„Da waren wir noch alle zusammen“

Ensdorf · Alte Menschen, die in ein Heim umziehen, bringen oft Lieblingsfotos aus ihrem langen Leben mit. Darüber erzählen sie in einer SZ-Serie. Heute: Teil 14, Anna Wichmann, die im Ensdorfer Seniorenhaus Sankt Augustin wohnt.

 Anna Wichmann lebt im Seniorenhaus Sankt Augustin in Ensdorf. Foto: Hartmann Jenal

Anna Wichmann lebt im Seniorenhaus Sankt Augustin in Ensdorf. Foto: Hartmann Jenal

Foto: Hartmann Jenal

Dass nicht alles, was Anna Wichmann in ihrem Leben erlebt hat, schön war, merkt man der 94-Jährigen beim Erzählen leicht an. Mit feuchten Augen, nicht traurig, aber doch sehr gerührt, zeigt sie ihr Lieblingsfoto: Die Schwarz-Weiß-Aufnahme aus dem Jahr 1942 zeigt die damals 21-Jährige mit ihren Eltern Franziska und Wenzel sowie Schwester Maria (links) vor ihrem Elternhaus im Böhmerwald in Tschechien. Am rechten Bildrand, neben Anna Wichmann, steht Dr. Heinrich Nagel. "Da war ich gerade zu Hause in Urlaub. Als der Zweite Weltkrieg ausgebrochen ist, musste ich nach Deutschland arbeiten gehen. Ich bin als Haushaltshilfe zu Dr. Nagel nach Nürnberg gekommen", erklärt Wichmann und zeigt auf dem Foto auf den großen, stämmigen Mann mit Anzug und Stock. Fünf Jahre lang - bis Kriegsende - hat sie bei Familie Nagel gearbeitet, "der Arzt war ein Mann mit Herz, er hat russische Gefangene verarztet und war für die Armen da", erzählt die 94-Jährige, die seit zweieinhalb Jahren im Ensdorfer Seniorenhaus Sankt Augustin lebt.

Die Aufnahme, die während des Krieges entstanden ist, ist für Anna Wichmann dennoch ein Symbol einer besseren Zeit: "Da waren wir noch alle zusammen, auch wenn wir arm waren. Wir hatten unser Haus und Vieh, haben Gemüse angepflanzt. Dr. Nagel hat mit seiner Familie Urlaub in Tschechien gemacht und mich dann wieder mit nach Nürnberg genommen."

Schwere Zeiten kamen dann gegen Ende des Krieges auf die junge Frau zu. Das Haus der Familie Nagel wurde ausgebombt, "das war ganz schlimm", erinnert sie sich und kämpft mit den Tränen. "Ich bin dann wieder zu meinen Eltern nach Tschechien. Doch dann wurden wir 1946 ausgewiesen. Meine Eltern und meine Schwester sind nach Esslingen, ich zu meinem Mann, den ich während des Krieges kennengelernt habe, nach Ensdorf ", erzählt die Seniorin. Seitdem lebt sie in der Gemeinde am rechten Ufer der Saar.

Noch insgesamt sieben Mal hat Anna Wichmann nach dem Krieg ihr Elternhaus im Böhmerwald besucht. "Ich konnte es aber nur von Außen anschauen, da haben ja Tschechen drin gewohnt", bedauert sie. Ob das Haus heute noch steht, findet zurzeit ihr Sohn Dieter (71) heraus. Denn der macht gerade Urlaub im Böhmerwald. "Da bin ich schon sehr gespannt, was er erzählt", sagt Anna Wichmann, und ihre feuchten Augen funkeln.

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