Mobilität „Warum macht man es Kindern so schwer?“

Steinbach/Kreis Saarlouis · Die Eltern eines schwerbehinderten Jungen aus Steinbach brauchen dringend ein behindertengerecht umgebautes Auto. Dafür sammeln sie Spenden. Eine mühselige Sache. Dabei ginge alles viel einfacher, sagen Fachleute. Wenn das Landesamt für Soziales mitspielen würde.

 „Unser Sonnenschein“: Moritz mit Papa David, Mama Marie und Hund Chica zu Hause in Steinbach.

„Unser Sonnenschein“: Moritz mit Papa David, Mama Marie und Hund Chica zu Hause in Steinbach.

Foto: Thomas Seeber

„Moritz ist unser Stolz und Sonnenschein“, sagt Marie Schwoertzig über ihren Sohn. Der Sechsjährige spielt gerne mit Familienhund Chica, schaut Papa David oft beim Herumschrauben in der Garage über die Schulter und macht gerne Quatsch. So, wie auch andere Kinder in seinem Alter. „Wir haben viel Spaß“, erzählt seine Mutter. Und fügt hinzu: „Er braucht aber auch Regeln, wie alle Kinder.“

Doch Moritz kann nicht alles machen, was Kinder in seinem Alter gerne machen. Der Grund: Der Junge ist schwerstmehrfachbehindert geboren worden und benötigt in allen Lebenslagen Hilfe. Er ist auf einen Rollstuhl angewiesen – und auf weitere Hilfsmittel, zum Beispiel auf Bein- und Hüftgelenk-Orthesen. Ein großes Problem für die Familie aus Lebach-Steinbach ist die eingeschränkte Mobilität. Ihnen fehlt ein spezielles Auto. Eines, das ausreichend Platz für den Rollstuhl und die anderen Hilfsmittel bietet. Und eines, das behindertengerecht umgebaut ist. Ein solches Auto zu bekommen, ist sehr kompliziert. Nicht nur im Fall der Schwoertzigs, sondern grundsätzlich.

„Sie sind kein Einzelfall“, sagt Heinrich Buschmann. Er ist Vorsitzender des Vereins „Mobil mit Behinderung“ (MMB). Der Verein berät bundesweit Menschen mit Behinderung und Angehörige von Behinderten. 13 Millionen Menschen mit Behinderung gibt es laut Buschmann in Deutschland, davon sind 3,5 Millionen Mobilitätsbehinderte. Wie viele davon einen Pkw benötigen, dazu gibt es keine genauen Daten.

Dass die Familie Schwoertzig ein behindertengerecht umgebautes Auto braucht, ist für Moritz’ Ärzte und MMB längst klar. Auch die Beratungsstelle der Lebenshilfe St. Wendel sieht das so. Die Anschaffung eines solchen Autos lasse sich „nicht umgehen“, heißt es in einer Stellungnahme der Lebenshilfe.

Moritz leidet am Arnold-Chiari-Syndrom (Verschiebung einiger Hirnstrukturen) und an der schwersten Form von Spina bifida (offener Rücken). Aussicht auf Heilung: keine. Er muss drei bis vier Mal pro Woche zu Physio- und Ergotherapien. Außerdem muss er mindestens alle drei Monate nach Wiesbaden in die Helios-Kliniken, um seinen allgemeinen Zustand kontrollieren zu lassen. Das benötigte Auto muss so umgebaut sein, dass der Junge im Rollstuhl über eine Rampe direkt in das Heck des Fahrzeuges fahren kann. Bisher war das nicht möglich. Lange fuhren die Schwoertzigs einen alten Passat, Baujahr 1998. Seit der kaputt ist, nutzt die Mutter einen noch älteren Polo, Baujahr 1990. Der bietet jedoch nur Platz für sie und Moritz. „Wir kommen an unsere Grenzen, alle Autofahrten sind eine große Herausforderung“, sagt die 30-Jährige.

Aus Sicht des MMB-Vereins könnte man es den Betroffenen einfacher machen. Über die so genannte „Eingliederungshilfe“ lässt sich nämlich ein Antrag beim Sozialamt stellen. Das Amt kann dann die Mobilität fördern und die benötigten Autos beziehungsweise den behindertengerechten Umbau der Autos finanzieren. Doch: „Die Sozialämter ziehen sich gerne aus der Verantwortung“, sagt Kerstin Lonsdorfer. Die gelernte Krankenschwester aus Fraulautern engagiert sich seit rund sieben Jahren bei Mobil mit Behinderung. Sie kümmert sich um Beratungen im Saarland. Sie hat ebenfalls ein schwerbehindertes Kind.

Lonsdorfer kennt Familie Schwoertzig seit sechs Monaten. Sie weiß, wie mühsam es für die Eltern ist, das Geld für das neue Auto zusammenzukriegen. Sie wollen einen Ford Tourneo Custom kaufen. Der Kleintransporter kostet inklusive behindertengerechtem Umbau rund 38 000 Euro. Viel Geld für die vierköpfige Familie – Moritz hat noch einen kleinen Bruder. Ihr Budget reicht dafür nicht aus. Deshalb bemüht sie sich seit Juli um finanzielle Unterstützung von Stiftungen.

Marie Schwoertzig hofft seitdem jeden Tag beim Gang zum Briefkasten auf erfreuliche Post. Sie schreibt neben Stiftungen auch Unternehmen und Vereine an. Rund die Hälfte der benötigten Summe wurde bis Mitte November zugesagt. Die Stiftungsmittel sind allerdings nur für eine gewisse Zeit zugesichert, in der Regel für sechs bis zwölf Monate. Das bedeutet: In diesem Zeitraum muss die gesamte Summe zusammenkommen. Gelingt dies nicht, muss neu beantragt werden.

Auch um die Eingliederungshilfe hat sich Marie Schwoertzig bemüht. Zuständig dafür sind im Saarland nicht die Sozialämter der Kreise, sondern das Landesamt für Soziales in Saarbrücken. Dort hat die Mutter vor sechs Monaten einen Antrag gestellt, um Mittel für den Umbau des neuen Fahrzeuges zu erhalten – etwa 3000 Euro. Die Prüfung läuft noch. Dass sie so lange dauert, ist für Fachleute keine Überraschung. Der Sozialverband VdK Saarland hat die Erfahrung gemacht, dass die Leistungen „eher zurückhaltend“ genehmigt werden. Die Praxis gehe „eher in Richtung Ablehnung“. Ein Problem bestehe darin, dass das Saarland ein finanzschwaches Bundesland sei.

Kerstin Lonsdorfer bestätigt das. Sie hat außerdem die Erfahrung gemacht, dass manchmal dazu geraten wird, die Lebensversicherung aufzulösen, um ein Auto zu finanzieren. Sie und ihre MMB-Kollegen vermuten, dass es in den zuständigen Stellen eine Anweisung gibt, die Kfz-Förderung abzulehnen. Das Landesamt für Soziales in Saarbrücken weist die Vorwürfe zurück. „Es gibt selbstverständlich keine solche Anweisung“, heißt es auf Anfrage.

Ob sie am Ende erfolgreich sein wird, weiß Marie Schwoertzig nicht. Sie hofft aber, dass sich der Aufwand lohnt. Sie musste – wie andere Betroffene in ihrer Situation – viele Unterlagen zusammentragen. Kontoauszüge, Lohnabrechnungen, Führerschein, Arztbriefe, Sozialbericht, Haushaltsplan und vieles mehr. Ihr Eindruck ist: Man muss sich nackt machen. Es ist ihr unangenehm, aber sie sagt, sie möchte sich nicht beschweren. Allerdings fragt sie sich: „Warum macht man es Eltern mit behinderten Kindern nicht ein bisschen leichter? Und vor allem: Warum macht man es den Kindern so schwer?“

 Die Mutter, der Sohn und der Papierkram: Marie Schwoertzig musste viele Unterlagen zusammentragen.

Die Mutter, der Sohn und der Papierkram: Marie Schwoertzig musste viele Unterlagen zusammentragen.

Foto: Thomas Seeber

Der Verein „Mobil mit Behinderung“ hat ein Spendenkonto für Moritz eingerichtet: Mobil mit Behinderung e.V. – Bank für Sozialwirtschaft, IBAN DE41660205000008711300, BIC: BFSWDE33KRL, Verwendungszweck: „MORITZ12845“.

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