"Der Begriff Ausländer war für mich komisch"
Herr Gündüz, was hat Sie in die Politik gebracht?Gündüz: Ich bin 1993 in die SPD eingetreten, Interesse an Politik hatte ich schon immer. Ich habe schon als Kind gedolmetscht, Briefe vorgelesen - es war immer etwas von Dasein auch für andere. Vielleicht hat auch eine Rolle gespielt, dass das Interesse an Politik allgemein zurückgeht - nicht aber bei Migranten
Herr Gündüz, was hat Sie in die Politik gebracht?Gündüz: Ich bin 1993 in die SPD eingetreten, Interesse an Politik hatte ich schon immer. Ich habe schon als Kind gedolmetscht, Briefe vorgelesen - es war immer etwas von Dasein auch für andere. Vielleicht hat auch eine Rolle gespielt, dass das Interesse an Politik allgemein zurückgeht - nicht aber bei Migranten. Auch wenn sie sich nicht an Wahlen beteiligen können. Aber sie spüren, denke ich, subjektiv eine Benachteiligung und wollen sich durch Interesse und Engagement auch gesellschaftlich verbessern.
Wurden Sie angefragt, ob Sie in eine Partei eintreten möchten?
Gündüz: Es war, weiß ich noch genau, im Mai 1993 bei einem Konzert "Rock gegen Rechts" der Arbeiterwohlfahrt in Hemmersdorf. Am Stand war Gerhard Müller, damals Vorsitzender der SPD-Kreistagfraktion. Ihm erzählte ich, dass ich in die Partei eintreten wolle. Wartemal, sagte er, ich habe Aufnahmeformulare im Auto.
Sie haben seitdem mehrere lokale Parteiämter gehabt. Wie war es da, wurden Sie gefragt?
Gündüz: Das erste Amt war im Vorstand der Jusos im damaligen Unterbezirk Saarlouis. Im Ortsverein in Roden hatte ich mitgemacht, mich eingebracht. Mit der Zeit kannte man mich, und man hat mich gefragt, ob ich im Unterbezirks-Vorstand mitmachen will. 1994 wurde ich in den Stadtverbands-Vorstand der SPD gewählt - bezeichnenderweise als Ausländerbeaufragter. Ich gehörte damals dem Integrationsbeirat in Saarlouis an.
Wieso eigentlich Ausländerbeauftragter? Als was wurden Sie angespochen, als Saarlouiser, als Deutscher, als Türke?
Gündüz: Ich hatte damals noch die türkische Staatsangehörigkeit. Die deutsche habe ich nicht ab Geburt erhalten, das war erst nach der Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts 1999 möglich, ich habe seit 2003 den deutschen Pass. Der Begriff Ausländer war aber schon 1994 für mich komisch. Ausländer war ich eigentlich nicht, obwohl ich es per Gesetz war.
Hatte der Status Ausländer praktische Bedeutung für Sie?
Gündüz: Ja, zum Beispiel bei Klassenfahrten einen Tag nach Metz oder Luxemburg. Da musste ich ein Visum beantragen, die anderen nicht. Mit dem 16. Lebensjahr musste ich eine eigenständige Aufenthaltsberechtigung beantragen.
Wie war das in der Schule? Sie sind in Saarlouis geboren, waren Sie da ein Migrant?
Gündüz: Vielleicht im Religionsunterricht als Muslim. In der Oberstufe habe ich am katholischen Religionsunterricht teilgenommen - über das Alte Testament wusste ich als Muslim meistens mehr als die anderen. Ansonsten waren da nur Kleinigkeiten. Ein Freund hat mal gesagt: Das einzige, was dich von mir unterscheidet ist, dass du kein Schweinefleisch isst und keinen Alkohol trinkst. Zuhause bin ich natürlich in türkischer Tradition aufgewachsen. Mit meinen Eltern rede ich bis heute immer Türkisch.
Das hat Ihr Deutsch offenbar nicht beeinträchtigt?
Gündüz: Nein. Viele Migranten können ihre Muttersprache nicht richtig, nur gebrochen, weil ihre Eltern eher zur unteren Bildungsschicht gehören. Solche Kinder haben dann keine Basis für die deutsche Sprache. Das ist eher ein soziales Problem, also kein spezielles Problem von Migranten.
Die leben in Roden. Wie kamen Ihre Eltern nach Saarlouis?
Gündüz: Meine Familie stammt aus Zonguldak, einer Bergbaustadt am Schwarzen Meer. Mein Vater ging zunächst zu Saarberg, dann zu Ford.
Hochdeutsch, studierter Psychologe, junge 37 Jahre, türkische Herkunft, nicht Mitglied der SPD-Fraktion im Rat - alles in allem nicht gerade der typische SPDVorsitzende. Welcher dieser Faktoren hat Ihnen bei Ihrem Weg in der SPD Probleme gemacht?
Gündüz: Kein Fraktionsmitglied zu sein war das geringste Problem, allein schon wegen der jahrelangen Beiratstätigkeit. Für die Fraktion habe ich Pressearbeit gemacht. Es ist vielleicht auch eine Chance, nicht in die aktuellen Streitereien im Rat verwickelt zu sein. Das ermöglicht, sich stärker um die Partei selbst zu kümmern, um Mitglieder, Strukturen, Themen. Außerdem ist das Verhältnis zur Fraktionsführung sehr gut. Die Herkunft? Hier und da war das schon eine Diskussion, welche Wirkung nach außen das haben könnte bei Wahlergebnissen. Letztlich hat die Partei aber gesehen, dass das der Weg der Zukunft ist. In 20 Jahren wird das im Saarland ganz normal sein. Das Saarland hinkt da ziemlich hinterher. Ich bin der erste Gemeindeverbandvorsitzende einer Partei im Saarland türkischer Herkunft. Nicht bezweifelt worden ist, dass man mir das Amt zutraute.
Wie viele türkischstämmige SPD-Mitglieder in Saarlouis gibt es?
Gündüz: Wenige. Zwei oder drei. Italienischer Abstammung sind auch nur etwa 20.
Brauche ich einen deutschen Pass, um Parteimitglied zu werden?
Gündüz: Nein. Man könnte sogar Bundesvorsitzender ohne deutschen Pass werden. Anders ist es, wenn man für Ämter wie im Stadtrat kandidiert. Das schließt auch ein, dass nur wahlberechtigte Bürger die Delegierten sein können, die die Kandidaten für öffentliche Ämter aufstellen.
Die SPD in Saarlouis machte in den vergangenen Jahren einen eher matten Eindruck - stimmt der Eindruck?
Gündüz: Der Eindruck kommt vielleicht noch aus der Zeit der Großen Koalition in Saarlouis. Da war viel Friede, Freude, Eierkuchen. Man musste sich nicht groß auseinandersetzen. Seit 2009 hat die Rolle der Opposition aber neue Kräfte freigesetzt.
Was werden Ihre Akzente als Stadtverbandvorsitzender sein?
Gündüz: Wir werden neue Inhalte entwickeln. Die soll in einer offenen Form geschehen, jeder, der will, soll sich einbringen können. Jede neue Anregung soll eingebracht und diskutiert werden können. Wir wollen die OB-Wahl 2012 gewinnen und 2014 stärkste Fraktion in Saarlouis werden. Die Stimmung ist gut, das merkt man an der Mobilisierungsbereitschaft jetzt zur Landratswahl.
Auf einen Blick
Hakan Gündüz, 37, verheiratet, zwei Kinder, wohnt in Roden, wurde mit 48 Stimmen (Gegenkandidat Jürgen Paschek 22) Vorsitzender des SPD-Stadtverbandes Saarlouis.
Er ist selbstständiger Diplom-Psychologe in Saarlouis. we