„Man weiß, man hat jemand“

Saarlouis · Sprachkenntnisse sind Kapital, nicht Problem: Schüler verschiedener Muttersprachen helfen in Saarlouis Grundschülern

 Die Fotos waren Teil des Projektes, bei dem sich die Jugendlichen auch ihre persönlichen Geschichten erzählten: Diese sieben gehören zu der Projektgruppe „Vielfalt leben“ an der Gemeinschaftsschule In den Fliesen in Saarlouis. Fotos: Rolf Ruppenthal

Die Fotos waren Teil des Projektes, bei dem sich die Jugendlichen auch ihre persönlichen Geschichten erzählten: Diese sieben gehören zu der Projektgruppe „Vielfalt leben“ an der Gemeinschaftsschule In den Fliesen in Saarlouis. Fotos: Rolf Ruppenthal

"Du liebst, du lebst, du verlierst, du weinst. Aber du: lernst". Ahmad hat das auf einen überdimensionalen Buchdeckel geschrieben. Er kam als Flüchtling aus Syrien an die Fliesen-Schule in Saarlouis. Man ahnt nur, dass dahinter ein Schicksal steht. Nur die 20 Jungen und Mädchen einer Projektgruppe wissen es genau. Sie haben einander ihre Geschichten erzählt. Die 13- bis 17-Jährigen, manche Flüchtlinge, manche hier geborene Ausländer, manche Deutsche. Aber, sagt Mervan Mousa, wir wollten das nicht veröffentlichen. Bloß die Buchdeckel zeigen sie. Ahmads Text, sagt Amina Chekh Nabo, "kann man positiv sehen oder auch negativ. Da wussten wir nicht, wie wir reagieren sollten. Wie wir ihn ansprechen sollten." Aber sie haben zueinander gefunden, "es war toll, wie wir zusammengehalten haben", erzählt Zeinab Haidar.

Dabei "ist Ahamad ein guter Freund geworden, wir haben ihn alle gemocht." Ahmad hat gerade seinen Schulabschluss gemacht.

Fotos von sich haben sie gerne machen lassen, sie sind in der Fliesen-Schule zu sehen: offene, aufgeschlossene Gesichter. Noah Sadik hat sie gemacht, ein Gleichaltriger, das wollten sie so.

Die Gruppe hatte sich selbst eine Aufgabe gestellt. Zwei Jahre lang haben die Jugendlichen einmal die Woche neu ankommende Grundschüler betreut, ihnen bei den Hausaufgaben geholfen, übersetzt. "Patenschaft", nennt es Armin Ganrani. Mervan, der aus Syrien kam: "Ich habe die Situation selbst erlebt. Ich konnte kaum Deutsch sprechen, nach einem Jahr ging es schon, ich wusste, wie das System funktioniert. Ein neues Land, man weiß nicht, wie es funktioniert und wie man sich verständigt." Also macht er mit.

Ende 2014, Anfang 2015 konnte man ahnen, dass viele junge Flüchtlinge an die Schulen kommen würden. Die Schulentwicklungsplanerin des Landkreises, Natalie Sadik, stellte zur Diskussion, ob und wie sich die Schulen des Kreises vorbereiten könnten. Sie fragte bei mehreren Schulen, Lehrer wie Schüler, was sie dazu brauchen würden. Es gab einen Workshop im Landratsamt. Schülerinnen und Schüler entwickelten dort Ideen und tauschten sie aus. Die schon bestehende Projektgruppe der Gemeinschaftsschule in den Fliesen schlug unter anderem vor: Grundschüler, die nach der Flucht ganz neu an die Schule kamen, vor allem sprachlich zu begleiten. In der Vogelsangschule fanden sie an Ort und Stelle einen Partner, später kam die Grundschule in Roden hinzu.

Der Ansatz war, sagt Sadik, die Sprachkenntnis vieler Schüler als Kapital für die ganze Gesellschaft zu entdecken - nicht als Problem. "Vielfalt leben."

In pädagogisches Fachdeutsch übersetzt das Schulleiterin Ute Strozynski: "Wir haben Schule als einen interkulturellen Lern- und Lebensraum angenommen und damit verbunden die Wertschätzung der Vielfalt unserer Gesellschaft." Und: "Damit verbunden bauen wir auf die aktive Beteiligung der jungen Menschen und bieten ihnen so die Möglichkeit zur Mitbestimmung und Mitgestaltung, um ein Leben in Vielfalt und ein solidarisches Miteinander als persönlich bereichernd zu erleben."

Kima aus Syrien zum Beispiel, erzählt Armin, konnte am Anfang kein Wort Deutsch. "Aber es gab ein paar in unserer Klasse, die konnten ihre Sprache, also Arabisch, und haben ihr ein paar Sachen erklärt." Denn im Unterricht wird nur Deutsch gesprochen. Stimmt, bestätigt Strozynski. Nur wenn mal einer nach einem Wort fragt, bittet sie zum Beispiel Mervan um Übersetzung ins Arabische. Beobachtet hat sie auch: Manche Kinder glaubten sich in einem Schutzraum ihrer Sprache, weil sie ja keiner verstand - aber Irrtum. "Da gab es ja andere, die die Sprache verstanden, und die sagten zu den Klassenkameraden: So geht das nicht, wir haben hier Regeln." Kima: "Es ist so schwer, nichts zu verstehen und nichts lesen zu können. Ich wollte einfach wieder weg, weil ich nichts verstehen konnte."

Aber da waren ja noch andere wie Shervan Hasan, berichtet Kima: "Man weiß, man hat jemand, der die Sprache kann." Heute ist von wieder weg längst keine Rede mehr, und Kima machte mit in der Gruppe, die kleine Neuankömmlinge an den beiden Grundschulen begleitete.

 Schulleiterin Ute Strozynski (links) und Schulentwicklungsplanerin Natalie Sadik mit einem Text eines Schülers aus Syrien.

Schulleiterin Ute Strozynski (links) und Schulentwicklungsplanerin Natalie Sadik mit einem Text eines Schülers aus Syrien.

Zeinab Haidar versichert: "Wir würden echt gerne weitermachen. Frau Sadik kann uns jederzeit kontaktieren. Wir sind jederzeit bereit, mit ihr weiter zu arbeiten." Vorerst gehe das nicht, sagen sie, weil ein Bus nicht mehr fahre, der die Grundschulkinder gebracht habe. Und weil sie nach und nach alle ihren Schulabschluss machen und anderswo weiterlernen.

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