Pflegefamilien „Wir würden das jederzeit wieder tun“

Lebach · Die SZ stellt in einer Serie Pflegefamilien aus dem Kreis Saarlouis vor. Heute: Eine sechsköpfige Familie aus Lebach.

 Die Pflegeeltern Manuela und Valentin leben mit vier Kindern in Lebach. Wegen der Vorgeschichte ihrer Pflegekinder müssen sie anonym bleiben.

Die Pflegeeltern Manuela und Valentin leben mit vier Kindern in Lebach. Wegen der Vorgeschichte ihrer Pflegekinder müssen sie anonym bleiben.

Foto: Thomas Seeber

Schon drei Mal sind Manuela und Valentin Knall auf Fall Eltern geworden. „Wir planen lieber nichts mehr langfristig“, sagen die Pflegeeltern und lachen. Mit ihrer Großfamilie leben die beiden 38-Jährigen in einem Stadtteil von Lebach: Tochter Kristin ist 19 und Sohn Jan 15 Jahre alt, ihre beiden Pflegekinder Sofie und Tim sind sechs und fast zwei Jahre.

Schon eine Weile war das Paar entschlossen, einem Pflegekind ein Zuhause in seiner vierköpfigen Familie zu geben. Eine befreundete Pflegefamilie sprach sie darauf an, erinnert sich Manuela: „Ich fand gleich: Gute Idee, warum nicht? Ich habe zwei, drei Tage nachgedacht und dann mit meinem Mann gesprochen.“ Sie lacht: „Der war völlig entgeistert, konnte sich das gar nicht vorstellen.“ Valentin schmunzelt: „Das stimmt. Doch je länger ich darüber nachgedacht habe, desto mehr fragte ich mich: Was passiert mit den Kindern, wenn sie niemand aufnimmt? Und wir haben eine tolle Familie, warum sollen wir die nicht mit anderen Kindern teilen?“

Das Paar, das damals im Saar-Pfalz-Kreis wohnte, meldete sich als Pflegefamilie, belegte Seminare. „Da wir schon Kinder hatten, haben wir schon die Auswahl eng gesteckt, da muss ich ehrlich sein“, sagt Manuela, „schwerbehinderte Kinder etwa waren kaum vorstellbar, da wir als Familie sehr aktiv sind, viel unternehmen, da hätten unsere anderen Kinder zurückstecken müssen.“

Mit den Älteren, damals 13 und neun Jahre alt, hatten die beiden zuvor geredet, ob sie sich das vorstellen konnten: „Die Kinder sind, wie wir alle, sehr sozial, die fanden das gleich gut“, erzählt die Mutter. So kam dann 2013 die kleine Sofie zu ihnen, als sechs Monate altes Baby, „ganz plötzlich, wir nahmen sie direkt aus dem Krankenhaus auf“, erinnert sich Valentin, „wir hatten gar nichts, nicht mal Kleider“. Nur so viel wussten die Pflegeeltern damals: Das Kind war vernachlässigt und misshandelt worden.

„Der Start war sehr schwierig“, berichtet Manuela, „das Baby war total still, schrie nicht, auch nicht, wenn es Hunger hatte. Es war entwicklungsverzögert, körperliche Nähe konnte es nicht ertragen. Auf dem Arm wurde sie ganz steif, vor Angst.“ Mit ihrer Pflegemutter baute die Kleine schnell eine Beziehung auf, doch vor Männern hatte sie Angst. „Das war schlimm. Ich war voller Tatendrang, aber durfte sie nicht mal anfassen“, bedauert Valentin. „Aber ich hab’ nicht locker gelassen, habe mich zum Kasper gemacht, um sie mal zum Lachen zu bringen, aber ihr auch Zeit gelassen – mit Erfolg.“

Das auffällige Verhalten des Säuglings ließ jedoch bei den Pflegeeltern schnell die Alarmglocken schrillen: „Ich dachte, da stimmt doch irgendwas nicht“, erinnert sich Manuela, ganz normale Alltagssituationen lösten bei dem Baby Panik aus. „Wir waren wochenlang ziemlich hilflos, weil keiner wusste, was das Kind genau erlebt hatte.“

Sie suchte psychologische Unterstützung, nach und nach wurde immer klarer, dass das völlig verängstigte Baby eine schlimme Leidenszeit erlebt haben musste; der Kontakt zu den leiblichen Eltern wurde schließlich per Gerichtsbeschluss eingestellt – ein harter Kampf, schildert die Pflegemutter. Deswegen dürfen auch die echten Namen der Familie hier nicht genannt werden.

Bis heute kämpft die Sechsjährige mit Folgeschäden, spricht nicht, verhält sich auffällig. „Ganz erholen wird sie sich davon wohl nie“, bedauert Manuela, „aber wir tun alles, um ihr zu helfen. Und sie ist so ein tolles Kind geworden – das macht uns auch stolz, denn wir wissen heute, wir haben ihr das Leben gerettet.“

Gut vier Jahre dauerte es, bis die traumatisierte Sofie ganz in ihrer neuen Familie ankam, erzählt sie, ein Alltag gefunden war. Dann kam der Wunsch, noch einem Kind ein Zuhause zu geben: In Kurzzeitpflege nahmen sie 2017 einen neugeborenen Jungen auf, nur für vier Wochen, bis eine Adoptivfamilie gefunden war. „Das war sehr intensiv“, erzählt Manuela, „es ist mir schwer gefallen, ihn wieder loszulassen, da habe ich viel geheult.“ Ihr Mann tröstete sie: „Wir müssen die gute Zeit sehen, die das Kind bei uns hatte, wir haben ihm einen guten Start gegeben“, findet er. Bis heute halten sie Kontakt zu dem Jungen und seiner neuen Familie.

Nur wenige Wochen später kam dann der kleine Tim zu ihnen, erst zwei Tage alt. Auch er hätte adoptiert werden sollen; doch die Mutter konnte sich über Monate nicht entschließen. Kurz vor Tims erstem Geburtstag pochten die Pflegeeltern dann auf eine Entscheidung: „Und als wir dem Jugendamt sagten, wir würden ihn auch dauerhaft behalten, war alles ganz schnell klar“, freut sich Manuela.

Sie musste dafür eine schwere Entscheidung treffen und ihre Selbstständigkeit ganz aufgeben, um für die Familie da zu sein. „Für ein Pflegekind braucht man eben mehr Zeit, mehr Zuwendung“, sagt Valentin, der im Schichtdienst arbeitet. „auch wenn wir uns alle Arbeiten teilen und alle mit anpacken, ist das nur so nebenher kaum zu organisieren.“ Und er ergänzt: „Wegen des Geldes, wie manche ja denken, macht das sicher niemand.“

Dennoch: „Wir würden das jederzeit wieder tun“, sagen die Eltern wie aus einem Munde. Für Kurzzeitpflege sind sie ohnehin gemeldet, aber auch dauerhaft würden sie noch ein Kind aufnehmen. „Klar gibt es Phasen, in denen man denkt: ,Das mach ich nicht nochmal!’, wie immer im Leben mit Kindern“, gibt Manuela zu, „doch dann sehe ich mir unsere Kinder an, wie gut es denen hier geht, und weiß, dass alles richtig so war.“

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