Lernen, richtig zu lesen und zu schreiben

Lebach · Viele Erwachsenen können nur unzureichend lesen und schreiben. Für die Betroffenen ist die Schamschwelle oft sehr hoch, sich helfen zu lassen. Mit unterschiedlichen Ansätzen und Ideen soll versucht werden, den Menschen den „Schlüssel zur Welt“ zu reichen.

 Engagiert (von li.): Die Lehrer Maria Vill und Edmund Hoff, Willi Kräuter (Ministerium), Petra Berg (MdL), Lehrerin Maria Knörr, Bürgermeister Klauspeter Brill und Horst Ziegler (KEB). Foto: Alt

Engagiert (von li.): Die Lehrer Maria Vill und Edmund Hoff, Willi Kräuter (Ministerium), Petra Berg (MdL), Lehrerin Maria Knörr, Bürgermeister Klauspeter Brill und Horst Ziegler (KEB). Foto: Alt

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7,5 Millionen Menschen in Deutschland zwischen 18 und 65 Jahren können nicht richtig lesen und schreiben. Im Saarland sind 90 000 davon betroffen. Diese Zahlen sorgten für Betroffenheit unter den Besuchern bei der Eröffnung eines Grundbildungszentrums in Lebach . Zu der Feierstunde war im Lebacher Rathaus eine Ausstellung aufgebaut worden, die auf dieses Tabuthema aufmerksam machen soll. Umso wichtiger sei das Angebot, so Bürgermeister Klauspeter Brill, das die Katholische Erwachsenenbildung (KEB) zusammen mit dem Bildungsministerium nun im neuen Gründungszentrum mache.

Es sei "verblüffend", meinte Willi Kräuter vom Bildungsministerium , dass 80 Prozent der funktionalen Analphabeten einen Schulabschluss haben und 57 Prozent erwerbstätig sind. Es sei fast unverständlich nachzuvollziehen, mit welchen Tricks sich diese Menschen durchs Leben kämpfen. Doch nicht nur durch gezielte Kurse und Förderprogramme könne dieses Problem gelöst werden, da griffen viele Rädchen ineinander. Ansätze müsse es bereits in der Frühförderung geben, die Lebensverhältnisse müssten verbessert werden.

Dass es dafür auch qualifizierte Menschen brauche, merkte Horst Ziegler, KEB-Vorsitzender, an. Innovative Lernangebote sollen in Lebach vorgehalten werden. Die KEB wollte damit einen Beitrag zu einem "gelingenden Leben" leisten.

Im Saarland gibt es zehn solcher Gründungszentren, im Kreis Saarlouis drei. In Lebach ist die KEB Träger, in Dillingen die VHS und in Saarlouis, das dieser Tage eröffnet wurde, die Kreisvolkshochschule.

Ab 6. Mai wird ein offener Lerntreff im Grundbildungszentrum Lebach in der Mottener Straße 111a eingerichtet. Vorläufig jeden Mittwoch von 15 bis 16.30 Uhr wird dort Edmund Hoff neben Lesen , Schreiben und Rechnen, auch versuchen, soziale Kompetenzen und PC-Nutzung zu vermitteln. Viele schreiben nicht mehr aktiv, mit dem Handy werden Fotos gemacht, meint der Realschullehrer. Er will auch Kontakt zu Schulen aufnehmen, mit den Eltern in Verbindung treten, denn viele müssen mitmachen, damit der Kurs auch Erfolg hat. Die Teilnahme ist kostenlos, sie wird vom Bildungsministerium finanziert. Ein Einstieg, auch zur Probe, ist stets möglich. Etwa vier Jahre sind notwendig, bis das Defizit aufgeholt ist.

Kontakt: Annika Both, Gerhard Alt, Telefon (0 68 81) 53 94 04.

grundbildungs-saar.de

Seit drei Jahren unterrichtet Maria Vill bei der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) in Lebach Menschen, die Probleme mit Lesen und Schreiben haben. Ihre älteste Schülerin ist 74. "Ich finde es mutig, dass diese Frau den Weg zu uns gefunden hat", meint die Diplom-Theologin. Die heute 74-Jährige durfte als Kind selten die Schule besuchen, ihre Arbeitskraft sei zu Hause gebraucht worden. So habe sie insgesamt nur drei Jahre die Schule besucht und das Wenige, das sie gelernt habe, habe sie im Laufe der Jahre auch wieder vergessen. Alle schriftlichen Angelegenheiten habe später ihr Mann übernommen. Nun will sie es selbst stemmen. "Und sie ist auf einem guten Weg."

Maria Vill beginnt ihre Unterrichtsstunde mit Lautmalerei. Das Abc soll nicht einfach aufgesagt werden, sondern die Laute ausgesprochen werden. Die Mimik spiele dabei auch eine große Rolle. Nach und nach lernen die Schüler, die Silben oder Wörter miteinander zu verbinden. "Das Wort ist im Fluss." Fast alle haben auch Probleme mit der Feinmotorik, können nicht in den vorgegebenen Linien schreiben. Viele haben auch Probleme zum Beispiel mit d und b. Sie vertauschen die Buchstaben. Dann gibt Vill ihnen besondere Hausaufgaben auf. Sie müssen entsprechende Wörter mit d und b suchen. Hausaufgaben können auch einen geografischen Ansatz haben, oder die Menschen sollen einfach mal ihre Lebensgeschichte erzählen. Auf die Sprachmelodie werde großen Wert gelegt, Reime aufgesagt, Gedichte auswendig gelernt.

Ähnlich verläuft auch der Unterricht bei der VHS in Dillingen. Dort unterrichtet Maria Knörr. Die pensionierte Lehrerin fängt mit Druckbuchstaben an. Danach werden Buchstaben und Wörter miteinander verbunden, Textverstehen ist ebenfalls sehr wichtig. Die Wörter sollen nicht nur gelesen, sondern verstanden werden. Wichtig ist für sie unter anderem, dass ihre Schüler möglichst schnell ihre Unterschrift lernen. Das bringt auch wiederum Sicherheit.

Meinung:

Ein Schlüssel zur Welt

Von SZ-RedakteurinMonika Kühn

Lesen und Schreiben wird als der Schlüssel zur Welt bezeichnet. Diejenigen, die dies nur unzureichend beherrschen, können diese Zeilen nicht lesen. Sie brauchen dafür unsere Hilfe. Die kann sehr unterschiedlich aussehen. Wir können ihnen unsere Augen leihen. Doch das ist nur Hilfe für den Moment. Wir können die Schwäche ignorieren, über sie hinwegsehen, so tun, als ob es sie nicht gäbe. Doch das ist beschämend.

Wir können aber das Problem ansprechen. Das wiederum kann für uns ein Problem sein. Wie erkenne ich funktionale Analphabeten? Ihr Leben läuft oft in geordneten Bahnen. Wie viel Kraft die Betroffenen tagtäglich aufwenden müssen, um über die Runden zu kommen, das bleibt uns verborgen.

Und ehrlich: Wie viele Menschen mit einer Lese- und Rechtschreibeschwäche kennen wir? Es ist ein heikles Thema, das sehr sensibel angegangen werden muss. Direkt ansprechen und gleichzeitig konkrete Hilfe beim Grundbildungszentrum anbieten, ist wahrscheinlich die beste Methode. Manchmal hilft aber auch ein kleiner Anstoß, frei nach dem Motto: Ich habe neulich in der Zeitung gelesen, dass es so viele Menschen gibt, die nicht richtig lesen und schreiben können, für die es aber ganz tolle Angebote gibt, wie ihnen zum Schlüssel zur Welt verholfen werden kann.

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