Kolumne Corona-Tage Schland im Pandemie-Hoch

Man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Aber wegen was wurde am Wochenende eigentlich gejubelt?

Eine ganze Weile lang hatten wir das Treiben stumm verfolgt. Als es schließlich aus meinem Freund herausbrach, klang er fassungslos. „Es war doch nur ein Vorrundenspiel!“ stammelte er, fast übertönt vom Hupkonzert des gigantischen Autokorsos, der sich fahnenschwenkend durch die Saarbrücker Innenstadt wälzte, und den gelegentlichen „Deutschlaaand!“-Rufen aus heruntergekurbelten Fensterscheiben.

Ich war genauso überrumpelt wie er. Natürlich hatte ich das EM-Spiel zwischen Portugal und Deutschland auf dem Schirm gehabt. Vermutlich hatten wir nur deshalb an diesem höllisch schwülen Samstag noch kurzfristig Karten fürs Freibad ergattern können, weil viele Leute das Match lieber am heimischen Fernseher verfolgen wollten statt (wie wir) auf dem kleinen Handy-Display. In der K.O.-Phase ginge es mir ja auch genauso. Aber eine solche Aufruhr schon nach dem zweiten Spiel der Vorrunde?

So unerwartet souverän die deutsche Mannschaft die Portugiesen auch vorgeführt hat – ich bezweifle, dass das der einzige Grund war für die Euphorie. Die New Yorker haben kürzlich ein Feuerwerk über Manhattan steigen lassen, um das Ende der Corona-Maßnahmen zu feiern. Ganz so weit sind wir noch nicht. Trotzdem: Der Sieg über Corona scheint greifbar, Delta-Variante hin oder her. Ein gewonnenes Fußballspiel ist da ein willkommener Anlass, die Sau rauszulassen. Wie das wohl erst wird, wenn wir im Finale stehen?

Die Redaktion hofft, dass der Bezug zum Lockdown im bisherigen Titel dieser Kolumne jetzt erstmal ausgestanden ist. Optimistisch, wie wir sind, haben wir deshalb vor Kurzem den neuen Titel gewählt: „Corona-Tage“ – mit der Option, das erste Wort bald streichen zu dürfen.

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