Aus dem Roman in die Welt

Leidingen/Schrecklingen. Die "Leidinger Hochzeit" ist ein Roman über das "Leben auf der Grenze", an dem alles echt ist außer der Handlung. "Ich erfinde nichts, es ist alles da", pflegt Autor Alfred Gulden zu sagen. Manches ist vielleicht bloß erst später da

Leidingen/Schrecklingen. Die "Leidinger Hochzeit" ist ein Roman über das "Leben auf der Grenze", an dem alles echt ist außer der Handlung. "Ich erfinde nichts, es ist alles da", pflegt Autor Alfred Gulden zu sagen. Manches ist vielleicht bloß erst später da. So erschien am Sonntag die im Roman beschriebene Menüfolge des Hochzeitsessens wahrhaftig auf dem Tisch und erschuf eine echte Hochzeitsgesellschaft mit vier Dutzend Gästen.Für die Menüfolge lässt Gulden im Gespräch "die Tanten" bürgen, "die bei uns früher in Roden dafür zuständig waren. Anders wird man auf dem Gau auch nicht gegessen haben."

Nun also Rindfleisch an Zwetschgen, Schnittlauch-Eiersalat mit saurer Gurke; dann Schinken mit Kartoffeln, Sauerkraut, daneben Blumenkohl. Koch Stefan Schmaltz harmonisierte die Komponenten zum Genuss in der fast 300 Jahre alten Mühle von Schrecklingen, gleich neben Leidingen.

Kein echtes Brautpaar vor 25 Jahren, keines auch jetzt. Kein Hochzeitstanz. Aber als Gulden nun aus dem Roman liest, lässt seine Meisterschaft, profane Sätze in Melodie zu verwandeln, die Hochzeitsgesellschaft auf seiner Sprache tänzeln wie auf Wellen. Hinaus ins Leben.

Das Leben draußen, in Leidingen, das "Leben auf der Grenze", hat Gulden im Roman von der Leidinger Hochzeit porträtiert. Und er hat es 1983 im preisgekrönten Film "Grenzfall Leidingen" dokumentiert. Es ist immer ein bisschen auch die Wirklichkeit der Saarländer und Lothringer, die hier die Hochzeitsgäste sind.

Doch wie zu Fiktion geworden erscheint der Film über das Leben in dem Dorf, unwirklich in all seiner Absurdität: In dem Ort, den die "Neutrale Straße" in deutsch und französisch teilt. Dabei kann man nicht erfinden, wie lakonisch Leidinger 1983 ihr Leben beschrieben. Fiktion ist nur, was der Film unterstellt: Dass in Leidingen alles seine Richtigkeit hätte, wäre der Ort ungeteilt. Wie Mayonnaise sei das hier, wie Fleischsalat, "alles durcheinander", erzählt der französische Pfarrer im Film. "Könnte man nicht Einheit haben, im Geld und allem", sagt einer im Film. Es genüge doch, "einem Kaiser die Steuern zu zahlen", es müssten doch nicht zwei sein. Was, wenn die Grenze weg wäre, fragte Gulden 1983 in dem Film. Eine zögernde Antwort: "Ja, wo käme man denn da hin?". Diese Fiktion hatte 1983 für die Leidinger einen Namen: Europa.

Heute ist diese Fiktion Wirklichkeit. Wohin ist man gekommen? Die Grenzkontrollen sind weg, der Zoll. Die Teilung des Dorfes aber hält auch so. "Es ist viel noch so wie damals", sagt Französisch-Leidingens Bürgermeister Barthelemy Lemal der Silberhochzeits-Gesellschaft. "Aber die Kinder spielten nicht miteinander." Sie sprächen kaum noch die Sprache des anderen.

Die höchst vergnügte Hochzeitsgesellschaft machte sich schließlich auf, um über die Neutrale Straße zum Festakt zu stoßen, bei dem zwei symbolische Fenster, die "Grenzblick-Fenster" eingeweiht wurden. Just zur Ankunft im stillen Dörfchen Leidingen spielte die Feuerwehrkapelle die Marseillaise, dann "Einigkeit und Recht und Freiheit". Und die Europa-Hymne. Mancher mag gedacht haben, er sei im Film. Aber nicht im falschen.

Hintergrund

 Nach der Markklößchen-Suppe: Rindfleisch, Zwetschgen, Gurke, Salate. Foto: Roi

Nach der Markklößchen-Suppe: Rindfleisch, Zwetschgen, Gurke, Salate. Foto: Roi

50 Gäste kamen zum Hochzeitsessen aus Guldens Roman "Die Leidinger Hochzeit", Lesung und Film in die alte Mühle Schrecklingen. Die "Silberhochzeit" hatte Stefan Neuhäuser, Kulturzentrum SBS Saarlouis, organisiert. we

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