Ein Gebot der Nächstenliebe

Das Kirchenasyl erhitzt derzeit die politischen Gemüter. Der saarländische Innenminister Klaus Bouillon (CDU) sieht in den Asylleistungen der Kirche teilweise einen Verstoß gegen geltendes EU-Recht. Andrea Sattler ist Pfarrerin in der evangelischen Kirchengemeinde Lebach-Schmelz. Für sie ist das Kirchenasyl keine juristische Frage, sondern ein christliches Gebot der Nächstenliebe. Mit SZ-Mitarbeiterin Lara Kühn sprach sie über ihre Erfahrungen und erklärt, warum sich die Landesregierung dringend für eine Neuausrichtung der Asylpolitik in Europa einsetzen müsste.

 Andrea Sattler Foto: Lara Kühn

Andrea Sattler Foto: Lara Kühn

Foto: Lara Kühn

Könnten Sie bitte kurz erklären, was ein Kirchenasyl genau bedeutet?

Andrea Sattler: Die evangelische Kirche kann einzelnen Menschen in Ausnahmefällen auf dem Boden der jeweiligen Kirchengemeinde Asyl gewähren. Dabei ist das Kirchenasyl das letzte Mittel der Wahl und kommt nur dann zum Tragen, wenn alle anderen rechtlichen Möglichkeiten von uns ausgeschöpft worden sind.

Genießen derzeit auch Menschen in der evangelischen Kirchengemeinde in Lebach Kirchenasyl ?

Andrea Sattler: Das Kirchenasyl hat bei uns eine lange Tradition. Seit dem Jahr 2002 gilt zwischen dem Bundesland Rheinland-Pfalz, dem Saarland und den Kirchen vor Ort eine Vereinbarung, laut derer die Kirchen geflüchteten Menschen ein Asyl gewähren dürfen. Allerdings praktizieren wir so genannte stille Kirchenasyle. Das heißt, wir sprechen in der Öffentlichkeit nicht über laufende Vorgänge. Ich kann Ihnen nur sagen, dass Flüchtlingen momentan in zwei Kirchengemeinden im Saarland Asyl gewährt wird. Deutschlandweit gehen wir von rund 300 Personen aus.

Und wie entscheidet sich, wer aufgenommen wird?

Andrea Sattler: Es handelt sich zu 95 Prozent um die derzeit in Rede stehenden Dublin-Fälle. Das sind Flüchtlinge , die in Deutschland kein Asyl beantragen dürfen, da sie in unserem Land nicht erstmals europäischen Boden betreten haben. Unser EU-Recht schreibt vor, dass nur im ersten Eintrittsland Asyl beantragt werden darf. In der Obhut des Kirchenasyls bewahren wir die Menschen vor einer Zurückführung in diese Länder. Nach sechs Monaten dürfen sie dann auch in Deutschland einen Asylantrag stellen.

Was wäre so schlimm an einer Zurückführung in ein anderes europäisches Land?

Andrea Sattler: Viele Menschen, die in unserem Land Hilfe suchen, haben nicht nur in ihren Herkunftsländern Schlimmes erlebt. Einige Staaten in der EU sind meilenweit von einem menschenwürdigen Asylrecht entfernt. In Italien sind die Flüchtlinge auf sich selbst gestellt. Das bedeutet ein Leben auf der Straße, ohne Geld und ohne Essen. Eine Unterstützungsstruktur wie man sie in Deutschland kennt ist dort undenkbar. Auch in Belgien sieht es ähnlich aus. Von Ungarn und Zypern wissen wir, dass die Menschen dort aufgegriffen und inhaftiert werden, bevor sie dann in der Regel wieder in ihr Herkunftsland abgeschoben werden. Eine Rückführung in diese Länder bedeutet für die Flüchtlinge also auch eine indirekte Abschiebung in ihre Herkunftsländer.

Wann genau kommt die Kirche dann ins Spiel?

Andrea Sattler: Tätig werden wir in wirklichen Härtefällen. Wir haben beispielsweise einem jungen Mädchen aus Afghanistan und seinen Eltern Asyl gewährt. Die Kleine war traumatisiert und hat sich tagelang im Kleiderschrank versteckt. Ein anderes Mal sollte eine hochschwangere Frau nach Italien zurückgeführt werden. Auch für uns ist es oftmals eine Zerreißprobe, zu entscheiden, wem wir helfen können.

Am heutigen Dienstag findet zwischen der Landesregierung und den Vertretern der Kirchen ein Gesprächskreis statt. Was wäre für Sie ein wünschenswertes Ergebnis?

Andrea Sattler: Es geht darum, sich um die Asylpolitik in ganz Europa und nicht nur in Deutschland Gedanken zu machen. Wir als Kirche fordern die Landesregierung dazu auf, auch hier genau hinzuschauen. In einigen Ländern werden die Menschenrechte der Flüchtlinge mit Füßen getreten. Und wenn wir die Menschen zurückschicken, verletzen wir ebenfalls indirekt deren Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Dabei geht es nicht um eine Generalisierung. Allerdings fordern wir, wenigstens in extremen Fällen, wie bei Kindern und Schwangeren, barmherzig zu sein und eine Antragstellung auf Asyl in Deutschland zu gewähren. Rheinland-Pfalz ist uns da beispielsweise schon einen ganzen Schritt voraus: Von dort aus dürfen Flüchtlinge nicht mehr nach Italien zurückgeführt werden.

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