Kleinbauer Kriegs-Erinnerungen helfen bei der Recherche

Lebach · Viele Schicksale von Zwangsarbeitern aus der NS-Zeit werden auch heute noch aufgeklärt. Dabei helfen Zeitzeugen wie Gundel Kleinbauer.

 Gundel Kleinbauer, ihre Tochter Ruth Kleinbauer-Brehm und Lilian Heinen vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge (von links).

Gundel Kleinbauer, ihre Tochter Ruth Kleinbauer-Brehm und Lilian Heinen vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge (von links).

Foto: Fred Kiefer

Zusammen mit zehn Geschwistern wuchs Gundel Kleinbauer, geborene Riehm, in Lebach auf. Sie ist Jahrgang 1931. Hat also den Zweiten Weltkrieg noch als Kind und junges Mädchen miterlebt. In Lebach kennen sie die meisten. Ihre Familie, auch die Tiroler genannt, sind bekannt. Nicht nur wegen des Namens. Der stammt übrigens von  ihren Vorfahrern, wie Kleinbauer bei unserem Besuch berichtet. Die Vorfahren waren im 17. Jahrhundert aus Tirol ausgewandert. Das Elternhaus ihres Vaters wurde auch im Tiroler Stil erbaut, mit dem bekannten umlaufenden Balkon.

Die Eltern von Gundel Kleinbauer führten in der Marktstraße einen Gemischtwarenhandel. Zu ihnen kamen nicht nur die Lebacher zum Einkaufen, auch Soldaten und  ein Kriegsgefangener, erinnert sich die 86-Jährige. Das war Angelo  Calderini, ein italienischer Kriegsgefangener. Er und Jean Léon Rey, ein französischer Kriegsgefangener, sowie  der Ostarbeiter Dimitri Sintschenko kamen bei einem Bombenangriff  auf Lebach am 14. Februar 1945 im Luftschutzkeller in der Dillinger Straße ums Leben. Sie wurden auch  auf dem Lebacher Friedhof beerdigt, neben der Leichenhalle.

Gundel Kleinbauer erinnert sich noch sehr lebhaft an diese Zeit. Immer noch geht ihr der Tod ihres jüngsten Bruders  Karl-Heinz sehr zu Herzen. Dieser fiel am 10. April 1945 in Rethem an der Aller im Alter von 22 Jahren. Noch wie heute erinnert sich die gelernte Herren- und Damenschneiderin  an den Tag, als sie vom Tod ihres Bruders erfuhr.

Wie gewöhnlich ging sie zur Post, um die Post „für P.B Riehm“ abzuholen.Sie bekam  einen ganzen Bündel ausgehändigt. Man  sagte ihr auch, dass auf einer Karte  etwas Schlimmes stehe. Mit Tränen in den Augen verließ sie das Gebäude. Zusammen mit einem ihrer Brüder und einem Geistlichen machte sie sich dann auf den Weg nach Hause.

Gut im Gedächtnis sind der rüstigen Dame auch die Einkäufe des italienischen Zwangsarbeiters Angelo geblieben. Dieser war Offizier, hatte deutsche Wurzeln und sprach auch Deutsch. Er durfte dann für die übrigen Arbeiter Zigaretten und auch Lebensmittel bei ihnen einkaufen.

Stets wurde Angelo bei diesen Einkäufen von einem Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett begleitet.

„Ich sehe ihn heute noch vor mir. Könnte ihn malen, wenn ich zeichnen  könnte.“ Ihr Vater habe den Begleiter stets rausgeschickt. Über was die beiden gesprochen haben, habe sie nie mitbekommen.

Gut im Gedächtnis ist Gundel Kleinbauer auch, dass die Familie oft einen Korb voll Obst an die Bordsteinkante vor ihrem  Geschäft gestellt habe. Das waren Früchte von ihrer eigenen Wiese. Selbst durften sie nichts geben.

Die Zwangsarbeiter, die vorbei kamen, wussten davon und haben gerne Gebrauch davon gemacht. „Sie haben immer pane, pane gesagt.“ Warum die Riehms das getan haben? Ganz einfach die Antwort. „Fünf meiner Brüder waren im Krieg. Wir dachten, vielleicht hilft denen auch jemand.“

Gut im Gedächtnis ist Gundel Kleinbauer auch geblieben, als sie im Dezember 1944 nach Hasborn-Dautweiler evakuiert wurden. Schon Wochen vorher lagen Papiere und gepackte Rucksäcke bei ihnen im Wohnzimmer. Immer bereit zur Flucht.

Bis auf den heutigen Tag beschäftigt  eine Begegnung auf dem Lebacher Friedhof die 86-Jährige.  Als kleines Mädchen sei  sie vom Hahn mit ihrem Milchkesselchen am Friedhof vorbei gekommen.

Sie hörte immer „eins, zwei, hauruck.“  Schnell sei sie auf eine Bank geklettert und habe über die Friedhofsmauer geschaut.  Dort hätten Zwangsarbeiter  viele in Tücher eingewickelte Leichen in ein Massengrab geschoben. Die Toten kamen  aus Saarlouis, Dillingen und dem Reservelazarett in der heutigen Blinden- und Gehörlosenschule.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Landesverband Saar, beschäftigt sich unter anderem mit der Aufarbeitung von Einzelschicksalen von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen auf dem Lebacher Friedhof. Schul- und Bildungsgreferentin Lilian Heinen  vom VDK wurde auf Gundel Kleinbauer aufmerksam. Zusammen mit dem reichen Erinnerungsschatz und den vielen Fotografien, die  die Lebacherin  gesammelt hat, versucht sie die Geschichte der Kriegsjahre in ihrer Heimat weiter aufzuarbeiten.

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