Getrennt entscheiden, aber zusammen tagen

Rehlingen-Siersburg · Vier Mal schon haben der Stadtrat von Bouzonville in Lothringen und der Gemeinderat von Rehlingen-Siersburg im Saarland gemeinsam getagt. Das gibt es sonst in dieser Form noch nirgends.

 In der Niedtalhalle (von links): Europabeauftragte Helma Kuhn-Theis, Dolmetscherin Eva Maria Houy, Bürgermeister Martin Silvanus, Bürgermeister Gilbert Philipp und der Beigeordnete von Bouzonville, Denis Peysant. Foto: Hartmann Jenal

In der Niedtalhalle (von links): Europabeauftragte Helma Kuhn-Theis, Dolmetscherin Eva Maria Houy, Bürgermeister Martin Silvanus, Bürgermeister Gilbert Philipp und der Beigeordnete von Bouzonville, Denis Peysant. Foto: Hartmann Jenal

Foto: Hartmann Jenal

Diskutiert wurde nicht bei dieser Sitzung am Freitagabend in der Niedtalhalle. Aber es gab ja auch nichts zu entscheiden. Denn gemeinsam haben die Teilnehmer nicht die Kompetenzen, die sie getrennt voneinander besitzen: gemeinsam aber haben sie Themen. Und so saßen sie in U-Form, sehr weit voneinander entfernt, in der Mehrzweckhalle in Siersburg und hörten vor allem zu: der Stadtrat von Bouzonville und der Gemeinderat von Rehlingen-Siersburg. Bouzonville (4000 Einwohner, 12 000 im Gemeindeverband Bouzonvillois), Arrondissement Boulay-Moselle, Département Moselle, Frankreich. Und Rehlingen-Siersburg (14 000 Einwohner), Kreis Saarlouis, Saarland, Deutschland.

Auf dem Boden eine große grüne Matte, auf der ein gewundener Weg aus Kalksplitt die zwei Flaggen verbindet, dekoriert vom Bauhof.

Die Ratsleute beidseits der Grenze verbindet zum Beispiel die Niedtalbahn, und die droht diese Funktion zu verlieren. In der Sitzung erfahren sie, dass der französische Abschnitt seit Anfang Januar nicht mehr befahren wird (wir berichteten). Sie erfahren, dass der Personenverkehr auf dem deutschen Teil der Niedstrecke 2015 ausgeschrieben wird. Das Stückchen bis Bouzonville ist ausgenommen, da Frankreich keine Ausschreibung für seine Eisenbahnen erlaubt. Und deutsche Züge dürfen nicht einfach so nach Frankreich fahren.

Fast jeder an dem Abend spricht in seiner Landessprache, manche können beide, Gilbert Philipp zum Beispiel, der Maire von Bouzonville.

Die etwa 60 Männer und Frauen in dieser gemeinsamen Sitzung erfahren auch, wie weit der Gemeindeverband Bouzonville mit der Planung eines Wanderwegenetzes ist. Zwei Wege führen nach Deutschland.

Die Dolmetscherin, Eva-Maria Houy, glänzt. Allein die Begriffe, die der Verkehrsmanager Adalbert Ott braucht, um zu erklären, wer wie in Deutschland zuständig ist für Schienenverkehr. Oder, das macht den Löwenanteil der dreistündigen Sitzung aus: Erläuterungen zur Sozialpolitik Frankreichs und zum deutschen System der sozialen Sicherung. Es referieren die Bouzonviller Beigeordnete Marie-Christine Venner, der Leiter des Kreis-Sozialamtes, Stefan Schirra, und der Versicherungsfachmann Walter Steinhauer. Verwaltung in Verwaltungssprache erklärt, das wird in der Übersetzung auch nicht einfacher. Mit den schriftlichen Übersetzungen der Referate könnte man einen Fachsprach-Kurs bestreiten.

Als Gast dieser vierten gemeinsamen Sitzung nach 1989, 1996 und 2004 ist Helma Kuhn-Theis dabei, die saarländische Europabeauftragte. "Mir ist nicht bekannt, dass es so etwas sonst im Saarland gibt", sagt sie: im Saarland - "wo die deutsch-französische Freundschaft gelebt wird wie nirgends sonst", und das "auf dem Weg ist zur Nummer eins in der Frankreichkompetenz in Deutschland". Man könne den Wert dieser Sitzung gar nicht hoch genug einschätzen.

Dennoch: Abstimmung geschieht nicht hier, die läuft auf kurzen Wegen von Rathaus zu Rathaus. Das hat sich in 35 Jahren bewährt: 35 Jahre offizielle Partnerschaft zwischen Bouzonville und Rehlingen-Siersburg. Bürgermeister Martin Silvanus und Amtskollege Gilbert Philipp würdigen sie in der Sitzung. Vom "ungebrochenen, gefestigten Willen zur Partnerschaft" spricht Silvanus. Von Friede, Freiheit und Freundschaft spricht Philipp. Beide heben die Beiträge von Etienne Haas und Erhard Grein unter den Initiatoren der Partnerschaft hervor.

Silvanus und Philipp verbindet auch die Erfahrung, dass Politik übergeordneter Ebenen die Kommunen im Regen stehen lassen, wie sie sagen. Philipp fühlt sich "perplex", weil ihm keine französische Behörde was gesagt habe vom Ende des Güterverkehrs zwischen Dillingen und Bouzonville. Er regt sich auf, dieses Mal auf Französisch, für Millionen Euro sei das Bahngleis gerade saniert worden, und Bouzonville habe gekämpft, dass der Bahnhof mehrgleisig bleibe. Und jetzt das. Silvanus erinnert an europapolitische Sonntagsreden, "und dann lässt uns die Politik im Stich". Das verstehen beide Seiten.

Am 7. April 1989 fand in Siersburg die erste gemeinsame Sitzung des Gemeinderates Rehlingen-Siersburg und des Stadtrates der Partnerstadt Bouzonville statt. Die von den ehemaligen Bürgermeistern Ewald Bauer und Pierre Grandjean unterzeichnete Urkunde über die offizielle Partnerschaft war bereits am 18. und am 19. Mai 1979 in Siersburg und in Bouzonville ausgetauscht worden.

Schon vorher hatte es, 1970 in Niedaltdorf beginnend, die Grenzlandtreffen der Gemeinden des Niedtales und des Saarlouiser Nordgaues mit der Region Bouzonville gegeben. Man verstand sich auf Anhieb. Die Sprachbarriere war gering. Die moselfränkische Mundart wurde auf beiden Seiten stärker als heute gepflegt.

Der Grundstein zur offiziellen Partnerschaft war im Rahmen eines Heimatabends durch den Heimat- und Verkehrsverein Siersburg gelegt worden. Man erinnerte damals an die Jahrhunderte alten Beziehungen zu Bouzonville und seiner Abtei, die 1758 die Itzbacher Pfarrkirche St. Martin errichtete, aber auch an die vielen Gemeinsamkeiten, die sich durch die am 1. Juli 1901 eröffnete Bahnlinie von Dillingen nach Bouzonville, damals Busendorf, ergeben hatten.

Ein Themenschwerpunkt der bisherigen gemeinsamen Sitzungen war die Reinhaltung der Nied und ihrer Zuflüsse. Hier wurden durch den Bau neuer Kläranlagen auf beiden Seiten große Erfolge erzielt.

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