Alfa-Mobil „Jeder kann Lesen und Schreiben lernen“

Dillingen · Das Alfa-Mobil vom Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung soll Betroffene motivieren, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

 Das Alfa-Mobil war zu einer Informationsveranstaltung zu Gast in Dillingen (von links): Stefan Wälte, Barbara Wagner, Peter Schmitz und Juliane Averdung.

Das Alfa-Mobil war zu einer Informationsveranstaltung zu Gast in Dillingen (von links): Stefan Wälte, Barbara Wagner, Peter Schmitz und Juliane Averdung.

Foto: Daniel Bonenberger

„Lesen zu können bedeutet die pure Freiheit für mich, die Welt ist dadurch größer geworden.“ Wie eingeschränkt und unselbständig das Leben des früheren Analphabeten Peter Schmitz aus der Eifel einmal war, das berichtete er am Montagvormittag auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums. In Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung und der Vhs Dillingen wollte er seine Erfahrungen mit anderen Betroffenen teilen und ihnen für den schweren Weg, den auch er gehen musste, Mut zusprechen.

„Ich habe erst mit 45 Jahren Lesen und Schreiben gelernt. Vorher war mein Leben ein Katz- und-Mausspiel, um meinen Analphabetismus zu verheimlichen“, kann Schmitz heute offen zugeben. Niemand hätte gemerkt, dass er nicht Lesen und Schreiben konnte, er habe mit allen Tricks gearbeitet, um es vor seinen Freunden und Verwandten zu verstecken.

Schmitz hatte es besonders schwer, denn er gehört zu den 0.5 Prozent der Analphabeten, die unter einer besonders schweren Form leiden. Sogar auf der Arbeit habe er Mittel und Wege gefunden, um nicht aufzufallen: „Ich habe 25 Jahre in einer Fabrik gearbeitet, da ich die Artikelnamen nicht Lesen konnte, habe ich um die 4000 Nummern auswendig gewusst, die waren zum Teil sechsstellig.“ Aber auch mit alltäglichen Dingen sei Schmitz nicht zurechtgekommen, so sei es unmöglich gewesen, mit dem Zug zu reisen oder alleine in ein Restaurant zu gehen. Selbst das Einkaufen hat hohe Hürden für ihn bereitgestellt. „Ich wollte mir mal ein Hühnchen kaufen und hab ein Suppenhuhn genommen – das hat dann überhaupt nicht geschmeckt und ich konnte es wegwerfen“, erinnert sich der Eifeler. Selbst mit der Liebe habe es bei ihm erst geklappt, nachdem er seinen Analphabetismus überwunden hatte.

Über das Jobcenter ist er im Alter von 45 zu einem Deutschkurs gekommen und habe rund vier Jahre gebraucht, bis er ordentlich Lesen konnte: „Es ist ein neues Leben für mich, ich kann jedem nur raten, seine Scham abzulegen und sich Hilfe zu suchen.“ Dass das Empfinden von Scham das Hauptproblem ist, das bestätigen auch Stefan Wälte und Juliane Averdung vom Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung, die das Projekt Alfa-Mobil durchführen und mit ihrem Info-Bus durch ganz Deutschland touren und versuchen, auf die vielfältigen Hilfestellungen bei Analphabetismus aufmerksam zu machen: „Es ist kein Problem einiger, es ist ein Problem vieler“, betont Wälte. So gibt es in Deutschland rund sechs Millionen Analphabeten, alleine in Dillingen sind es 1500, im gesamten Saarland sogar 75 400 Erwachsene.

Und die Dunkelziffer sei womöglich noch viel höher. Problem sei, dass sich die meisten einfach nicht trauten, sich zu outen und ihre Probleme öffentlich zu machen. Dass es im Saarland flächendeckend kostenlose Deutschkurse gibt, die auch die VHS anbietet, wüssten noch weniger, diese Erfahrung habe die pädagogische Mitarbeiterin der VHS, Barbara Wagner gemacht: „Wir haben derzeit sechs bis acht Personen in unserem Kurs, die meisten kommen aber nicht einmal regelmäßig. Bei 1500 Analphabeten alleine in Dillingen ist das sehr schade.

Mit Angeboten wie diesen wollen wir die Gesellschaft sensibilisieren und den Betroffenen einen Anstoß geben, doch die vorhandenen Hilfsangebote anzunehmen.“ So könnte die VHS Hunderten von Personen Deutschkurse anbieten, sagt Wagner.

Denn wenn keine medizinischen Probleme vorliegen, könne jeder Lesen und Schreiben lernen, weiß die Pädagogin.

Das bedeutet Teilhabe am Leben und an der Gesellschaft, so wie es auch Peter Schmitz mittlerweile erreicht hat. Mittlerweile habe er sogar sein Glück in der Liebe gefunden: „Das wäre als Analphabet nicht möglich gewesen“, erinnert er sich.

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