Verlässlichkeit ist der Maßstab

Dillingen · Was ist, wenn die klassische Lebensform Ehe und Familie mit Kindern weiter bröckelt? In der Bewertung sollte man nicht gebannt auf die Veränderung der Struktur starren, sondern zur Kenntnis nehmen, dass Menschen auch weiterhin verbindlich Verantwortung für Kinder übernehmen. Das gilt es zu unterstützen: Bilanz einer fruchtbaren Diskussion in Dillingen.

Leben mit Kindern hat sich verändert und verändert sich weiter. Was bedeutet es, wenn das klassische Muster der Familie neuen Formen weicht: allein erziehende Elternteile, Patchwork-Familien, gleichgeschlechtliche Eltern? Eine Diskussion am Donnerstagabend in Dillingen half, genau hinzuschauen und vor allem, einen Maßstab für die Veränderungen zu entwickeln.

Wenn die Struktur zerbricht, wenn die klassische Familie aus Ehe von Vater und Mutter mit Kindern anderen Formen des Zusammenlebens mit Kindern weicht, dann zerbricht nicht zwingend das Wichtigste der Familie: Die Bereitschaft, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Verlässlichkeit, Verantwortung, Bindung, Sicherheit, das zog sich als roter Faden durch eine Diskussion "Familie zwischen Ideal und Alltag", zu der die Katholische Erwachsenenbildung im Kreis Saarlouis eingeladen hatte.

Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer definierte Familie heute generell als Ort, an dem "Eltern für ihre Kinder Verantwortung übernehmen und umgekehrt." Lebensnotwendig für Kinder sei "Bindungssicherheit", führte die Psychologin Carola Hoffmann weiter. Ohne das klassische Familienbild zu missachten, sagte Dagmar Heib , die Teilnehmerin der Synode des Bistums Trier ist, könne die Kirche durchaus den Blickwinkel wechseln: "Nicht das Wie der Familie bewerten, sondern die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen." Vermutlich eine Mehrheit des Synodalen sehe das auch so.

Einig war sich das Podium weitgehend darin, dass Familien selbst verlässliche Rahmenbedingungen vorfinden müssen, um Kindern die notwendige Sicherheit zu geben.

Hans Peter Kurtz, der Vorsitzende der Arbeitskammer des Saarlandes warnte: "Wir müssen darauf achten, dass Arbeit die Familie nicht kaputt macht." Das droht, wenn, wie Kramp-Karrenbauer sagte, die Sorge um das finanzielle Überleben der Familie immer im Fokus stehe; wenn die Gesellschaft Erwerbstätigkeit als das Wichtigste überhaupt betrachte oder wenn vor lauter Arbeit keine Zeit mehr bleibt für die Kinder. Denen fehlt dann Lebensnotwendiges, und die Mütter gerieten unter einen Rechtfertigungsdruck; besonders, wenn sie für beides, Einkommen und Erziehung, sorgen müssten. Das alles untergrabe das Vertrauen ins Leben, ebenso wie Erwerbsbiografien mit vielen Praktika, bis endlich eine feste Anstellung in Sicht ist. Wohl auch Maßstäben einer wirtschaftlich orientierten Gesellschaft entspringt der Druck, den das Podium als Erwartungsdruck der Gesellschaft bezeichnete, dass ein Kind ein perfektes Kind sein solle. Versager wolle niemand sein - also lieber gar kein Kind.

Dabei, unterstrich die Psychologin Hoffmann, "haben Eltern die Kompetenz zur Erziehung", von sich aus also, sie müssten sich selbst nur vertrauen. Das sollte auch die Kirche leiten, fand Dagmar Heib . "Kirche sollte fragen, was Familien brauchen, und das wissen sie am besten selbst."

Kurtz sagte, die Flexibilisierung der Arbeitszeit sei ein erster Schritt zu mehr Familiengerechtigkeit. Der Mindestlohn und die Eindämmung von Leiharbeit stellten in diesem Zusammenhang auch sinnvolle Familienpolitik dar.

Kramp-Karrenbauer ging einen Schritt weiter: Die Wirtschaft solle nicht weiter vom rund um die Uhr einsatzbereiten Kollegen als klassischem Arbeitnehmer ausgehen. Sondern von Menschen mit sozialen Bezügen, vor allem mit Kindern. Kinder, ergänzte Kurtz, müssten eigentlich in den Arbeitsalltag integriert werden.

Die Diskussion, die ein viel größeres Publikum verdient hätte, mündete nicht zuletzt in zwei Perspektiven. Kinder seien heute psychisch nicht kränker als früher, sagte Hoffmann, "aber sie werden auffälliger als früher, weil ihren Bedürfnissen nicht ausreichend Rechnung getragen wird." Und Arbeitskammer-Chef Kurtz: Vielleicht werde sich die Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung auch familienfreundlicher gestalten.

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