Treffpunkt zur Integration

Dillingen · Behutsames Herantasten an die neue, deutsche Sprache: Das Erlernen im Schritt-für-Schritt-Verfahren ist ein wichtiger Bestandteil des Hilfsangebots des Dillinger Vereins pro-Voce. Er wurde bereits 2005 gegründet.

 Samira Mohamad, Hndstan Ibrahim und Jihan Maksoud (von links) büffeln alle Lesen und Schreiben beim Verein Pro Voce in Dillingen. Foto: Carolin Merkel

Samira Mohamad, Hndstan Ibrahim und Jihan Maksoud (von links) büffeln alle Lesen und Schreiben beim Verein Pro Voce in Dillingen. Foto: Carolin Merkel

Foto: Carolin Merkel

Seit einem Jahr ist die Syrerin Samira Mohamad in Deutschland, wohnt mit ihrer Familie in Dillingen . Trotz strömenden Regens hat sie sich am Mittwochnachmittag zu Fuß auf den Weg gemacht in die Hüttenwerkstraße. Ziel ist die im Juli vom Verein pro voce eröffnete Anlaufstelle für Flüchtlinge Treffpunkt "Menschen dieser Erde". Jede Woche, so schätzt Gökcen Bicar, Mitarbeiterin des Vereins, besuchen gut 60 Menschen die angebotenen Kurse Alphabetisierung und Kommunikation. Dazu kommt ein reger Publikumsverkehr. Viele Menschen nutzen die allgemeinen Hilfsangebote bei Alltagsproblemen aller Art.

Hilfe für Alltagssituationen

Gegründet wurde der Verein pro Voce im Juni 2005 von Matthias Kremer und war ursprünglich eine Initiative für Eltern mit stotternden Kindern. Durch den Kontakt mit syrischen Imkern kam Kremer auf die Ideen, den Neu bürgern auch bei allen anderen Fragen rund um ihr Leben in der neuen Heimat zu helfen. So eröffnete im Juli der Treffpunkt mit viel ehrenamtlichem Engagement.

In diesen Räumen besucht Samira Mohamad mit weiteren 20 Frauen einen der Alphabetisierungskurse. Heute steht bei Roswitha Rabi der Buchstabe "U" auf dem Lehrplan. Die Frauen erhalten Übungsblätter, doch zunächst geht es an die Vorstellungsrunde.

Lernen Schritt für Schritt

Denn neben dem Schreiben ist auch der tägliche Gebrauch der Sprache ganz wichtig im Kurs von Rabi. Dabei geht sie sehr behutsam vor, in sehr kleinen Etappen. Schritt für Schritt sollen die Frauen lernen, zu sprechen, zu lesen und zu schreiben. Gerade das Schreiben fällt Samira besonders schwer, wie sie erklärt. Sie war in Syrien nicht in der Schule, ist Analphabetin, lernt hier schreiben und lesen, und das in einer ihr völlig fremden Sprache .

"Die deutsche Sprache allgemein ist sehr schwierig", erzählt sie Dolmetscher Bashar Shaw. Der 17 Jahre alte Syrer, der ebenfalls erst seit einem Jahr in Deutschland ist, engagiert sich ehrenamtlich und zeigt ganz nebenbei, wie schnell und gut man lernen kann, wenn man sich jeden Tag dazu motiviert. "Man muss viel lernen, aber die Kurse müssen auch gut aufgebaut sein", sagt der Schüler des TWG in Dillingen . Bashar ist übrigens der einzige männliche Besucher an jenem Nachmittag. "Wir akzeptieren es, dass es einen Kurs gibt, in dem nur Frauen sind. Das hat auch viel mit Vertrauen zu tun. Und es nutzt nichts, wenn die Frauen nicht mehr kommen, weil Männer da sind. Gerade sie müssen doch lernen", erklärt Gökcen Bicar. Währenddessen wird es ernst für Mohamad, sie wird von der ehrenamtlichen Lehrerin an die Tafel gerufen, soll das Wort "Lila" schreiben. Das klappt erfreulich gut, ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Dann gibt sie den Stift weiter an Jihan Maksoud. Auch sie ist erst seit einem Jahr in Deutschland, kann aber bereits den Fortgeschrittenenkurs besuchen. Auch sie erklärt, wie schwierig es ist, all das zu lernen. Doch aufgeben kommt für sie nicht in Frage. Dran bleiben, dabei helfen vor allem die rund 15 ehrenamtlichen Helfer von pro voce jede Woche aufs Neue in den zahlreichen Kursen.

Der Treffpunkt "Menschen dieser Erde" ist in der Hüttenwerkstraße 16-18 in Dillingen eingerichtet. Weitere Infos gibt es auf der Homepage, unter E-Mail info@pro-voce.de oder Tel. (0 68 31) 1 66 26 99.

pro-voce.de

Wie kommen Sie an die Ehrenamtler? Was treibt Sie an?

Kremer: Unsere 15 Ehrenamtlichen haben sich aus eigenem Antrieb heraus bei uns gemeldet und nach Einsatzmöglichkeiten gefragt. Die Beweggründe sind stets die gleichen: Alle Ehrenamtlichen gaben an, dass sie zu uns gekommen sind, nachdem ihnen bewusst wurde, mit welchen teils schwerwiegenden Problemen die Flüchtlinge im alltäglichen Leben zu kämpfen haben. Jeder einzelne erklärte sich sofort dazu bereit, dort Hilfe zu leisten, wo es nötig ist.

Hätten Sie im August mit diesem Erfolg gerechnet?

Kremer: Nein. Es zeichnete sich zwar bereits im August eine zunehmende Frequentierung unserer Einrichtung durch die Migranten ab. Dass wir ab September allerdings täglich acht Stunden öffnen mussten, um den Andrang, der mittlerweile aus dem ganzen Landkreis stammt, zu bewältigen, das ahnten wir nicht.

Wo sehen Sie den Verein in der Flüchtlingshilfe positioniert? Was sind die Schwerpunkte, was würden Sie gerne anpacken?

Kremer: Wir sehen uns als wichtige Ergänzung zum bestehenden System. Unsere Einrichtung in Dillingen bietet den Migranten eine Anlaufstelle, zu der sie großes Vertrauen haben. Wir sind keine Behörde, keine Einrichtung, in der Verpflichtungen erfüllt werden müssen. Bei uns finden vertrauliche, persönliche und einfühlsame Gespräche statt. Bei uns fließen Tränen, es wird über traumatische Kriegs- und Fluchterlebnisse gesprochen. Es werden Ängste, Befürchtungen und die große Sorge um die Zukunft in Deutschland thematisiert. Wir denken, das führt unter anderem zu dem großen Zulauf unserer Einrichtung. Große Schwierigkeiten bereiten uns nach wie vor, den Kontakt zwischen Migranten und einheimischer Bevölkerung zu fördern. Flüchtlinge hatten auf dem Dillinger Herbstding 500 rote Rosen an die Bevölkerung verteilt, verbunden mit der Einladung, sie in unserer Einrichtung zum gegenseitigen Kennenlernen zu besuchen. Leider kam niemand. Das führte unter den Migranten zu einer großen Enttäuschung. Hier haben wir noch großen Handlungsbedarf.

Was brauchen Sie, wo bekommen Sie Hilfe?

Kremer: Wir brauchen mehr finanzielle Unterstützung. Wir werden zwar von der Stadt und vom Land gefördert. Dennoch reicht die Förderung ab 2017 nicht mehr aus. Denn wir haben seit Oktober mit großer Unterstützung durch das Jobcenter eine Halbtagskraft anstellen können, ohne die unsere Einrichtung nicht mehr zu betreiben war. Im Januar 2017 wird diese Unterstützung zurückgefahren, so dass auf uns erhebliche Eigenanteile in der Finanzierung zukommen werden. Eines steht fest: Wenn wir die Halbtagskraft nicht halten können, werden wir schließen müssen. Denn auch mit privatem Geld unserer Ehrenamtlichen ist das dann nicht mehr zu finanzieren.

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