Ein Stündchen später starten in die Schule

Kreis Saarlouis · Völlig frei in der Einteilung ihrer Zeit sind Oberstufen-Schüler auch an der Musterschule nicht. Aber es gibt Flexibilität. Die ist diskussionswürdig.

 Oberstufen-Schüler, wie hier von links Ann-Sophie Conrad, Samuel Fritsch, Jannis Jacob, Maurice Kornisch, Dennis Weitner, Talisa Nolfo, diskutieren mögliche Gleitzeit am Gymnasium durchaus kontrovers. Foto: Axel Künkeler

Oberstufen-Schüler, wie hier von links Ann-Sophie Conrad, Samuel Fritsch, Jannis Jacob, Maurice Kornisch, Dennis Weitner, Talisa Nolfo, diskutieren mögliche Gleitzeit am Gymnasium durchaus kontrovers. Foto: Axel Künkeler

Foto: Axel Künkeler

Am Dalton-Gymnasium Alsdorf (bei Aachen) läuft seit einem Jahr ein bundesweit einmaliges Projekt. An der Schule in Nordrhein-Westfalen dürfen die Oberstufen-Schüler selbstständig entscheiden, ob sie morgens eine Stunde später beginnen. Die SZ wollte wissen, was Lehrer und Schüler im Kreis Saarlouis sowie das saarländische Bildungsministerium dazu sagen.

"Gymnasium begeistert Schüler mit Gleitzeit" titelte der Stern im April 2016. Das Projekt sorgt im deutschen Blätterwald für Aufsehen. Dessen Ziel ist eine bessere Anpassung an den Bio-Rhythmus von Jugendlichen. "Bei den meisten Jugendlichen geht die innere Uhr etwa bis zum 20. Lebensjahr nach", sagt Professor Till Roenneberg. Der Chronobiologe der Ludwig-Maximilians-Universität München hat die Vereinbarkeit von Biorhythmus und Arbeits- oder auch Schulwelt untersucht. Er sagt, Jugendliche können erst spät einschlafen, sind oft nachtaktiv. Müssten sie entgegen ihrer biologischen Uhr schon um acht in der Schule sein, säßen viele halb schlafend im Unterricht.

Das besondere Unterrichtskonzept des Alsdorfer Gymnasiums erleichtert die organisatorische Umsetzung der Gleitzeit. Dabei können die Schülerinnen und Schüler wählen, ob sie direkt zur ersten Stunde um acht Uhr erscheinen oder erst zur zweiten kurz vor neun Uhr. "Die erste Stunde ist immer eine Dalton-Stunde, die die Schüler in eigener Verantwortung frei gestalten können", erklärt Schulleiter Wilfried Bock. In Dalton-Stunden lernen die Schüler unter Begleitung durch Lehrer, den Arbeitsprozess individuell zu planen, umzusetzen und für ihr künftiges Handeln zu evaluieren. "Dalton ist idealerweise kein System, sondern eine Lebenseinstellung", sagte Helen Parkhurst, die vor gut hundert Jahren Verantwortung, Selbstständigkeit, Freiheit in Gebundenheit und Zusammenarbeit zu den Grundlagen ihres Unterrichtskonzepts machte.

Der Fachunterricht mit Anwesenheitspflicht beginnt mit der zweiten Stunde. Wer lieber länger schlafen will und erst dann kommt, muss den Stoff der Dalton-Stunde in einer Freistunde nachholen. Das Angebot wird gut angenommen. Die Hälfte der 250 Oberstufenschüler nahm an der Gleitzeit-Studie von Professor Roenneberg teil. Forscher wie auch Schulleitung sehen die Ergebnisse durchweg positiv. Die Schule hat nach der ersten Testphase Anfang 2016 die Gleitzeit fest verankert.

Angesichts der positiven Erfahrungen stellt sich die Frage, ob dies nicht auch ein Modell für die Gymnasien im Saarland ist. Im Bildungsministerium zeigt man sich durchaus offen: "Wir machen den Schulen keine Vorschriften, sondern setzen auf Lösungen, die den jeweiligen Standortbedingungen entsprechen, auf die Autonomie der Schulen und deren spezifischen Schul-Entwicklungskonzepte sowie die Mitbestimmung der Schüler und Eltern", heißt es aus Saarbrücken.

Kinder seien in ihrer Entwicklung noch in ihrem Biorhythmus einheitlich, bestätigen die Experten im Ministerium. Ebenso zu beachten seien die unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Eltern sowie die schulorganisatorischen Voraussetzungen, die von Standort zu Standort ebenfalls unterschiedlich sind. Im Saarland bietet die Verordnung zur Gebundenen Ganztags-Schule vom 30. Januar 2013 die Möglichkeit, dass Schulträger ein ergänzendes Betreuungsangebot unterbreiten können. So etwa eine 20- bis 30-minütige Ankommens-Willkommenszeit vor Beginn der ersten Stunde. Diese wird je nach Standort als "beruhigter Unterrichtsbeginn", "offener Beginn", "offener Anfang" oder "gleitender Einstieg" bezeichnet. Hier geht es allerdings um Betreuungsangebote. Mit der Gleitzeit für ältere Schüler hat das nichts zu tun.

Vier Gemeinschaftsschulen im Saarland, darunter die Sophie-Scholl-Schule in Dillingen nutzen diese Möglichkeit. Zu den drei Gymnasien mit Ganztagsklassen, die eine Ankommenszeit zur ersten Stunde anbieten, gehört das Saarlouiser Gymnasium am Stadtgarten. In dieser verbindlichen individuellen Lernzeit können Hausaufgaben oder Übungen gemacht werden. Nach Aussage des Bildungsministeriums wird das freiwillige Angebot von den Eltern sehr begrüßt, und die Rückmeldungen von den Schulen sind laut Ministerium bislang durchgängig positiv. > wird fortgesetzt

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Idee stammt aus Amerika Der Dalton-Unterricht wurde durch die amerikanische Lehrerin Helen Parkhurst (1887-1974) entwickelt. An einer Landschule musste sie Schülerinnen und Schüler von vier bis 14 Jahren in einem Raum gemeinsam unterrichten. Den unterschiedlichen Ansprüchen der einzelnen Kinder konnte sie durch klassischen Unterricht nicht gerecht werden. Sie entwickelte ein Konzept, bei dem die Kinder möglichst selbstständig die Lerninhalte erarbeiteten. Eine Arbeitsweise, die besonders dem selbstständigen Lernen in den Altersklassen der heutigen Sekundarstufe I und II gerecht wird. In New York eröffnete sie "The Dalton School", eine eigene Schule, die heute noch eine der namhaftesten Schulen in den USA ist und viele berühmte Persönlichkeiten hervorgebracht hat. Das zentrale Werk von Helen Parkhurst ist "Education on the Dalton Plan".

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