Er kennt jede heimische Pflanze mit Namen

Lebach · Manfred Groß aus Lebach kann alle Pflanzen der Heimat bestimmen. Tag für Tag beobachtet er ihren Wachstumsstand und gibt seine Beobachtungen an den Deutschen Wetterdienst weiter – seit 40 Jahren. Dafür gab es nun den Verdienstorden.

 Seit 40 Jahren hat Manfred Groß die saarländische Flora fest im Blick – und gibt seine Beobachtungen an den Deutschen Wetterdienst weiter. Hier zupft er am Süßgras.

Seit 40 Jahren hat Manfred Groß die saarländische Flora fest im Blick – und gibt seine Beobachtungen an den Deutschen Wetterdienst weiter. Hier zupft er am Süßgras.

Foto: Becker & Bredel

Wenn die Natur "explodiert", blüht auch Rentner Manfred Groß auf: den Wiesenfuchsschwanz, ein Süßgras, hat er gerade gemeldet - "ist gefährlich für Allergiker". Saalweide und Schwarze Erle sind schon berichtet, der halbwilde Flieder "kriegt in 14 Tagen weiße Blüten" - und das da ist die "Gemeine Hundsrose, weißrosa, haben sich früher die Mädchen angesteckt". Und da oben, "das glaubt keiner, stehen Wilde Reineclaude und wilde Mirabelle, werden zuckersüß". Wie kommt der Nussbaum dorthin? "Vom Eichhörnchen gesetzt, haha."

Ein Spaziergang mit Manfred Groß über die Wiesen des Lebacher Wünschbergs ist ein einziger Naturkundeunterricht. Der 79-Jährige, dessen Großeltern einen Bauernhof hatten, kennt jedes Gras, jede Blume, jeden Busch und jeden Baum mit Namen und kann deren Wachstumsstand einordnen, allein schon weil er immer draußen ist und immer Tiere hatte, zuerst Pferde, jetzt Heidschnucken. Aus Büchern hat er auch viel darüber gelernt. Um die Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren sei es immer schlechter bestellt, ist er überzeugt: zu viel Stickstoffdünger und eine Landwirtschaft, die bevorzugt den schnellen Gewinn im Auge habe - Mais für Biogasanlagen - seien verantwortlich dafür.

Der gelernte Schlosser, der Soldat und Verwaltungsmitarbeiter der Bundeswehr war, stellt sein phänomenales Wissen auch in den Dienst der Allgemeinheit. Er zählt seit 40 Jahren zu den ehrenamtlichen "phänologischen Beobachtern", auf die sich der Deutsche Wetterdienst (DWD) für seine Berichte und Analysen verlässt. Von den Mitteilungen der Phänologen über die Wild- und Kulturpflanzen sowie das Getreide überall in der Republik profitieren über den Wetterdienst wiederum Wetter- und Klimaforscher, Landwirtschaft, Universitäten, Behörden und Medien.

Anja Engels vom DWD, einer Bundesbehörde, schwärmt von den Fähigkeiten und der Zuverlässigkeit eines Manfred Groß, der auch dank seines Allradwagens einen 36 Quadratkilometer großen Beritt im Auge hat, das meiste aber quasi vor der Haustür ergründet. "Sofortmelder" wie ihn, die im Jahr auf bis zu hundert Berichte kommen, gebe es in ganz Deutschland nur noch 400, "Jahresmelder" noch 1200, halb so viele wie vor 25 Jahren, bedauert die Mitarbeiterin. Meist seien es Förster, Imker, Obst- und Gartenbauer, Biologen oder Lehrer, die ihre Beobachtungen quasi als Nebenprodukt ihrer eigentlichen Tätigkeit weitergäben. Die meisten tun es heute per Internet, Traditionalisten wie Groß dürfen noch telefonieren. Früher wurde per frei frankierter Schreiben Bericht erstattet.

Manfred Groß hatte seine Aufgabe von einem Verwandten übernommen, der aus Altersgründen kürzer treten musste. Nun denkt auch er langsam daran, Nachwuchs anzulernen. Dem Lebacher hat man gerade in Berlin den Bundesverdienstorden verliehen, wie auch 15 weiteren phänologischen Beobachtern - für Manfred Groß eine Ehre und ein unvergessliches Erlebnis. Zur Verleihung im Bundesverkehrsministerium reiste auch Ehefrau Ingrid mit. Aber ob man mit der Aussicht auf ein Verdienstkreuz und eine Aufwandsentschädigung fürs Telefonieren noch junge Leute locken kann? Wie es aussieht, wird es immer weniger phänologische Beobachter geben.

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