"Klären, ob das Voodoo-Kult ist"
Herr Blatt, wo genau sind Sie gerade?Blatt: Seit September lebe ich für zwölf Monate in Ayensudo, einem kleinen Ort an der Küste Ghanas. Zusammen mit vier anderen Freiwilligen betreue ich hier Projekte zur Jugendbildung. Unser Verein bietet Workshops zum Thema Musik, Video, traditionelle Tänze und ein Jugendmagazin an, das ich leite
Herr Blatt, wo genau sind Sie gerade?Blatt: Seit September lebe ich für zwölf Monate in Ayensudo, einem kleinen Ort an der Küste Ghanas. Zusammen mit vier anderen Freiwilligen betreue ich hier Projekte zur Jugendbildung. Unser Verein bietet Workshops zum Thema Musik, Video, traditionelle Tänze und ein Jugendmagazin an, das ich leite. Dieses Jahr dient laut offizieller Beschreibung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit aber weniger der Entwicklungsarbeit als vor allem der interkulturellen Begegnung. So bietet mir jeden Tag neue Möglichkeiten, mit den Menschen hier auf der Straße, im Taxi oder am Markt in Kontakt zu kommen. Wir wollen erfahren, wie sie leben und was sie bewegt.
Was hat Sie gereizt zu einem Jahr in Afrika, gleich nach dem Abitur?
Blatt: Nach 18 Jahren im Saarland wollte ich einfach mal raus, etwas anderes vom Leben sehen. Da mich Afrika als Abenteuer immer schon reizte, bewarb ich mich ganz kurzfristig auf die Stelle. Wirklich bewusst gemacht, was es bedeutet, für ein Jahr in Ghana zu leben, habe ich mir nicht. Als ich hier in Afrika ankam, wurde es mir dafür umso klarer. Nach einer kurzen Akklimatisierungsphase weiß ich aber mittlerweile, dass es die richtige Entscheidung war und kann eine solche Auslandserfahrung nur jedem weiterempfehlen.
Am Samstag ist Weihnachtsabend. Wie werden Sie das Fest feiern?
Blatt: Zu Nikolaus haben wir unseren Nachbarn kleine Geschenke aus Orangen und Keksen vor die Tür gestellt. Am nächsten Morgen waren sie kurz davor, einen Priester zu rufen, der klären sollte, ob hier jemand einen Voodoo-Kult verübt hatte. Geschenke zu überreichen, ohne dabei sein Gesicht zu zeigen, das tut doch keiner! In Ghana ist Weihnachten ein rein kirchlicher Feiertag. Eine Tradition mit Geschenken oder Weihnachtsbaum gibt es hier nicht. Am 24. Dezember sind wir morgens auf einer Hochzeit eingeladen. Einzig die Weihnachtsmusik dringt hier auch von Zeit zu Zeit durchs Radio, wird aber von Reggae und Hip-Hop überlagert. An Heiligabend öffnen wir Volontäre dann die Dosen aus Deutschland mit Rotkohl, Hirschfleisch, Rösti und genießen "deutsche Weihnachten". Dazu haben wir ein paar befreundete Flüchtlinge aus der Elfenbeinküste eingeladen, die seit der Krise in einem nahen Camp der UN leben. Wir hoffen, ihnen das Weihnachtsfest etwas versüßen zu können. Am 25. Dezember sind wir dann in eine ghanaische Familie eingeladen. Dort gibt es dann einen sehr, sehr langen Kirchgang, ich schätze mal mindestens vier Stunden. In der Kirche gibt es ein kurzes Weihnachtsspiel, das von meinen Mitfreiwilligen zusammen mit Kindern einstudiert wurde. Im Anschluss gibt es ein großes Fufu-Essen, das ist gestampfter Maniok-Brei mit Fisch oder Fleisch serviert mit der ganzen Familie.
Kommt Weihnachtsstimmung auf?
Blatt: Heute Abend bin ich gerade noch mal ins Meer gesprungen, da fällt der Gedanke an ein nahes Weihnachtsfest schwer. Weihnachten, das hat doch viel mit Schnee, Tannenbäumen und vor allem der Familie zu tun. Aber das erste Geschenk hab ich schon bekommen: Die Eltern eines Freundes, Bauern, schenkten mir vier Ananas und 40 Bananen.
Was hat es auf sich mit dem Schülerzeitungsprojekt?
Blatt: Das Projekt findet an drei Schulen in der Region statt. Einmal pro Woche treffe ich mich an jeder Schule mit den Schülern zu einer Workshop-Stunde. Diese Stunden bestehen aus zwei Teilen: Zuerst sprechen wir über die Artikel der Schüler. Quellen, Interviews, Bilder, Aufbau und Schreibstil, bis dann am Ende der fertige Artikel steht. Auch das Layout machen die Schüler selbst. Danach lernen sie die nötige Theorie: Wie führe ich ein Interview? Wie arbeite ich mit Word und Layout-Programmen? Am Ende steht das fertige Magazin, das etwa dreimal im Jahr erscheint. Es ist 28 Seiten stark und, auf vielfachen Wunsch der Schüler, mittlerweile in Farbe. Die Themen befassen sich mit allem, was die Lebenswelt der Schüler betrifft. Das waren in der letzten Ausgabe beispielsweise Teenager-Schwangerschaften, Korruption oder das Fischen in der Nacht mit Hilfe von Lampen, die ins Wasser gehalten werden und die Fangmenge vergrößern. In einem deutschen Schülermagazin würde man so etwas nicht finden, aber in einer Gesellschaft mit vielen Fischern und Bauern wollen die Jugendlichen über solche Themen schreiben. Da die Zeitung an drei Schulen erscheint, können die Artikel sich nicht mit schulinternen Dingen beschäftigen.
Wie sind Sie an das Freiwilligen-Projekt gekommen?
Blatt: Über Angebote zum Freiwilligen Sozialen Jahr bei "weltwärts", ein Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das BMZ, über das Freiwillige weltweit in Entwicklungsländer geschickt werden. Das Bundesministerium arbeitet dabei mit privaten Hilfsorganisationen zusammen. Erfüllen sie die Richtlinien, sponsert das BMZ den finanziellen Anteil, während die Organisation die inhaltliche Durchführung übernimmt. Die Bewerbungsfristen der großen Organisationen waren zur Zeit meiner Suche, im März, schon längst um. Das Internet spuckte aber eine Stelle aus: ein Jugendmagazinprojekt in Ghana, ausgeschrieben von einer kleinen Freiburger Organisation namens African Information Movement e.V. Da mich Journalismus schon lange interessiert und ich selbst davon überzeugt war, eher Wissen im Schreiben von Artikeln vermitteln zu können als im Bau von Brunnen und Schulen, war die Entscheidung schnell klar, dass ich in dem Bereich arbeiten will.