Interview mit Jan-Uwe Rogge „Lachen erschüttert – im guten Sinne“

Erziehungsberater, Familientherapeut und Ratgeber-Autor Dr. Jan-Uwe Rogge erklärt, warum Humor in der Erziehung so wichtig ist.

 Jan-Uwe Rogge, Pädagoge und Bestseller-Autor gilt als deutscher „Erziehungspapst“. Zu einem Vortrag kommt er nach Rehlingen.

Jan-Uwe Rogge, Pädagoge und Bestseller-Autor gilt als deutscher „Erziehungspapst“. Zu einem Vortrag kommt er nach Rehlingen.

Foto: Stephanie Schweigert

Herr Dr. Rogge, Sie haben etliche Erziehungsratgeber veröffentlicht, halten seit Jahren viele Vorträge und tragen schon den inoffiziellen Titel „Erziehungspapst“: Wie erklären Sie sich Ihren ungemeinen Erfolg?

ROGGE Naja, ich habe begonnen, 1984/85 populäre Bücher zu schreiben, meine Praxis eröffnet, das macht man ja nicht, um einmal Erziehungspapst zu werden. Es ist einfach so gekommen. Ich denke, dabei waren in der Rückschau drei Momente entscheidend: die Art und Weise, wie ich Erziehungsthemen aufgreife, ernstnehmend, aber immer humorvoll. Das ist eine wichtige Haltung, die ich schon sehr früh in meiner pädadogischen Arbeit eingenommen habe. Dann als zweites eine Portion Pragmatismus. Weg von dem Gedanken: Erziehung ist ein Hochleistungssport, alles muss perfekt sein. Eltern müssen auch den Mut zum Fehler haben und dazu, unvollkommen zu sein. Damit lebe ich dem Kind vor: Auch du darfst unvollkommen sein. Als drittes: Erziehung ist für mich Begleitung ins Leben, nicht die Vorbereitung auf etwas. Man muss in jeder Entwicklungsphase beim Kind sein, ohne die eigenen Bedürfnisse zu vergessen. Das ist, was meine Arbeit ausmacht. Hinzu kommt, ich kann ganz gut schreiben und vortragen, das ist nicht jedem gegeben. Es ist also ein Gesamtpaket.

Wann ist Ihnen denn der Titel „Erziehungspapst“ zum ersten Mal begegnet?

ROGGE Das weiß ich nicht mehr so genau. Muss bestimmt schon 20 Jahre her sein, es war wohl im Focus, glaube ich. Damals habe ich mich etwas schwer getan, denn die Päpste waren ja mehr als nur wertkonservativ. Heute finde ich das in Ordnung, der aktuelle Papst gilt ja als pragmatisch, zugewandt und menschenfreundlich, ein Mensch der Wörter.

Ihre Vorträge wurden auch schon „Erziehungskabarett“ genannt. Ist Humor Ihr Weg, die Zuhörer zu erreichen?

ROGGE Nun gut, ich habe die Erziehung nicht neu erfunden, vielleicht das ein oder andere Rad neu justiert. Humor hat Pestalozzi schon Ende des 18. Jahrhunderts gefordert, „lache drei Mal am Tag mit deinem Kind“. Lachen erschüttert – im guten Sinne. Und das öffnet Raum für Neues. Und wenn ich heftig lache, dann hat das auch auf der neurologischen Ebene Auswirkungen. Deshalb steht gemeinsames Lachen auch bei meinen Vorträgen im Vordergrund. Ich sage auch manchmal: Meine Vorträge sind Selbsterfahrungskurse, nur mit Lachen statt „om“.

Das Thema Ihres Vortrages in Rehlingen lautet: „Wie Sie reden, damit Ihr Kind zuhört und wie Sie zuhören, damit Ihr Kind redet — vom Trotzalter bis zur Pubertät.“ Das scheint ein Problem von Kindern und Eltern in jedem Alter zu sein. Warum?

ROGGE Ein Teil meines Studiums war die Sprachwissenschaft. Aber ich habe früh gemerkt, wie viele Eltern mit ihren Kindern wie mit kleinen Erwachsenen reden – und sich dann wundern, dass die nicht machen, was sie wollen. Es sind oft ganz einfache Dinge, die Eltern nicht richtig machen, es genügt schon, das anzudeuten. Zum Beispiel geht es darum, authentisch zu sein: Nicht nein sagen und dabei lächeln. Ich gehe dabei von Alltagssituationen aus und hole die Eltern da ab, wo sie stehen, ich beschreibe Situationen, die sie nachvollziehen können, im Auto, im Supermarkt, beim Essen.

Sie sprechen auch gern von „Wortschwallpädagogik“. Haben wir es denn verlernt, mit Kindern richtig zu reden? Oder gibt es heute erst ein Bewusstsein dafür, dass etwas schief läuft?

ROGGE Man muss sich das doch nur mal anhören. Ich mache das gern unterwegs, beim Einkaufen, im Café oder im Restaurant. Nur in meiner Heimatstadt geht das nicht mehr so gut, da kennen mich alle, da sagt die Mutter dann: „Sei still, sonst kommst du ins nächste Buch.“ (lacht) Das Thema richtige Kommunikation haben Pädagogen wie Montessori, Watzlawick und andere schon lange vor mir besprochen. Aber heute ist es so: Die Eltern wollen alles besser machen und bloß nicht so sein wie ihre eigenen Eltern. Als Beispiel: Alle kennen den berühmt-berüchtigten Satz „So lange du deine Füße unter meinen Tisch stellst...“ und so weiter. Natürlich ist das aus pädagogischer Sicht voll daneben, so etwas will man heute nicht mehr sagen. Also redet man und redet und redet...und wundert sich dann, dass man am Ende doch rumschreit. Und macht dann dem Kind Vorwürfe: „Muss ich immer erst rumschreien?“ Das Kind aber denkt: „Sag doch einfach gleich, was du willst.“

Sind Eltern denn heute generell beratungsbedürftiger?

ROGGE Ach, wissen Sie: Es gibt sehr viele Eltern, die sehr gute Erziehungsarbeit leisten. Ich beteilige mich nicht am heutigen „Eltern-Bashing“, ich benutze keine Zuschreibungen wie Helikopter-Eltern oder ähnliches. Es gibt natürlich die Fünf-Sterne-Plus-Eltern, die ihre Kinder morgens im SUV in die Kita fahren. Aber die kommen ohnehin nicht in meine Vorträge.

Es gibt viele Eltern, die ihren Job gut machen, und die einen kleinen Tipp wollen. Und ich nehme auch die ernst, die aus materiell-finanziellen Schwierigkeiten heraus wenig Zeit für Erziehung haben. Aber die kommen eher in meine Seminare als in Vorträge, auf solche Eltern muss man anders eingehen.

Warum sitzen denn in ihren Vorträgen vor allem Mütter?

ROGGE Das kann man so nicht sagen. Wenn ich zum ersten Mal irgendwo bin, kommen meist mehr Frauen. Aber wenn es das zweite oder dritte Mal ist, dann kommen auch die Männer. Vermutlich kommt die Frau nach Hause und sagt: Den musst du dir auch mal anhören.

Es hat also nichts damit zu tun, dass Erziehungsarbeit immer noch vor allem Frauen zufiele?

ROGGE Das hat sicher auch damit zu tun, aber ich erlebe viele Väter, die freiwillig in meine Seminare kommen. Sie bringen eine andere Sichtweise mit ein, und das ist gut. Es ist auch wichtig, Vätern Raum und Zeit zu geben, sich auszuprobieren. Und sie tun das auf ihre Weise, die ist anders, aber es kann ein Gewinn in der Beziehung zum Kind sein.

International bekannt geworden sind Sie durch Ihre Ratgeber. Kann man Erziehung aus Büchern lernen?

ROGGE Vorweg: Viele meiner Bücher sind auch als Hörbücher erschienen, gerade Väter hören lieber als ein Buch zu lesen. Wenn ein Ratgeber alltagsnah geschrieben ist, wenn es Situationen sind, in denen ich mich wiedererkenne, und diese aufgelöst werden, dann kann das hilfreich sein. Es geht ja dabei nicht um Nachmachen, sondern um Anregungen. Deshalb habe ich auch nie Bücher nach dem Motto „Jedes Kind kann...“ geschrieben. Nein, ich muss selbst meinen Anteil leisten, mich einbringen. Ein Buch enthält Angebote, das kann man so annehmen – oder auch anders machen. Das ist wie bei einem Kochbuch: Ein gutes Kochbuch bietet immer Anregungen, das kann man aber auch so oder so machen. Wenn man stur nach Rezept kocht, wird es nicht unbedingt super, es wird nur gut, wenn die persönliche Note dazukommt.

Promoviert haben Sie einst zum Thema „Kindermedien“. In dem Bereich hat sich ja extrem viel verändert. Wie bewerten Sie denn die heutige Mediennutzung in Familien?

ROGGE Wissen Sie, es kommen immer dieselben Fragen. 1973 habe ich erste Seminare zu Themen wie „Kind und Fernsehen“ geben, ja, man glaubt es heute kaum, auch „Kind und Schallplatte“. Die Fragen damals waren: Wie lange? Und: Was kann ich damit machen? Und: Können die Kinder süchtig werden?

Die Fragen heute sind zunächst dieselben. Die Eltern leben ein Modell vor: Wenn sie heimkommen und zuerst mal den Fernseher anmachen zum Beispiel. Oder das Mobiltelefon auf dem Esstisch liegt.

Eines hat sich aber geändert: Heute haben die Kinder den Erwachsenen etwas voraus, viele Eltern haben von Digitalität nicht viel Ahnung. Wenn man das erkennt, ist es kein Problem. Man sollte zwei Perspektiven beachten: Im Familienalltag viel unmittelbare Kommunikation ermöglichen. Es muss medienfreie Zeiten geben, und zwar für alle medienfrei. Man muss sich überlegen: Was will ich meinen Kindern weitergeben?

Das zweite ist: Eltern können von ihren Kindern lernen, was die Digitalität angeht. Da sind manche Eltern Analphabeten. Deshalb: Was kann ich lernen, wo kann ich meine Kinder als Lehrmeister ansehen? Wenn ich begreife, was sie da tun, kann ich viel klarer Grenzen setzen.

 Mit den Kindern drei Mal am Tag lachen, das forderte schon der Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi. Auch wenn es manchmal schwer fällt: Humor ist für Jan-Uwe Rogge in der Erziehung und in seinen Vorträgen wichtig.

Mit den Kindern drei Mal am Tag lachen, das forderte schon der Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi. Auch wenn es manchmal schwer fällt: Humor ist für Jan-Uwe Rogge in der Erziehung und in seinen Vorträgen wichtig.

Foto: dpa/A3295 Uwe Zucchi

Was nicht ausschließt, dass sie ausgetestet werden. Ein Pubertierender wird immer versuchen, die Grenzen zu überschreiten. Und natürlich werden Kinder immer sagen, der und der darf aber mehr. Aber das sind Sätze, die Eltern kennen – sie sind selbst damit aufgewachsen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort