Jugendliche sollen Befangenheit ablegen und die Distanz überwinden

Saarlouis · Der 1930 geborene Leslie Schwartz war zu Gast im Max-Planck-Gymnasium in Saarlouis. Der Holocaust-Überlebende berichtete den Schülern über sein Schicksal als jüngster KZ-Häftling in Auschwitz und Dachau.

 Leslie Schwartz mit Schülern des Max-Planck-Gymnasiums sowie des benachbarten Robert-Schuman-Gymnasiums. Foto: Carolin Merkel

Leslie Schwartz mit Schülern des Max-Planck-Gymnasiums sowie des benachbarten Robert-Schuman-Gymnasiums. Foto: Carolin Merkel

Foto: Carolin Merkel

Als Christoph Kastner, Lehrer am Max-Planck-Gymnasium (MPG) in Saarlouis , im Hinblick auf die bevorstehende Fußball-EM die Frage nach Patriotismus und eventuellem Stolz, ein Deutscher zu sein, stellt, wird es ganz still im Lichthof. Leslie Schwartz, Jahrgang 1930 und einst jüngster KZ-Häftling von Auschwitz und Dachau, Holocaust-Überlebender mit ungarischen Wurzeln, denkt lange nach. Eine Antwort fällt ihm sehr schwer, er mahnt: "Vergesst niemals die Hitler-Zeit." Nicht in Vergessen geraten, das, so erklärt seine zehn Jahre jüngere Frau Annette, ist das Hauptanliegen, das ihren Mann immer wieder antreibt, in Schulen zu gehen und von seinem Schicksal zu erzählen. Bereits vergangenen September war Schwartz am MPG, im Gepäck einen Film, der das schlimmste Kapitel seiner Lebensgeschichte beleuchtet. Und auch diesmal waren Schüler und Lehrer tief betroffen von dem, was im Film erzählt wird.

Es brauchte auch ein wenig, bis sich der erste Schüler traute, die von Schulleiter Christian Lanyi eingeläutete Fragerunde zu eröffnen. Joshua Arens wollte wissen, welche Eindrücke Schwartz bei seinem ersten Besuch in Deutschland gesammelt hat. "Mein erster Besuch war 1972, als ich Agnes Riesch, die mir während meines KZ-Aufenthalts immer wieder Brot zugesteckt hat, persönlich zum Geburtstag gratuliert habe. Davon hat damals die Bild-Zeitung berichtet", erzählt er und fügt an, dass dieser Besuch ihm ein durchweg gutes Gefühl gab. "Auch wenn so mancher aus meinem Umfeld nicht verstehen konnte, dass er in dieses Land jemals zurückkehren konnte", sagt er.

Joshua will es genauer wissen, fragt, was sich in den vergangenen 70 Jahren in Deutschland verändert hat. "Ich glaube, Israel hat in Deutschland einen wunderbaren Freund gefunden", sagt Schwartz. Er selbst, betont er, ist immer gerne hier. "Es ist die Wärme und Freundlichkeit, die ihm die Schüler entgegenbringen. Manchmal fühlt er sich fast wie ein Schauspieler", sagt seine Frau. Sie selbst ist Deutsche, stammt aus Münster. Und anfangs, erzählt sie, hatte ihr Mann bei Besuchen in Deutschland auch immer wieder die Frage im Kopf, ob die Menschen, die ihm begegnen, nicht vielleicht doch Nazis sein könnten.

Schließlich trauen sich weitere Schüler ans Mikrofon, fragen, wie es ihm im KZ ergangen sei, wie es ging, überhaupt in den Alltag zurückzukommen. "Ich war damals 14 Jahre alt und habe jeden Tag gehört: ,Ihr dreckigen Juden'. Da hat sich ein Komplex entwickelt. Und selbst heute, wenn ich eine jüdische Zeitung kaufe, verstecke ich sie", sagt er. Eine Tatsache, die selbst seine Frau erschrickt. Dass es nie mehr soweit kommen darf, das will er in seinen Besuchen an Schulen immer wieder betonen, doch auch bei all dem Schrecklichen, was Schwartz damals passiert ist, er wünscht sich, dass die Jugend die Befangenheit ablegt, die Distanz überwinden, eine Umarmung, sagt seine Frau, das wünscht er sich.

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