Nachkriegs-WeihnachtenKleine Naschkatzen kommen bei der Oma ungeschoren davon

Hülzweiler. Advent 1947, acht Tage vor Weihnachten. Meine Großmutter backte Plätzchen. Damit es für die ganze Familie auch reichen sollte, sammelte sie das ganze Jahr über ihre Zigarettenmarken. Diese tauschte sie ein für Butter, Zucker, Mehl, eben alles, was man zum Backen brauchte. Das Ergebnis war ein großer Topf mit herrlich duftendem Spritzgebäck

Hülzweiler. Advent 1947, acht Tage vor Weihnachten. Meine Großmutter backte Plätzchen. Damit es für die ganze Familie auch reichen sollte, sammelte sie das ganze Jahr über ihre Zigarettenmarken. Diese tauschte sie ein für Butter, Zucker, Mehl, eben alles, was man zum Backen brauchte. Das Ergebnis war ein großer Topf mit herrlich duftendem Spritzgebäck. Und diesen Topf versteckte sie in ihrem Schlafzimmer im Kleiderschrank. Den Schlüssel zu diesem Schrank trug sie immer bei sich. Doch dieser Schrank hatte einen schönen geschwungenen Hut - den man abheben konnte. Und das Gebäck in diesem Schrank ließ uns einfach keine Ruhe.Meine Cousins Josef, 14 Jahre, Willi, zehn, und ich Zita, neun Jahre, schlichen wie die Katze um diesen vermaledeiten Kleiderschrank, bis einer auch die Idee kam, einfach den Hut abzuheben und reinzuklettern. Gesagt, getan. Meine zwei Vettern machten eine Räuberleiter und ich als Kleinste musste in den Schrank.Die Plätzchen waren köstlich. Nie mehr in meinem Leben hat mir Weihnachtsgebäck so gut geschmeckt. Doch leider hatten wir in der Eile den Hut nicht mehr richtig eingehängt, was unserer, von uns dreien heißgeliebten Oma zum Verhängnis wurde. Denn als sie den Schrank öffnen wollte, rutschte der Hut runter und traf sie an Kopf und Schulter. Mit einer leichten Gehirnerschütterung und einem angeknacksten Schlüsselbein saß sie an Heiligabend unter dem Weihnachtsbaum. Doch unsere Oma hat uns nicht an unsere Eltern, die einen vagen Verdacht hatten, verraten. Sie sagte nur, dieser alte Schrank sei schon länger aus dem Leim. Und so rettete unsere Oma uns drei, Josef, Willi und Zita, vor einem betrüblichen Weihnachtsfest. Das war für uns das schönste Weihnachtsgeschenk, eine schöne Bescherung.

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