Stephan Peter setzt auf Gemeinwohl Stephan Peter blickt optimistisch in die Zukunft: Genossenschaftsgedanke wird weiterhelfen

DILLINGEN · „Alte und neue Ansätze zur Wirtschaftsdemokratie sind auch an der Saar vorhanden“, sagt Industriesoziologe Stephan Peter.

 Stephan Peter setzt sich für mehr genossenschaftliches Denken in wirtschaftlichen Prozessen ein.

Stephan Peter setzt sich für mehr genossenschaftliches Denken in wirtschaftlichen Prozessen ein.

Foto: Peter

Stephan Peter, 1955 in Mainz geboren und in Dillingen aufgewachsen, ist Bildungsreferent bei der Peter-Imandt-Gesellschaft/Rosa Luxemburg Stiftung, Diplom-Soziologe mit Schwerpunkt Industriesoziologie. Der Sohn von Dr. Rudi Peter, Gründer der Zukunftswerkstatt Saar, und der früheren saarländischen Ministerin Dr. Brunhilde Peter, hat in den USA in Politikwissenschaften promoviert und ist überzeugt, dass Wirtschaft und Demokratie sich verbinden lassen. Der Autor mehrerer Veröffentlichungen über Genossenschaften und Wirtschaftsdemokratie beantwortet im SZ-Interview Fragen.

Die jüngsten Entscheidungen bei Ford zuungunsten des Saarlandes sind nach rein wirtschaftlichen Kriterien gefallen. Wie hätte aus wirtschaftsdemokratischer Sicht eine Alternative aussehen können?

STEPHAN PETER In zwei Sätzen geht’s nicht. Ein Aspekt: Helen Patton, Enkelin von General George S. Patton, dessen 3. Armee 1944/45 das Saarland vom Faschismus befreite, sagte mir mal: ‚Es darf nie mehr passieren, dass Soldaten und Bürger Kanonenfutter werden.‘ Demgegenüber sind direkte Beteiligungen der Bürger und Beschäftigten zentral für die Demokratie. Ohne sie sind Autokraten und Oligarchen an der Macht. ‚Ford lässt sich nicht morgen in eine Genossenschaft überführen – aber mit den Zulieferbetrieben können wir anfangen‘, meinte Leo Gerard, Chef der US-Stahlarbeitergewerkschaft USW. Und zusammen mit Mondragon, dem weltgrößten Genossenschaftsverbund im spanischen Baskenland, entwickelte Gerard das Gewerkschafts-Genossenschaftsmodell. Es geht darum, zwei Säulen der alten Arbeiterbewegung zusammenzubringen. Das zu bewerkstelligen, braucht es Ressourcen und Energie. Was die Rolle der Politik betrifft, hat Senator Bernie Sanders Anträge im US-Senat für einen nationalen Beteiligungsfonds eingebracht. Das tat Anke Rehlinger fürs Saarland auch. Ein Vergleich der beiden Fonds zeigt: Nur bei Bernie geht’s zentral um Wirtschaftsdemokratie und Mitarbeiterbeteiligung. Die Frage bleibt, sind wir gegenüber Ford den aufrechten Gang gegangen? Haben wir Martin Luther Kings Wort ‚I am somebody‘ (‚auch ich zähle und habe was beizutragen‘) genug Rechnung getragen? Hätte man nicht mehr machen können? Angefangen damit, Leo Gerard nach Saarlouis einzuladen?

Lassen Sie uns kleiner anfangen: Wenn Nachbarn sich zusammentun, um gemeinsam Pellets für ihre Heizung zu kaufen, ist das eine genossenschaftliche Aktion von der Art, die Sie meinen?

PETER Wirtschaftsdemokratie im Saarland ist ein weites Feld. Ihr Beispiel gehört dazu. Das Gemeinwirtschaftliche, Genossenschaftliche macht sich letztlich auch nicht an der Rechtsform fest. Sondern an den Organisations- und Entscheidungsstrukturen. Diese sollten basisdemokratisch und partizipativ sein.

Ältere Leserinnen und Leser erinnern sich an die ASKO - Allgemeine Saar-Konsum. Diese Genossenschaft gibt es schon lange nicht mehr. Warum fällt es Selbstverwaltungen und Genossenschaften so schwer, sich zu behaupten?

PETER Bei Lebensmittelgenossenschaften sind die Anbindung ans Viertel und direkte Demokratie statt Delegiertenprinzip wichtig. Das gab es bei ASKO irgendwann nicht mehr. Für einen Zeitgeist in Richtung mehr kollektive Selbstorganisation braucht es Unterstützer-Strukturen, etwa Programmschwerpunkte Wirtschaftsdemokratie an HTW und Uni, ein nachhaltiges Engagement der Kammern, eine Stabsstelle Wirtschaftsdemokratie im Wirtschaftsministerium. Daran fehlt’s! Und Genossenschaften selbst brauchen belastbare Entscheidungsstrukturen. Das Gewerkschafts-Genossenschafts-Modell hat da einiges entwickelt. Die Datenlage ist dünn, aber, was es gibt, zeigt: Genossenschaften halten bereits jetzt so lange durch wie (wenn nicht sogar länger als) herkömmliche, privatkapitalistische Betriebe und Projekte.

Können Sie dafür bitte kurz ein paar Beispiele nennen – auch bezogen aufs Saarland?

PETER Dazu gehört zum einen die saarländische Montanstiftung, zum anderen aber auch urbanes und Gemeinschafts-Gärtnern. Außerdem gibt es Schüler- und Seniorengenossenschaften, Bürger-Energiegenossenschaften sowie neue Überlegungen, etwa Plattform-Kooperativen und Tante-Emma-Läden, und ganz alte Ansätze, wie Kredit-, Konsum-, Wohnungsbau- und gewerbliche Genossenschaften. Die solidarische Landwirtschaft nicht zu vergessen! Historisch: die erwähnte ASKO oder die Fensterfirma Petri. Und: Die Beteiligungsgesellschaft der Saarbrücker Zeitung feierte kürzlich 50. Jubiläum…

Worin besteht der Kerngedanke der Wirtschaftsdemokratie?

PETER Der Begriff Wirtschaftsdemokratie wurde vom Gewerkschafter Fritz Naphtali 1928 geprägt. Sein Aufsehen erregendes Buch hatte diesen Titel. Erstaunlicherweise wird dieser Begriff bei fast jeder Diskussion nochmal aufgerollt. Ein nicht enden wollender Prozess. Wirtschaftsdemokratie meint demokratische Kontrolle der Wirtschaft und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Gewerkschaftern wie Victor Agartz mit umfassender gewerkschaftlicher Mitbestimmung verbunden. Heute steht die Mit-Beteiligung des Einzelnen noch stärker im Vordergrund.

Ist der Eindruck richtig, dass sich wirtschaftsdemokratisches Denken auch in der Katholischen Soziallehre findet? Wo noch?

PETER Als Kind hat mich mein Vater zu einer Veranstaltung mit Oswald von Nell-Breuning mitgenommen. Er, der Nestor der katholischen Soziallehre, verkörperte die Nähe zwischen Genossenschaft, Gewerkschaft und Kirche in seiner Biografie. Meine Eltern waren von der Tradition der Arbeiterpriester im Frankreich der 1940er bis 1970er Jahre beeinflusst. Der schwarze Theologe, Harvard- und Princeton-Professor Cornel West, Mitstreiter von Bernie Sanders, bezieht noch andere ein, wenn er sagt: ‚Die von Jesus gelehrte Nächstenliebe und die Botschaft der Barmherzigkeit von Mohammed beziehen sich beide auf die jüdische Erfindung der prophetischen Liebe zur Gerechtigkeit. Diese große Tradition sollte den Kampf gegen die Gleichgültigkeit der herrschenden Eliten (…) inspirieren und ermutigen.‘ Willy Brandt beklagt in seinen Erinnerungen, dass für ‚Mehr Demokratie wagen!‘ Kräfte der Erneuerung nicht stärker, als nötig gewesen wäre, über alte Parteigrenzen hinweg zusammenfanden: Liberale, katholische Soziallehre, evangelische Sozialethik und Gewerkschaften.

Könnten wir mit der Klimakatastrophe, der Corona-Pandemie und der Inflation besser zurechtkommen, wenn wir uns mehr am Gemeinwohl orientierten? Was, meinen Sie, können jeder und jede einzelne tun?

PETER Der geistige Vater des Erneuerbaren Energie Gesetzes, der Politiker Hermann Scheer, verwies auf die Technik der Erneuerbaren, welche sozial dezentrale und basisdemokratische Lösungen ermöglicht. Ein Atomkraftwerk im Vorgarten geht nicht, ein Windrad schon. Einzelne haben heute Möglichkeiten, sich mit Nachbarn, Freunden, Gleichgesinnten zusammenzutun, um die Energiewende, die Elektro-Mobilität und mehr voranzubringen, partizipativ und kostengünstig. Genossenschaftliches Wohnen, Plattform-Genossenschaften, das alles findet Interesse. Das Thema Gemeinwohlorientierung hat insgesamt, in der Wissenschaft und in der Praxis, an Fahrt aufgenommen.

Könnte das Saarland Modellregion für genossenschaftliche Formen in der Wirtschaft sein?

PETER Der Auftrag besteht schon! Paragraf 54 der Landesverfassung sagt: ‚Der selbstständige saarländische Mittelstand in Industrie, Gewerbe, Handwerk und Handel ist zu fördern und in seiner freien Entfaltung zu schützen. In gleicher Weise ist das Genossenschaftswesen zu fördern.‘ Alleine bei den zahlreichen saarländischen Klein- und Mittelbetrieben, die jedes Jahr aufgeben müssen, weil kein Nachfolger da ist, sollte der Genossenschaftsgedanke stärker ins Spiel kommen. Anträge zum Saarland als Modellregion Gemeinwohlökonomie wurden bereits im Landtag eingebracht. Jetzt müssen diese Anträge aber noch eine Mehrheit finden. Vielleicht gibt es mit der neuen Landesregierung Bewegung.

Was stimmt Sie zuversichtlich?

PETER Saarländer lieben ihre Heimat. Ein Ort, wo das Urvertrauen da ist, dass man in Frieden und frei leben und arbeiten, ein gutes Leben haben kann. Diesen Wunsch können wir uns nicht nehmen lassen.

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