Auch in Nalbach wird geballert

Saarlouis/Nalbach. Den Amokläufern von Erfurt und Winnenden wird nachgesagt, dass sie sozial isoliert waren und unter dem Einfluss von "Ego-Shootern" standen: Killerspielen aus der Sicht des Schützen, mit besonderer Realitätsnähe. Eine Studie im Kreis Saarlouis zeigt jetzt das Ausmaß der Verbreitung

Saarlouis/Nalbach. Den Amokläufern von Erfurt und Winnenden wird nachgesagt, dass sie sozial isoliert waren und unter dem Einfluss von "Ego-Shootern" standen: Killerspielen aus der Sicht des Schützen, mit besonderer Realitätsnähe. Eine Studie im Kreis Saarlouis zeigt jetzt das Ausmaß der Verbreitung. "Es ist nicht so, dass nur Außenseiter das spielen, sondern das geht quer durch alle Gruppen", sagt Sebastian Todt. Er hat im Jahr 2007 für seine Diplomarbeit an der Uni München die Nutzung der Computerspiele analysiert - an der Erweiterten Realschule Nalbach, der Martin-Luther-King-Schule Saarlouis sowie einem Schulzentrum im hessischen Oberursel. Die Ergebnisse hat er aus Anlass des Winnenden-Massakers jetzt den Lehrern vorgestellt. Die anonyme Auswertung der 16-seitigen Fragebögen von 361 Schülerinnen und Schüler zeigte: "Sie werden selten jemanden finden, der das Spiel gar nicht spielt", sagte der Soziologe. "Rund drei Viertel spielen irgendwas am PC, darunter ist keiner, der nicht auch Ego-Shooter ausprobiert hat." Zumindest bei den Jungen - bei Mädchen ist es nur jedes zehnte. Und zwar an allen weiterführenden Schulformen, egal ob der Jugendliche ein guter Schüler ist oder nicht. "Killerspiele sind weiter verbreitet als man glaubt", stellte Todt fest.Wer den PC für "Ego-Shooter" nutzt, ist demnach auch unabhängig vom Alter, sogar bis in den verbotenen Bereich: "Diese Spiele sind meist ab 16 Jahren freigegeben; es war aber zu sehen, dass auch 14- und 15-Jährige sie spielen." Wie lange sie in die Scheinwelt abtauchen, gaben die Befragten im Schnitt mit zehn Stunden pro Woche an. 13 Prozent sagten, sie spielten "Ego-Shooter" mehr als 20 Stunden pro Woche. Der Forscher merkte an, es könne sein, dass die Teilnehmer selbst bei dieser anonymen Umfrage ihre Stundenzahl nach unten korrigiert hätten, damit ihr Hobby nicht in Verruf gerate. Manche spielten fünf, sechs Stunden ohne Pause.Abgefragt hat er auch das familiäre Umfeld und die Integration unter Schulkameraden. Ein problematisches Elternhaus oder eine Außenseiter-Rolle verstärkten nicht die Killerspiel-Neigung. Vielmehr erhöhte ein großer Freundeskreis sogar die Wahrscheinlichkeit, Killerspiele zu spielen. Es ist offenbar nicht von Belang, ob der Einzelne eine feste Freundin hat. Allerdings mindert eine steigende Zahl der Mädchen in einem Freundeskreis offenbar die Nutzung der Killerspiele - eine Vielfalt anderer Hobbys kann demnach auch den Spieltrieb mindern. Todt wollte zudem wissen, wie das Verhältnis zur realen Gewalt im Freundeskreis mit hineinspielt. Er fand heraus: Ob jemand vor kurzem selbst jemanden tätlich angegriffen hat, spielte keine Rolle. Wohl aber, ob er selbst gewaltsam angegriffen wurde: Unter den realen Opfern ist der Anteil der "Ego-Shooter"-Spieler höher. Meinung

Ignorieren geht nicht mehr

Von SZ-RedakteurHarald Knitter Ob Killerspiele auf dem Computer harmlos oder gefährlich sind, kann die Diplomarbeit nicht lösen. Selbst große Studien haben Probleme, Ursache und Wirkung zu beweisen. Aber die Erhebung der Nutzung zeigt, dass die meisten Jugendlichen am Computer spielen und von denen praktisch alle auch Ego-Shooter spielen: nicht Einzelne, nicht einzelne Gruppen, sondern fast alle. Das Ergebnis stammt nicht von irgendwo, sondern von hier: Saarlouis und Nalbach. Da ist es ein Muss, dass sich Eltern und Lehrer damit befassen, womit ihre Kinder und Schüler ihre Zeit verbringen, und einen vernünftigen Umgang damit garantieren. Denn auch ohne Wissenschaft ist klar: Keiner darf ganz in die Welt des Schreckens abtauchen, die nur Gewalt als Lösung kennt. Sonst vermengen sich Realität und Scheinwelt.

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