen zur Adventszeit versteht Leyhe nicht: „Der Mistelkult kommt von den Heiden – und die waren keltisch. Es ist also keine christliche Tradition.“

Nicht unerwähnt dürfen die angeblich übernatürlichen Kräfte der Mistelzweige bleiben. „Von Druiden wurden sie bei der Zaubertrankzubereitung benutzt“, weiß Peter Metzdorf. Damit kennt sich vermutlich am besten Miraculix, der aus den Asterix-Abenteuern bekannte Druide, aus, der aus diesem Grund immer eine goldene Sichel mit sich trägt. Inwiefern die Misteln in der alternativen Medizin eine Rolle spielen – ob sie überhaupt eine Wirkung haben oder gar krebshemmend wirken – darüber debattieren die Mediziner heutzutage.

Leyhe möchte die Misteln nicht verteufeln und mahnt: „Man darf nicht jeden Baum gleich abhacken, der ein paar Misteln trägt.“ Der Naturschutz sieht die Halbparasiten „mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Sie haben eine wichtige Funktion bei der Ernährung der Vögel, aber entziehen dem Baum seine Kraft. Die Natur regelt sowieso alles von alleine. Man sollte mit Misteln leben und sie leben lassen.“ Metzdorf appelliert dennoch: „Man kann nur bitten, sich um die Bäume zu kümmern“.

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