Die eigene Sprache finden

Frau Rusch, ist es bei den unzähligen Beschäftigungsmöglichkeiten ein eher modernes Problem, Kinder zum Lesen und Schreiben zu bewegen?Rusch: Spontan gesagt, ja

Frau Rusch, ist es bei den unzähligen Beschäftigungsmöglichkeiten ein eher modernes Problem, Kinder zum Lesen und Schreiben zu bewegen?Rusch: Spontan gesagt, ja. Es ist sicher schwieriger deswegen, weil es so viele andere wunderbare Sachen gibt, die man auch tun kann: Natürlich ist es nicht ganz so wunderbar, wenn man sich vorstellt, dass ein Kind den ganzen Tag nur am PC sitzt oder im Internet Pseudokontakt mit anderen Menschen hat und glaubt, dass sei eine reale Begegnung. Ich glaube, dass man durch Schreiben und Lesen mehr zu sich selbst findet, denn man muss durch Sprechen und Schreiben die Gedanken in sich ordnen und während dieses Prozesses kann man sich auch seiner Gefühle, wie beispielsweise Ablehnung oder Zustimmung, besser bewusst werden. Genau dieser Ablauf ist in meinen Augen von zentraler Bedeutung.Sind da Eltern und auch die Schule mehr gefordert?Rusch: Auf jeden Fall, wobei die Schulen nach meiner Erfahrung dies auch seit eh und je tun. In den Elternhäusern könnte man mehr miteinander sprechen, wirklich richtig sprechen, beispielsweise über ein Problem, ein Problem im neutralen Sinne, es muss ja nicht immer negativ sein. Also kommunizieren über irgendein Erlebnis, diese Erlebnisse erzählen und zu sagen, was man dabei erlebt und gefühlt hat.Was möchten Sie erreichen?Rusch: Ich will erreichen, dass die Sprache nicht verkommt. Junge Menschen sollen in der Lage sein, sich auszudrücken, das, was sie meinen, in Worte zu fassen und auszudrücken und nicht einfach durch ein "Boah ey" glauben, sie hätten damit jetzt ihr Gefühlsleben gezeigt, obwohl das in Wirklichkeit gar nicht der Fall ist.Was bewegt Sie dazu, in Klassen zu gehen und gemeinsam mit Kindern diese Dinge anzusprechen und umzusetzen?Rusch: Zunächst einmal will ich etwas bewirken, will die Sprache hochhalten, die Ausdrucksfähigkeit fördern. Ich mache bereits seit vielen Jahren diese Schreibworkshops und es hat sich gezeigt, dass es richtig gute Ergebnisse gibt.Was können Sie Eltern raten, die ihre Kinder zum Lesen und Schreiben animieren wollen?Rusch: Da gibt es natürlich ganz viel zu sagen. Das Entscheidende ist die Vorbildfunktion der Eltern; wer selber nicht liest, muss sich nicht wundern, wenn seine Kinder auch nicht lesen, umgekehrt ist es aber selbstverständlich nicht automatisch so, dass alle Kinder, deren Eltern lesen, auch eifrig zu den Büchern greifen. Trotzdem hat diese Vorbildfunktion etwas ganz Wesentliches. Auch das miteinander reden ist wichtig und immer Voraussetzung dafür, dass man sich seiner eigenen Gedanken klar wird. Und wenn man miteinander redet, kann man auch sagen: "Schreib's doch mal auf". Hier kann man Kinder animieren, Tagebuch zu führen. Und Eltern können auch zuhören, wenn ihr Kind ihnen eine Geschichte vorlesen will. Viele Kinder schreiben im Geheimen irgendetwas auf. Die direkte Rückmeldung ist auch sehr bedeutsam, Eltern dürfen sich nicht scheuen zu sagen "Das hab ich aber nicht verstanden" oder "Da bist du ein bisschen langweilig, du kannst noch mal ein bisschen was Spannendes reinbringen". Also man darf auch kritisieren, da konstruktive Kritik immer weiterbringt und hilfreich ist.Sie plädieren für einen ehrlicheren Umgang mit Kindern?Rusch: Ehrlichkeit dem Kind gegenüber, ja. Darin gründet sich auch mein Lieblingssatz: Kinder ernst nehmen in dem, was sie machen, und in dem, was sie sagen. Einen weiteren "Wasserkästen für Bücherkisten"-Workshop, mit Gisela Kalow, gab es in den Klassen 3.1 der Bachtalschule in Schwalbach-Elm und in der sechsten Klasse der Erich-Kästner-Schule in Lebach.

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