Das Leben nach dem großen Einschnitt

Dillingen · Selten sind Menschen darauf vorbereitet, wenn ihnen ein Körperteil entfernt wird. Die Arbeitsgemeinschaft „ampuLAG Saar“ steht Betroffenen zur Seite. Die SZ hat eine Selbsthilfegruppe in Dillingen besucht.

 Nach einer Amputation beginnt die Suche nach einer passenden Prothese. Doch nicht jeder Beinersatz passt auf Anhieb. Foto: dpa

Nach einer Amputation beginnt die Suche nach einer passenden Prothese. Doch nicht jeder Beinersatz passt auf Anhieb. Foto: dpa

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Eigentlich sollte er nur eine Hauttransplantation bekommen. Doch als Alois Kiefer an jenem Morgen vor 14 Jahren im Krankenhaus wieder zu sich kam, fehlte ihm ein Bein. "Das war eine Katastrophe", sagt der heute 74-Jährige. Er wusste, dass das Blut nicht mehr richtig floss. Doch vorbereitet war er auf die Amputation nicht.

Für Ilona-Maria Kerber ist Kiefers Schicksal kein Einzelfall. Nicht immer werde den Patienten eine bevorstehende Amputation ausreichend kommuniziert, sagt die Vorsitzende der 2012 gegründeten Landesarbeitsgemeinschaft der Selbsthilfegruppen für Menschen mit Arm- oder Beinamputation im Saarland (ampuLAG Saar). Sie beobachtet aber auch sonst Verdrängung: "Es ist wie mit der Rente. Keiner will mit dem Thema etwas zu tun haben."

Wie jeden dritten Samstag im Monat trifft sie sich an diesem Nachmittag mit Kiefer und anderen Betroffenen im Dillinger Seniorenpalais. Die Selbsthilfegruppe für den Raum Saarlouis gibt es seit Februar und ist neben Saarbrücken (seit 2009) und Merzig-Wadern (2011) eine von dreien im Saarland. Wie viele Menschen hierzulande amputiert sind, kann selbst das Gesundheitsministerium nicht sagen. Es wird keine Statistik geführt. Kerber schätzt, dass es im Saarland einige Tausend sind. Nach Angaben des Bundesverbands für Menschen mit Arm- oder Beinamputation gibt es in Deutschland, bedingt durch die Amputationsursachen ("Unfälle und Diabetes "), mehr Menschen mit Bein- als mit Armamputation. Laut Eurocom-Patientenratgeber aus dem Jahr 2012 liegen bei rund 80 Prozent aller Amputationen arterielle Verschlusserkrankungen vor. Risikofaktoren sind ein erhöhter Blutdruck, hohe Blutfettwerte, Rauchen und Diabetes .

In Dillingen sind es an diesem Samstag neun Teilnehmer, überwiegend Männer wie der 30-jährige Selahattin Ciftci, dessen rechtes Bein von Geburt an nicht richtig wuchs. Oder wie Peter Reinhard, ein Mann mittleren Alters, dessen "Raucherbein" nach einer Embolie entfernt werden musste. Sie sitzen am Tisch, essen Kuchen, unterhalten sich. Die 62 Mitglieder starke ampuLAG Saar finanziert sich ausschließlich aus Beiträgen von Fördermitgliedern und Sponsoren, darunter das Gesundheitsministerium und Saar-Toto.

Nach einer Amputation steht erst einmal Rehabilitation auf dem Programm. Dazu gehören neben Wundpflege auch Physio- und Ergotherapie. Sämtliche Hilfsmittel wie Gehhilfen oder ein Rollstuhl müssen die Patienten bei der Krankenkasse beantragen. Den Alltag bewältigen zu können, bedeutet gegebenenfalls auch, sich ein Auto mit Automatikgetriebe anschaffen oder die Wohnung umbauen zu müssen. Das kann auch die Seele belasten. Deshalb gehöre für einige Patienten auch eine Psychotherapie dazu, sagt Kerber.

Peter Reinhard konnte auf sie verzichten. Er hat sich mit seiner Amputation arrangiert: "Ich mache selbst Witze drüber." Er hatte schon nach sechs Wochen seine erste Prothese. Das gehe nicht immer so schnell, sagt Kerber. Es könne manchmal bis zu einem Jahr dauern. Beim Thema Prothesen kann die 70-Jährige, die selbst seit 22 Jahren beinamputiert ist, auch mal laut werden. "Ihr habt den Anspruch, drei Füße zu testen!", ruft sie in die Runde. Der untere Teil einer Beinprothese, der Prothesenfuß, ist entscheidend dafür, ob das Gehen funktioniert. Nach der Amputation weise das Krankenhaus dem Patienten zunächst mal einen Orthopädietechniker (OT) zu. Laut Angaben der Handwerkskammer gibt es derzeit 33 eingetragene Techniker im Saarland.

Kerber kritisiert, dass die Patienten keine Wahlfreiheit hätten. Einige Orthopädietechniker legten, so ihre Erfahrung, ihren Patienten nah, eine extrateure Prothese bei der Krankenkasse zu beantragen, obwohl diese eigentlich nicht nötig, und manchmal sogar ungeeignet sei. Aus Profitgier? Ja, sagt Orthopädietechniker Hermann Müller, der ein Sanitätshaus in Bous betreibt und ebenfalls zum Treffen der Selbsthilfegruppe gekommen ist. Er weiß, dass Orthopädietechniker gut am Prothesengeschäft verdienen. "Letztendlich geht es nur ums Geld", sagt er.

Aber auch die Patienten hätten eine Verantwortung, meint Kerber: "Wer ohnehin weiß, dass er nur zu Hause sitzen wird, sollte keine Prothese beantragen." So bliebe auch mehr Geld für die Unterstützung von Menschen wie Alois Kiefer, die sich trotz Prothese und Gehhilfe aktiv bemühen, mobil am Leben teilzuhaben.

Die ampuLAG Saar lädt Interessierte an diesem Samstag ab 10 Uhr zu einem Aktionstag zum Thema "prothetische Versorgung für Unter- und Oberschenkelamputierte" im Rehazentrum Saar, Berliner Promenade 3, in Saarbrücken ein.

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